Hamburg. Gespräch mit drei Hamburger Protagonistinnen, die sich für Geschlechtergerechtigkeit einsetzen – mittels einer Männerquote.
Diese Stadt scheint ein guter Nährboden zu sein für Initiativen, die sich in der Popmusik für die Gleichstellung der Geschlechter einsetzen. Zum Internationalen Frauentag am 8. März trafen wir Andrea Rothaug von Music Women Germany, Christina Schäfers von Keychange und Musikerin Sarajane von Ladies Artists Friends. Ein Gespräch über Gehaltslücken, Festivalprogramme und Männerquote.
Beyonce, Billie Eilish und Sarah Connor räumen Preise ab und füllen Arenen. Leben wir in einer Ära des weiblichen Popstars oder trügt der Schein?
Sarajane Es gibt einige Frauen, die ganz oben mitspielen – und die ich bewundere. Aber wenn ich mir aktuell die Line-ups der Festivals in diesem Jahr anschaue, frage ich mich: Wo sind denn die Musikerinnen? Für mich ist das absolut unverständlich: Wenn man mit jemandem Geld verdienen könnte, warum tut man das dann nicht? Ich finde, wir haben ein riesiges Problem.
Andrea Rothaug Von Helene Fischer bis Beyonce haben wir es oft zu 80 Prozent mit Interpretinnen zu tun. Zumeist sind sie keine Textdichterinnen und Komponistinnen, weshalb sie an den wertvollen Tantiemen gar nichts verdienen. Die Songs, die wir im Radio hören, sind zu 90 Prozent von Männern erdacht. Das ist eine Schräglage. Nur unter 20 Prozent der Lieder in den deutschen Top-100-Singlecharts wurden von einer Frau selbst geschrieben. Auf Festivals treten im Schnitt acht bis elf Prozent Popkünstlerinnen auf. Das wird jetzt besser, auch durch die Keychange Initiative.
Christina Schäfers Was auf den Bühnen los ist, ist das eine. Aber die Frage ist auch: Was passiert dahinter? Wahnsinnig viele gut ausgebildete und gut vernetzte Frauen sind in der Musikbranche unterwegs. Aber viele entscheidende Positionen sind nach wie vor männlich besetzt – und das ja nicht nur im Pop.
Kann Popkultur eine Vorbildfunktion einnehmen, was Geschlechterparität angeht, da Musik eben zugänglicher ist als ein DAX-Unternehmen?
Rothaug Popkultur und Lifestyle bedingen einander und gestalten gesellschaftlichen Wandel mit. Musik kann ein wichtiges Instrument sein, um Veränderungen zu bewirken, denn Pop ist ein Lebensmittel und kommt auch bei den ganz Jungen an.
Wo Frauen mehr verdienen als Männer
Sarajane Eine Musikerin wie Lizzo hat eine unglaubliche Kraft, Menschen zu begeistern – gerade weil sie überhaupt nicht ins Schema passt. Sie ist nicht weiß. Sie ist nicht superdünn. Und wenn sie Lust hat herumzubrüllen, dann tut sie das. Ihre Konzerte sind blitzschnell ausverkauft. Die Nachfrage nach Pop von Frauen ist da.
Müssen solche weiblichen Role Models schlichtweg sichtbarer gemacht werden?
Schäfers Wir schaffen mit Keychange ganz konkret Auftrittsmöglichkeiten für Musikerinnen und auch für Innovatorinnen aus der Branche, die dann auf Panels sprechen. Wir merken, dass andere Branchen da schon neugierig gucken: Funktioniert das auch für Film oder die Bildende Kunst?
Rothaug Neben Role Models und Empowerment brauchen wir auch Sichtbarkeit und Vernetzung all der Frauen, die in der Branche ihren Job machen. Deshalb haben wir als Music Women Germany eine Datenbank erstellt, die zeigt, welche Positionen wo und an welcher Stelle im Popbusiness weiblich besetzt sind. Wir wissen, dass Frauen auf der Karriereleiter länger brauchen, sie kommen nicht so hoch und verdienen schlechter. Der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen im Pop variiert von 22 bis 64 Prozent.
Der Gender-Pay-Gap, also die Gehaltslücke zwischen Männern und Frauen, wie lässt sich die füllen?
Sarajane Wir Musikerinnen bei Ladies Artists Friends tauschen uns aus über unsere Erfahrungen bei Verhandlungen. Und wir verständigen uns darüber, zu welchen Konditionen wir Jobs annehmen. So schieben wir einen Riegel vor zu niedrige Gagen. Ich sehe viele Kolleginnen, die arbeiten ohne die Unterstützung von Labels oder Verlagen. Und ich kenne viele Männer, denen häufiger die Hände gereicht werden. Jungs ziehen sich gegenseitig einfach schneller hoch. Wir brauchen starke Frauen an den Pforten, die sagen: Hier lang!
Das Thema Quote wird immer wieder diskutiert. Worin liegen die Vorteile?
Schäfers Wir prägen mit unserem 50-Prozent-Ansatz den Markt: Wenn das Reeperbahn Festival sagt, wir wollen mehr Frauen zeigen, müssen uns die Booker auch Popkünstlerinnen anbieten. Das ist ein anderer Wirkhebel, der dann angesetzt wird. Einerseits geht’s um Gerechtigkeit. Andererseits geht es aber um die Zukunftsfähigkeit der Branche. Wer weiterhin wirtschaftlich erfolgreich sein will, sollte in gemischten Teams arbeiten und das volle kreative Potenzial ausschöpfen, das zur Verfügung steht.
Was glauben Sie, wie lassen sich die vielen Männer der Branche motiviert mit ins Boot holen?
Rothaug Wir fordern eine 50-Prozent-Männerquote, denn ohne Männer geht es nicht. Sie sollen nicht ausgeschlossen werden, sondern müssen mitgenommen werden. Die ganze Argumentation ist heute Gott sei Dank kein reines Frauenthema mehr.
Ihre drei Vorhaben gehen sämtlich von Hamburg aus. Liegt das daran, weil die Bedingungen in dieser Stadt besonders günstig sind?
Sarajane Ladies Artists Friends bekommt Förderung aus dem Musikstadtfonds. Dafür bin ich sehr dankbar, denn ansonsten wäre unser Festival nicht möglich.
Rothaug Förderung und Spenden sind wichtig: Geschlechtergerechtigkeit ist kein Hobby, sondern Staatsauftrag. In Hamburg finden wir dafür ein Bewusstsein in der Politik und in der Branche. Nachholbedarf hat Hamburg in Sachen Musik allerdings beim Thema Diversity, da können wir uns einiges von Berlin abschauen.
Schäfers Hamburg ist das Herzstück, von dem alles ausstrahlt. Denn mit dem Reeperbahn Festival können wir den größten Schub bewirken, was öffentliche Wahrnehmung angeht. Aber die Musikstädte kommen nicht umhin, sich weltweit untereinander zu vernetzen, um voneinander zu lernen.