London. Die Britin Sonia Friedman ist die Produzentin von „Harry Potter und das verwunschene Kind“. Das aufwendige Stück kommt im Frühjahr.
Urkunden und Awards, Preise und Ehrungen, wohin man auch schaut. Der Erfolg ist unübersehbar in Sonia Friedmans Londoner Büroräumen. Ist dies das Trophäenzimmer? „Eines davon“, sagt sie leichthin und lächelt. Gerade erst sind, wieder einmal, einige Tony Awards für „Fairy Man“ dazu gekommen. Die Britin Sonia Friedman – äußerlich eine rauere, ungekämmtere Version der Bestsellerautorin J.K. Rowling – ist die weltweit erfolgreichste Theaterproduzentin: Musicals, Sprechtheater, Shakespeare, Pinter: Seit Sonia Friedman Anfang 20 ist, bringt sie Inszenierungen auf die Bühnen. Eine ihrer größten Produktionen ist das Original-Theaterstück „Harry Potter und das verwunschene Kind“. Es läuft dauerausverkauft am Londoner Westend, am Broadway, in Melbourne, im Frühjahr 2020 wird es nach Hamburg kommen. An den ersten nicht-englischsprachigen Standort.
Der Aufwand dafür ist enorm: Seit Monaten wird das ehemalige Mehr! Theater am Großmarkt großflächig umgebaut, eine ganze Harry-Potter-Welt entsteht, ein Food Court, ein Transportservice, auch eine Neuübersetzung ist in Arbeit. Die Produktionskosten, sagt Friedman, seien immens, „horribly high“. Der Abend wird in zwei Teilen erzählt, als Zuschauer muss man zwei Tickets kaufen, entweder für getrennte Abende oder für eine fünfstündige Doppelvorstellung. Auf der Bühne wird nicht etwa eines der sieben Bücher nacherzählt, sondern eine neue Geschichte. Es ist die Fortsetzung der Saga und ein Original-Rowling – die Idee allerdings stammt von Sonia Friedman. Die wurde 2018 vom „Time Magazine“ zu einer der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten gewählt. Und sie ist eine Frau mit Sinn für Details: Ihr persönliches Büro verbirgt sich in London hinter einer Bücherwand, die sich magisch öffnen lässt...
Einen globalen Erfolg wie „Harry Potter“ auf die Bühne zu bringen, muss der Traum eines jeden Theatermachers sein. Wie hat es angefangen mit Ihnen und J. K. Rowling und Harry Potter?
Sonia Friedman: Mein Produzentenkollege Colin Callender und ich erfuhren, dass J.K. Rowling die Bühnenrechte für „Harry Potter“ für sich behalten und nicht an Warner gegeben hatte. Normalerweise besitzen die Studios alle Rechte, unabhängige Theaterproduzenten haben dann keine Möglichkeit, eigene Fassungen herauszubringen. Hier war es anders. Lange bevor ich den allerersten Kontakt zu J.K. Rowling aufnahm, dachte ich schon darüber nach, dass Harry Potter, der traumatische Erfahrungen in seiner Kindheit gemacht hatte, nun selbst Vater ist. Wie ist man ein guter Vater, wenn man das selbst nie erfahren hat? Ich hatte ebenfalls einen Vater, der kein guter Vater war, der uns verließ, bevor ich geboren wurde. Während meine Mutter mit mir schwanger war, trennten sich meine Eltern. Meine Idee war von Beginn an die eines Theaterstücks über diese Thematik.
Es kam Ihnen nie in den Sinn, eines der vorhandenen Bücher auf die Bühne zu bringen?
Nie. Komisch, oder? Ich wollte immer wissen, was als nächstes passiert. Wir schauten an das Ende des letzten Buches. Joanne K. Rowling hat uns dort eigentlich alles schon aufgeschrieben. Es spielt 20 Jahre später.
Kannten Sie J.K. Rowling, verkehrten Sie in denselben Kreisen?
Nein, ich war ihr zuvor nie begegnet, sie ist ein sehr privater Mensch. Aber wir haben es geschafft, Jo zu treffen. Als mein Vater meine Mutter verlassen hatte, war er nach Schottland gezogen – und wie es der Zufall wollte, hatte er in derselben Straße gelebt, in der J.K. Rowlings Business-Haus ist. Sie arbeitet dort, ein wunderschönes georgianisches Stadthaus. Fast nebenan vom Haus meines Vaters, der viele Jahre zuvor gestorben war. Das klingt jetzt alles sehr persönlich und privat, aber es ist relevant. Ich sagte ja schon, ich hatte keine besonders gute Beziehung zu ihm. Ich ging also die Straße hinauf zu J.K. Rowlings Haus, zu einer Frau, die ich nie zuvor getroffen hatte, zu einer der berühmtesten Frauen der Welt, einer der größten Autorinnen, die je gelebt haben. Ganz sicher die erfolgreichste, wahrscheinlich nach Shakespeare und Dickens. Ich klopfte an ihre Tür und musste plötzlich an meinen Vater denken. Wie stolz er gewesen wäre. Hier bin ich und klopfe an J.K. Rowlings Tür! Ich begann zu weinen.
Oh.
Es war lächerlich! Ich war aufgelöst in Tränen, als sich die Tür öffnete! Mein Partner Colin sagte nur: Was auch immer passiert, so soll es sein. Ich traf also Jo und entschuldigte mich, dass ich so emotional war und erklärte, warum. Und da waren zwei Frauen im selben Alter, die sich sogar ähnlich sahen – auch wenn wir das damals noch nicht bemerkten – und wir hatten sofort eine wundervolle Verbindung zueinander. Wir sprachen über Theater und die Kraft der Fantasie. Wie fantastisch man erzählen kann, wenn man die richtige Geschichte hat. Man braucht am Theater keine Kameras, nichts, es reicht eine Person auf der Bühne, die zu 2000 Menschen spricht. Wenn diese Verbindung funktioniert, ist Theater außergewöhnlich. In der ganzen Welt. Und ich glaube, wir haben da etwas angestoßen, was „unfinished business“ mit Harry Potter war, etwas, was noch nicht abgeschlossen war. Ich glaube, sie liebte die Idee, dass die achte Geschichte auf diese Weise erzählt werden würde. Nicht als Roman, nicht als Film. Und sie sagte rundheraus, dass sie keine Theaterautorin sei, dass sie das Stück also nicht schreiben könne – aber die Geschichte schreiben wolle, auch um ihre Charaktere zu beschützen. Ihre Ideen sind über das gesamte Stück verteilt.
Hat sie die Handlung geschrieben?
Es war eine gemeinsame Arbeit. Die Inspiration kam von mir, aber wir waren alle interessiert daran, eine dunkle Seite zu zeigen. Die Geschichte ist von Jo, absolut. Eine Schlüsselidee, über die Sie natürlich nicht schreiben dürfen, war von ihr. Aber es musste auch ein Abenteuer geben, das ist es schließlich, was Harry tut: Abenteuer erleben!
Die Wendungen in der Handlung sind charakteristisch. Was gut erscheint, ist dennoch böse und umgekehrt...
Ganz genau, das Gute gegen das Böse, aber soweit waren wir damals noch gar nicht. Wir waren anfangs mehr Tschechow-Ibsen-mäßig drauf. (lacht) Es gab viele, viele Treffen im writer’s room… Jack Thorne, unser Autor, schrieb etwas, schickte es Jo, sie schrieb Anmerkungen, schickte es zurück und so weiter und so weiter.
Über welchen Zeitraum sprechen wir?
Es ging sehr schnell. Von unseren ersten Treffen mit Jo bis zur ersten Leseprobe waren es vielleicht anderthalb Jahre. Zweieinhalb Jahre von meinem weinenden Klopfen an ihrer Tür bis zur Premiere. Wäre es ein Musical gewesen, hätte es zwei- oder dreimal so lange gedauert.
Wie früh haben Sie über eine Zielgruppe gesprochen? Also, ob Sie für Erwachsene oder für Kinder produzieren würden zum Beispiel?
Wir wussten, dass wir für die Fans produzieren wollten. Wir haben früh darüber gesprochen, wie genau man den Harry-Potter-Kanon kennen muss, um die Geschichte zu verstehen. Ich würde sagen, man muss mindestens Wikipedia lesen. Man braucht auf jeden Fall ein Basiswissen, aber man muss nicht alle Romane lesen. Man muss Hogwarts verstehen, man muss die Lebensgeschichte von Harry, Hermine und Ron kennen, muss wissen, wer Voldemort ist und was er repräsentiert. Natürlich gibt es Handlungsmomente, in denen das Publikum aufstöhnt – und man hat keine Ahnung, warum, wenn man seinen Harry Potter nicht kennt. Aber das macht nichts.
Die Fanbasis ist groß.
Die Harry-Potter-Fanbasis ist größer als die von „Star Wars“. Es ist die größte der Welt. Wir waren also sehr zuversichtlich. Es ist die achte Original-Geschichte. Wir sind das Finale.
Ist das sicher? Dies ist das Ende?
Also... ja... das ist das Ende. Erstmal.
Erstmal?
Es ist ja nicht meine Entscheidung! (lacht) Bis J.K. Rowling eine andere andere Entscheidung trifft, ist es das Ende.
Es ist eine Show, die ohne Star-Besetzung auskommt. Harry Potter ist der Star – oder zumindest J.K. Rowling. Haben Sie je überlegt, prominente Schauspieler zu besetzen?
Wir wollen, dass die Show eine lange Zeit läuft. Wenn man einen Star castet, ist die Erwartung, dass dieser Schauspieler es dann auch die ganze Zeit spielt. Es ist aber wichtiger, dass das Publikum eine Verbindung mit den Figuren findet. Der Star ist die Geschichte.
Einige Charaktere kommen den Kino-Figuren optisch sehr nah. Hermine wird am Theater von einer schwarzen Schauspielerin gespielt und ist durch ihre Hautfarbe auffallend anders. Wie kam es dazu?
Uns war Diversity im Ensemble ausgesprochen wichtig. Wo immer es möglich war, sollte das Ensemble die Welt da draußen repräsentieren. Wir haben tatsächlich nicht darüber nachgedacht, ob es potenziell kontrovers sein könnte, eine nicht-weiße Hermine zu besetzen. Wir casten die besten Leute für den Job. Zur Premiere gab es da sehr viele Diskussionen.
Wie war es denn vorher an Londoner Theatern? Gab es Diversität? Gab es viele schwarze Julias oder Ophelias?
Nicht genug. Und Großbritannien ist eine multikulturelle Gesellschaft! Im Filmbusiness und auf der Bühne wurde das allerdings bislang nicht widergespiegelt. „Harry Potter“ war ein guter Moment, um sicherzustellen, dass die Veränderung auch wahrgenommen wird. Viele junge Menschen aus der ganzen Welt würden die Show sehen, sie sollten auf der Bühne auch repräsentiert werden. Wir spürten die Verantwortung.
In Hamburg wird nun die erste nicht-englischsprachige Inszenierung gezeigt. Warum haben Sie sich für Hamburg als Spielort entschieden – und nicht zum Beispiel für Berlin oder München?
Mitarbeiter von mir haben sich Berlin angeguckt. Wir hatten diese romantischen Vorstellungen von Brecht und dieser Art von Theater. Hamburg hatten wir zunächst mehr als Kaufmanns-Hauptstadt abgespeichert. Aber der „König der Löwen“ funktioniert in Hamburg seit Ewigkeiten. Die Stadt hat bewiesen, dass sie jedes Jahr Hunderttausende in die Theater locken kann. Wir wollten dorthin, wo diese Touristen sind. Und wir hatten die Möglichkeit, dort am Großmarkt ein eigenes Theater zu kreieren, eine ganze Erfahrungswelt. Was für Hamburg ein echtes Vermächtnis sein wird, sollte „Harry Potter“ Hamburg je wieder verlassen. Ihr werdet einen fantastischen neuen Theaterort haben. Es wird spektakulär!
Das Harry-Potter-Theater in London erinnert an Harrys Zauberschule Hogwarts, es ist nostalgisch, verwinkelt. Das ist im ehemaligen Mehr! Theater nicht so...
Wir haben uns auch andere Hamburger Theater angeschaut, aber nichts passte. Am Großmarkt war uns schnell klar, dass wir Hogwarts nicht nachempfinden können. Wir wurden eher von der Stahlarchitektur inspiriert, die an die Londoner U-Bahn-Station King’s Cross erinnert. Es fühlte sich dort einfach richtig an. Ich fühlte mich zu Hause. Und wenn ich das fühlen kann, hoffe ich, dass es auch das Publikum so empfindet. Stephen Daldry, der Regisseur, der „Billy Elliot“ gemacht hat, hatte übrigens die Idee. Er stand irgendwann vor dem Mehr! Theater und schickte mir eine SMS: „Hier müsst ihr ,Harry Potter’ machen!“ Und es war zu dem Zeitpunkt wirklich nicht der glamouröseste Ort.
Kennen Sie eigentlich die übrige Hamburger Theaterszene?
Nicht so gut. Ich war aber gelegentlich dort, um mir ein Stück anzusehen. Ich habe „Alice“ am Thalia Theater gesehen und auch mal etwas mit Ute Lemper. Ich finde Hamburg aber eine wunderschöne Stadt, die Architektur ist grandios schön. Ich fühle mich in Hamburg sehr wohl. In Berlin bin ich nie gewesen.