Hamburg. Viele Afghaninnen fordern in Deutschland Gleichberechtigung in der Familie ein. Frau aus Hamburger Frauenhaus wagte mutigen Schritt.
Maryam P. (Name geändert) lebt mit ihren Söhnen in einem Frauenhaus in Hamburg. Sie ist Afghanin. Sie hat sich gerade scheiden lassen. Nun fühle sie sich endlich frei, sagt sie. Vor 17 Jahren hatte sie in Afghanistan geheiratet. Nicht aus Liebe. Ihr Vater hatte das so entschieden.
Die Frau stammt aus Farah, einer Provinz in Westafghanistan. Als sie 15 Jahre war, musste sie einen Sohn aus der Nachbarschaft heiraten, mitentscheiden durfte sie nicht. Sie hat viele Jahre unter den frauenfeindlichen Bräuchen und Traditionen in afghanischen Dörfern gelebt. Sie erzählt, dass auch ihr Ehemann erst 14 Jahre alt war, als sie verheiratet wurden.
Migrantin findet Mut zur Scheidung
Acht Jahre später, als er bereits Vater von zwei Kindern war, trifft er eine andere junge Frau und heiratet sie. Die zweite Ehe geht er ein, ohne dass Maryam und die beiden Kinder davon wissen. Sie erzählt, wie ihr Mann sie vor den Augen der Kinder und seiner zweiten Frau beleidigt, gedemütigt und geschlagen hat. Sie sagt: „Mein Vater, meine Brüder und dann mein Ehemann haben mir verboten, zur Schule zu gehen. Ich durfte nicht lernen. Recht und Freiheit waren für mich unbekannte Wörter.“
Ende 2015 kam sie mit ihren beiden Söhnen, dem Ehemann und dessen zweiter Frau in Hamburg an. Sie wohnten vorübergehend in einem Flüchtlingsheim, wo das Leben eher noch schwieriger war: „Jetzt musste ich die Nächte mit ihm und seiner zweiten Frau im selben Raum verbringen. Selbst weinen musste ich heimlich“, sagt die Neu-Hamburgerin. Sie beschloss, sich zu trennen.
Afghaninnen fordern Gleichberechtigung
Kein Einzelfall. Bei afghanischen Paaren in Europa häufen sich die Scheidungen. Die Motive, warum sich Menschen scheiden lassen, sind gut erforscht. Psychische Krankheiten, Untreue, Lügen werden meist als Gründe für die Trennung genannt. Bei Menschen aus Kriegs- und Nachkriegsländern kommen noch weitere Gründe hinzu.
Wenn afghanische Paare sich trennen, ist die Ursache fast immer ein Streit um Rechte und Freiheiten – unabhängig davon, wie die Ehe zustande gekommen ist. Es gilt auch dann, wenn sie aus Liebe geheiratet hatten, was vor allem bei gebildeten Afghanen häufiger der Fall ist. Der westliche Lebensstil und das sehr andere soziale Leben in Europa stellt die Eheleute vor große Herausforderungen. Wenn sie sich trennen, liegt der Grund in den meisten Fällen im Konflikt um die Freiheiten und Möglichkeiten der neuen Gesellschaft.
In der afghanischen Gesellschaft ist der Raum der Familie eher geschlossen, Ehre und Keuschheit sind zentrale Werte. Frauen müssen viel mehr Verantwortung für Familie und Kinder übernehmen, während die Männer relativ viele Freiheiten haben. Wenn die Paare nach Europa kommen, fordern beide Parteien ihre Freiheiten, auch die Frauen. Vor allem bei Paaren mit Kindern ist dann unklar, wer für die Kinderbetreuung zuständig ist und wer sich um die Angelegenheiten der Familie kümmert.
Tabu-Thema "Scheidung": Missbrauch und Demütigungen aushalten
Für Frauen, die Analphabeten sind oder aus bildungsfernen Gesellschaftsschichten kommen, und auch für Frauen, die von ihrer Familie verheiratet wurden, ist die Lage noch viel schwieriger. Sie sind nach der Heirat häufig starkem Druck, Gewalt und Misshandlung ausgesetzt. Über Scheidung zu reden ist ein großes Tabu. In Afghanistan wird die Scheidung als abstoßend empfunden. Lässt sich eine Frau scheiden, wird sie von ihrer Familie ausgestoßen.
Viele Frauen halten deshalb lieber Missbrauch, Beleidigung und Demütigung aus, um ihren Ruf als eine „gute Frau“ zu wahren. Dabei gibt es hierzulande Institutionen, die diesen Frauen helfen, sie beraten und vor häuslicher Gewalt schützen. Trotzdem wagen die Frauen es nicht, öffentlich über ihre Probleme zu sprechen und sich helfen zu lassen.
Viele leben zwar jahrelang in einem Land, in dem die Scheidung das gesetzliche Recht ist, trauen sich aber nicht, den Mund aufzumachen. Aber es gibt inzwischen auch viele Afghaninnen, die beschließen, ihre Zwangsehe oder das von Gewalt geprägte Zusammenleben zu beenden.
Psychische Belastung ist groß, Schmerz oft unerträglich
Eine Scheidung ist trotzdem immer sehr belastend. All die Hilfe, die Frauen in Deutschland danach bekommen, ändert daran nichts. Ämter und Vereine bieten Wohnraum, Kinderbetreuung und Geld zum Leben. Das ist gut. Aber die psychische Belastung ist dennoch groß. Da bricht die Familie zusammen, in der sie so viele Jahre gelebt haben. Der Schmerz, der damit einhergeht, ist oft unerträglich. Für Maryam P. wäre das Leben weiter in Unfreiheit noch schlimmer gewesen.
Der Text entstand als Kooperation zwischen „Amal, Hamburg!“, der Körber-Stiftung und dem Hamburger Abendblatt. Amal, Hamburg! ist ein Projekt der Evangelischen Journalistenschule und der Körber-Stiftung, unterstützt vom Hamburger Abendblatt und der Evangelischen Kirche in Deutschland.