Hamburg. Der Hamburger Chefarzt und Romancier Alexander Rösler liefert den Stoff zur Zeit: ein böses Buch über den Krankenhausbetrieb.
Unvermeidlich stößt man im Laufe der bisweilen stark erotisch aufgeladenen Handlung auf anatomische Poesie. Ihr wohnt eine ganz eigene Schönheit inne, oder? Es geht um die aparte Philomena, die das Liebesinteresse des Helden früh weckt und gerne die Knöpfe ihres Poloshirts offen trägt, wir lesen ziemlich entzückt: „Und während sie sich zum Salat hinabbeugt, sieht man lateral der costosternalen Gelenke sanfte Steigungen, deren Gipfel unter der Mischfaser der weißen Kliniksgarderobe verborgen bleiben wie die Gipfel des Himalaya unter Schnee.“
Später wird es die Schilderung eines Geschlechtsverkehrs vor allem dank der Verbalgeilheit der ostdeutschen Gespielin – leider nicht Philomena – expliziter: „In fünf Minuten will isch Sie in mir spüren. Zwischen den Labien, Sie haben das Wort schon mal diktiert, in Ihren kleinen dreckschen Arztbriefen.“ Zwei Dinge werden deutlich. In einem Arztroman müssen sexuelle Techtelmechtel immer eine Rolle spielen. Und: Dieser Arztroman ist tatsächlich, neben manch anderem, bisweilen hochkomisch.
Der Roman heißt „Unter Kitteln“, ist in vielerlei Hinsicht famos und stammt von Alexander Rösler. Er erscheint im Literaturquickie-Verlag, einer Unternehmung des verdienstvollen Literaturveranstalters Lou A. Probsthayn, der wie der Autor in Hamburg ansässig ist.
Nicht unclever der Untertitel: „Ein Krankenhausroman“
Eine literarische und kulturelle Verschlagwortung, die die Synapsen zum Glühen bringt. Groschenhefte, Dr. Stefan Frank, Ärzte, denen die Frauen vertrauen. Gottfried Benn, Zauberberg, George Clooney, Emergency Room, Schwarzwaldklinik (siehe nebenstehender Kasten). Und nun also „Unter Kitteln“, der Roman, der den jungen, schönen Hagen Burbeis in die brandenburgische Provinz begleitet, wo er im fiktiven Punzlau eine Stelle als Assistenzarzt antritt und dabei hineingerät in den Provinzkrankenhauswahnsinn, in einen Strudel aus Ehrgeiz, Intrige und Sex.
Dass der Blick, den der Autor auf den Mikrokosmos Krankenhaus wirft, messerscharf ist und in den Eingeweiden des Milieus wühlt, gibt dem Roman dabei seine pikante Note. Das Krankenhaus als Sozialort der Stunde, seine Protagonisten als Helden der Coronagegenwart, denen wir allabendlich Applaus vom Balkon spenden?! Findet in „Unter Kitteln“ nicht mal einen entfernten Widerhall. Was für ein böses, entlarvendes, schonungsloses Buch!
Kein Buch für Hypochonder
Und im Übrigen keines für Hypochonder, eh klar. Man begegnet mit dem visitierenden Jungdoktor („Da liegen sie, die Schicksale“) allerlei welkendem und sterbendem Fleisch, Diagnosen wie „Plattenepithelkarzinom“ und „Aneurysma der Aorta“ sowie nervös machenden Beobachtungen („Die Lunge griemt und brummt beim Atmen“). Und wenn der Romanheld nachts in der Notaufnahme ranmuss, überträgt sich sein Stress unmittelbar auf den Leser. Alexander Rösler beherrscht seinen Stoff, indem er Szenen mit einer gewissen Wiedererkennbarkeit schafft – mindestens für die Belegschaft des medizinischen Sektors.
Bisher hat der Schriftsteller Rösler in einigen kleineren Verlagen Kurzprosa und Jugendromane veröffentlicht. Mit der eigenen hauptberuflichen Identität – Rösler ist Chefarzt in einer Bergedorfer Klinik – spielt er in einem dem Roman vorangestellten angeblichen Brief eines früheren angeblichen Chefs: „Ich halte das, was ich von Ihrem Manuskript gelesen habe, für eine zweifelhafte Mischung aus Schmonzette, Pornografie und Ärztebashing.“ Netter selbstironischer Metaebenenschlenker.
Rösler weiß, wovon er schreibt
Gleichviel: Rösler weiß, wovon er schreibt. Ein Enthüllungsroman ist „Unter Kitteln“ zwar nicht. Wer aber nicht weiß, wie es hinter den Kulissen des Gesundheitswesens zugeht, der wird gleich doppelt erhellt. Es sind durchweg Topdialoge, die Rösler hier aufs Tapet bringt. Man liest also, wie distanziert und zynisch („Es werden noch Wetten angenommen“) die Ärzte Computertomografien kommentieren.
Die Charakterzeichnungen sind skizzenhaft und dennoch – oder deswegen – meist glaubwürdig. Die Psychologie der Halbgötter in Weiß wird dann am Ende doch völlig vorhersehbar vor der Leserin und dem Leser ausgebreitet. Die eitle Medizinertagung, Ambition und Konkurrenz, die gefälschte Statistik beim kardiologischen Forschungsprojekt: Jedes gesellschaftliche Subsystem bringt am Ende doch die gleichen Typologien und Fehltritte hervor. Und es gibt da den Kult um die „Grenzverweildauer“; gleichsam das erste Wort, dass der neue Assistenzarzt Burbeis an seinem neuen Arbeitsplatz lernt. Krankenhäuser sind nicht nur Orte der möglichen Heilung und des Gesundens, sondern auch Wirtschaftsunternehmen.
Kosten-Nutzen-Gleichungen versus medizinischer Idealismus
Es ist der Kollege Fenyak, gleiche Hierarchieebene wie Burbeis, der diesen ökonomisch einvernimmt. Patienten dürfen nicht zu lange auf Station bleiben, sonst zahlt die Krankenkasse nicht mehr. Wer als Arzt diesbezüglich in den roten Bereich rutscht, bekommt einen Anruf vom Geschäftsführer. Kosten-Nutzen-Gleichungen versus medizinischer Idealismus: Auch darum geht es in dieser Geschichte, in der wir den Autor unbedingt hinter der Nebenfigur Sartin Rasim vermuten wollen, die aufgrund der pekuniären Ansagen der Klinikleitung die Hasskappe aufhat.
Dieser Geschäftsführer ist es auch, der großspurige Visionen – Hauptfeind ist: die Nachbarklinik, was sonst – entwickelt und unverblümte Handlungsanleitungen („Bronchitis? Könnte auch eine Lungenentzündung sein“) gibt. Hans-Jürgen Doberer, jener Krankenhaus-Manager, ist die Hauptfigur der zweiten, unwesentlich schwächeren Erzählebene, auf der Rösler einen mittelalten, beruflich halbwegs erfolgreichen Mann komplett würdelos und liebesblöd in den Sexurlaub nach Thailand düsen lässt. Währenddessen hat sich an der heimatlichen Spitalfront längst etwas gegen ihn zusammengebraut.
In diesem konsequent auf ungnädigen Ärzte-Soziolekt und kalten Egoismus getrimmten Roman gibt es auch Momente der Sanftheit, in denen der Arzt als machtlose, strapazierte Figur erscheint. Manche Patienten erkranken leicht, manche schwer, es gibt „keine Gerechtigkeit und kein Verteilungssystem für Erkrankungen“, denkt Hagen Burbeis einmal, „auch nicht bei Gott“. „Unter Kitteln“ ist eine der Überraschungen dieser Literatursaison, ein Roman über manche Absonderlichkeiten und doch ganz logische Regeln in einer der Kerneinrichtungen unserer Gesellschaft: dem Krankenhaus. Und Alexander Rösler hat den fälligen Roman dazu geschrieben.