Hamburg. Maike Schiller hat mit dem Hauptdarsteller der Titelrolle gesprochen und erklärt den hanseatischen Potter-Kosmos rund um die Show.

Keep the secret“ – wahre das Geheimnis, wird dem Theaterbesucher im Londoner Palace Theatre eingeschärft, bevor er sich „Harry Potter und das verwunschene Kind“ anschaut, die Fortsetzung des siebenbändigen Roman-Epos von J. K. Rowling.

Vor zwei Jahren feierte die Inszenierung Uraufführung am Westend, es ist kein Musical, sondern ein opulentes Sprechtheaterstück, das in zwei Teilen zur Aufführung kommt – jeweils fast drei Stunden lang. Nach London, New York und Melbourne ist nun auch Hamburg Spielort der Produktion, seit dem 5. Februar laufen die Voraufführungen, am 15. März ist Premiere im Mehr! Theater.

Harry Potter und das verwunschene Kind im Hamburger Mehr! Theater

Und die Handlung hält für alle Potter-Fans, die den achten Teil tatsächlich nicht gelesen haben sollten, einige Überraschungen bereit ...

Keep the secret also. Teil des Vertrages, lacht Markus Schöttl, der hier für zunächst zwei Jahre die Titelrolle in der deutschsprachigen Erstaufführung übernommen hat, sei die Geheimniskrämerei trotzdem nicht. Ein Gespräch mit dem Kärntner kann also munter mäandern – von Ödipus zur Wiener Oma, von der Sinnkrise eines Zauberlehrlings zum Geständnis: Die Potter-Romane kannte der Schauspieler gar nicht, als er vorsprach.

Hamburger Abendblatt: Ödipus, Hamlet, Romeo – Sie haben bislang die großen Rollen in großen Klassikern gespielt. Reiht sich Harry Potter da nahtlos in die Abfolge ein?

Markus Schöttl: Vom Stoff her geht es sogar über die Klassiker hinaus, wenn man bedenkt, dass die Vorgeschichte in sieben Bänden notiert ist. Das hat schon biblische Ausmaße. Und es kommt durchaus an den Ödipus heran. Ein Mensch, der auf der Suche ist und dann – ohne hier spoilern zu wollen – feststellen muss, dass er sich dabei selbst begegnen muss und dass die dunkelsten Schatten vielleicht in einem selber wohnen. Das finde ich das Schöne daran. Abseits aller Zauberwelten ist das ein sehr psychologischer Zugriff, den J. K. Rowling da gewählt hat.

Erst nach der Zusage aus Hamburg begann Harry-Potter-Darsteller Markus Schöttl damit, die Romane zu lesen.
Erst nach der Zusage aus Hamburg begann Harry-Potter-Darsteller Markus Schöttl damit, die Romane zu lesen. © Roland Magunia

Welchen Bezug hatten Sie vor diesem Engagement zum „Harry Potter“-Kosmos? Kannten Sie die Romane – oder die Filme?

Schöttl: Ich hatte gar keinen Bezug. Ich wusste natürlich, wer Harry Potter ist, das ist ja klar. Aber ich bin Jahrgang 1977 und damit altersmäßig genau in diese Lücke gefallen, in der man sich für die Bücher nicht mehr so begeistern konnte, zumal die ersten ja noch expliziter als Kinderbücher vermarktet wurden. Dazu kommt: Ich habe gegenüber so kommerziellen Dingen immer ein bisschen Abstand gehalten, also hat mich auch dies nicht so gefangen genommen. Jetzt bin ich inzwischen eingetaucht in den Kosmos – und muss natürlich zugeben, dass es etwas Anziehendes hat und dass J. K. Rowling auch etwas zu erzählen hat, etwas Relevantes. Die Bücher zu lesen habe ich in dem Moment begonnen, in dem ich die Zusage für die Rolle hatte. Da war mir klar: Da führt jetzt kein Weg dran vorbei! (lacht) Ich mag, dass abseits der Archetypisierung so viele Themen eingestreut sind, dass sich jeder etwas herauspicken kann. Man kann wirklich eine Beziehung eingehen mit dem Stoff. Wir erleben das jetzt auch, wenn wir die Leute sehen, die in die Voraufführungen kommen. Was für eine emotionale Anbindung das ist! Das ist nicht nur ein Jugendroman, das fühlt sich an wie ein Sehnsuchtsort. Vielleicht ist das auch der Erfolg dieser Theaterunternehmung: Ein Ort, der mit dem letzten Band eigentlich abgeschlossen und dadurch weit in die Ferne gerückt war, ist plötzlich wieder besuchbar.

Man fühlt sich in einem Text, in einer Geschichte zu Hause.

Schöttl: Genau. Ich habe noch nicht alle Romane bis zum Ende gelesen, aber ich werde das im Laufe meiner Zeit hier tun.

Diese Menschen haben an dem Theaterstück mitgewirkt

Wie groß ist die Herausforderung, jemanden zu spielen, von dem nahezu jeder eine sehr genaue Vorstellung hat? Von dem so viele zu wissen meinen, wie diese Figur „richtig“ zu sein hat?

Schöttl: Ich glaube, es ist ein großer Vorteil, dass ich die Bürde des Vorwissens nicht hatte. Das lässt mir Raum, aus mir selbst zu schöpfen. Und die Geschichte, die wir erzählen, ist ja eine Weiterführung der Figur. Harry Potter ist erwachsen. Die Jugendzeit ist schön und gut, aber irgendwann kommen Kinder und auch eine gewisse Form der Abrechnung. Nennen wir es: Sinnkrise. Oder Midlife-Crisis oder Burn-out. Momente, die uns zwingen innezuhalten und zurückzublicken: Was ist davor passiert, was hat das mit mir gemacht? Was möchte ich davon mitnehmen in die Zukunft, was möchte ich weitergeben an die nächste Generation und was muss ich endgültig loswerden?

Der Harry-Potter-Darsteller Markus Schöttl am Freitag (21.02.2020) in der Lounge des MehrTheater in Hamburg. Foto: Roland Magunia/Funke Foto Services
Der Harry-Potter-Darsteller Markus Schöttl am Freitag (21.02.2020) in der Lounge des MehrTheater in Hamburg. Foto: Roland Magunia/Funke Foto Services © Roland Magunia

Wie sehr dürfen Sie Ihren Harry Potter auf eine Weise spielen und gestalten, die Sie für richtig halten, die Sie fühlen? Die Inszenierung gibt es ja schon, in London, in New York, in Melbourne – und sie soll hier exakt nach diesen Vorbildern auf die Bühne kommen. Im Grunde ein Klon, nur eben in deutscher Sprache. Wie sehr ist man da nur Darsteller – und nicht Schauspieler?

Schöttl: Ich glaube, es kommt sehr darauf an, was Schauspiel für einen bedeutet. Ich habe es schon immer so empfunden: In der Einschränkung lässt es sich gut ausbreiten. Gerade das Korsett – wenn man es so nennen will, ich empfinde es aber nicht so – ist das, was mir eigentlich die Freiheit gibt. Natürlich gibt es die Inszenierung schon, aber allein dadurch, dass ich das spiele – so viel Selbstbewusstsein habe ich schon –, fließt ganz viel von mir ein.

Harry Potter in Hamburg: "Show will bestimmtes Publikum ansprechen"

Gibt es denn die Freiheit, in Details oder in der grundsätzlichen Figurenzeichnung auch abzuweichen von der „Original-Inszenierung“?

Schöttl: Auf jeden Fall, das ist sogar gewünscht. Vielleicht sind wir da sogar wieder bei den Vorurteilen und der Genre-Einsortierung: „Das ist so kommerziell, das kann gar nicht gut sein.“ Natürlich will die Show ein bestimmtes Publikum ansprechen. Aber das tun große Bühnen wie das Thalia oder das Schauspielhaus auch. Wenn man sieht, welche Regisseure dort inszenieren – die werden ja auch herumgereicht. Hier wird eben das Stück herumgereicht. Natürlich ist es ein Produkt. Da hängt auch ganz viel dran, wirtschaftlich, aber – Sie merken schon, ich bin ein Verteidiger der Sache geworden – es ist trotzdem eine vertiefte Arbeit von jedem einzelnen Darsteller.

Zahlen zu dem Theaterstück

 

340 Minuten dauern beide Teile insgesamt

 

560 Kostüme

 

2,5 Stunden Pause liegen zwischen Teil 1 und 2

 

3000 Glühlampen im Foyer

 

3 Darsteller spielen die Harry-Potter-Roller

 

42 Millionen Euro wurden in Umbau und Produktion investiert

 

49,95 Euro kosten reguläre Tickets  mindestens – pro Showteil  (ab 99,90 Euro Gesamtpreis)

 

3000 qm Hogwarts- Teppichboden  wurden verlegt

 

1670 Plätze hat das Theater

1/9

Die „Harry Potter“-Inszenierung „Das verwunschene Kind“ ist ja kein Musical, obwohl viele das glauben. Sprechtheater in einer Produktionsdimension wie dieser kennt man hier eher nicht ...

Schöttl: Ja, aber was ist schon „normales“ Sprechtheater? Zuletzt habe ich „Moby Dick“ von Antú Romero Nunes am Thalia Theater gesehen. Da wurde gesungen, gesprochen, lustvoll, choreografisch und auch sportlich mit dem Körper umgegangen, da wurde mit Erschöpfungszuständen gearbeitet, mit Repetition, und man hat sich auch nicht gescheut, in die Effekt-Kiste zu greifen, es regnen zu lassen und eine Windmaschine einzusetzen. Es war einfach sehr sinnlich, und nichts anderes versuchen wir auch. Wir verbinden viele Mittel einfach mit dem Genre Musical – große Tableaus, ein bestimmtes Lichtdesign, Bewegungsformationen. Im deutschsprachigen Raum gibt es immer auch Bedenken gegenüber einer Mannigfaltigkeit von Kompetenzen, in London zum Beispiel sind die Berührungsängste da nicht so groß. Wenn einer nicht nur gut spielt, sondern auch eine gute Stimme hat, mal Sprechtheater, mal Musical machen will – dann wird’s hier dagegen oft schon schwierig. Schön ist es allerdings, als Darsteller in einem Haus zu spielen, das immer voll ist! Das habe ich bei meinen Engagements an anderen Theatern nicht immer so erlebt.

Der Harry-Potter-Darsteller Markus Schöttl am Freitag (21.02.2020) in der Lounge des MehrTheater in Hamburg. Foto: Roland Magunia/Funke Foto Services
Der Harry-Potter-Darsteller Markus Schöttl am Freitag (21.02.2020) in der Lounge des MehrTheater in Hamburg. Foto: Roland Magunia/Funke Foto Services © Roland Magunia

Es gibt im Mehr! Theater ja seit Anfang Februar­ schon viele Voraufführungen vor Publikum, bevor eine Doppel-Vorstellung am 15. März dann gewissermaßen zur Premiere „bestimmt“ wird. Hat man als Schauspieler da überhaupt noch ein Premierengefühl oder Lampenfieber?

Schöttl: Das beantwortet wahrscheinlich jeder anders. Ich finde es tatsächlich schon ein bisschen absurd – meine Premiere war schon längst, das war die erste Vorstellung vor Publikum. Die Premiere ist einfach die Premiere. Ich verstehe natürlich trotzdem, dass es diese Voraufführungen bei einer Produktion wie dieser geben muss. Und ich bin jedes Mal nervös, wenn ich weiß, es schaut jemand genau zu. Mir einzureden, die Gala-Premiere im März wäre eine Vorstellung wie jede andere, wird mir sicher nicht gelingen.

Sie sind zunächst für zwei Jahre in Hamburg engagiert – wie ist die Vorstellung, nun über so eine lange Zeit jeden Tag lang dieselbe Rolle zu spielen?

Schöttl: Wir sind alle neugierig, was das mit einem macht. Ob es sich wohl irgendwann wie harte Arbeit anfühlt ...?

Hatten Sie Berührungspunkte zum Zaubern, bevor Sie für die Proben erstmals zum größten Magier der (literarischen) Gegenwart wurden?

Schöttl: Ja, tatsächlich! Ich hatte als Kind eine Zauberphase. Das hat mit meiner Großmutter angefangen, die Wienerin war, weshalb ich als Kind oft in Wien war. Dort gab es einen Laden, der hieß „Die Zauberklingel“. Man konnte sich einen Trick zeigen lassen und musste dann erst entscheiden, ob man ihn kauft. Meine Oma und ich hatten ein sehr inniges Verhältnis, und wir haben uns beide sehr dafür begeistert. Haben uns Tricks vorführen lassen und überlegt, ob man sie selbst nachbauen kann. (lacht und spricht Wienerisch:) „Naaa, den nehma net, aber – bittschön – zeigen S’ noch aan!“

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Wie ist es denn eigentlich so als Kärntner in Norddeutschland?

Schöttl: Ich fühle mich wohl und bin immer wieder überrascht von der Drolligkeit der Menschen. So ein „Moin“ klingt immer sehr süß. Ich mag die Mentalität. Ich glaube, wir sind uns gar nicht so unähnlich, es ist immer so ein gewisses Misstrauen spürbar, eine gewisse Ruppigkeit, die sich schnell in Herzlichkeit wandelt, wenn man sein Gegenüber überzeugen kann, dass man in Ordnung ist.