Hamburg. Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester bringen im Großen Saal die rätselhafte „Missa solemnis“ zur Aufführung.
Ludwig van Beethovens Spätwerk ist eine Herausforderung für Interpreten wie Zuhörer. Daran hat noch kein Jubiläum der Welt etwas ändern können. Schon den Zeitgenossen war die hochkomplexe Musik oft unverständlich. Aber auch für heutige Ohren, die doch die Entwicklung der folgenden zwei Jahrhunderte kennen, ist die Begegnung mit ihr immer wieder grundstürzend.
Das gilt auch und ganz besonders für die „Missa solemnis“, entstanden zwischen 1819 und 1823. Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg haben sich Beethovens Bekenntniswerk für ihr 6. Abonnementskonzert vorgenommen.
Naganos klare Tonsprache
Man hört förmlich, wie dem Komponisten sein Werk im Laufe des jahrelangen Schaffensprozesses selbst über den Kopf wuchs. Jäh wechseln Stimmungen, Licht, Duktus. Ausgeliefert war nicht nur Beethoven seiner Missa: Der Mensch steht winzig klein vor seinem Schöpfer, scheint die Musik sagen zu wollen, vor dem, der sein Schicksal bestimmt.
Nagano, vertrackte Partituren sind bekanntlich seine Spezialität, tut viel für eine klare Tonsprache: Die Streicher verwenden kaum Vibrato. Klang ist für Nagano kein Selbstzweck. Beethoven profitiert deutlich vom dem geraden, schlanken Streichersound, zumal wenn die Musiker Phrasierung und Artikulation so genau mit dem Bogen zeichnen, wie sie es an diesem Morgen tun. Die Holzbläser leuchten milde und beschreiben weite, organisch wirkende Bögen.
2000 Menschen in kollektiver Erwartung
Nagano vollzieht all die Wendungen so subtil nach wie mit Silberstift gezeichnet: Ergreifend genau trifft er mit jedem Tempowechsel das bange Staunen dessen, der da seine metaphysische Existenz abschreitet. Dass sich im Dickicht der Fugen bisweilen etwas verhakt, kann der Intensität der Aussage nichts anhaben.
Je leiser der riesige Apparat wird, desto mehr steigt die Spannung. Zwischen den Teilen lässt Nagano die Hände sinken und vereint 2000 Menschen in kollektiver Erwartung, wenn nicht gar Andacht.
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Womöglich ist es eins der Rätsel der Missa, dass sich die Balance selbst einem so skrupulös an der Dynamik feilenden Dirigenten wie Nagano widersetzt. Die Gesangssolisten hat er hinter dem Orchester platziert, von wo aus die Stimmen sich im Raum besser entfalten können. Trotzdem haben sie immer wieder Mühe, sich gegen den exzellenten und auch nicht zu laut singenden Rundfunkchor Berlin zu behaupten. Vielleicht liegt daran die Schärfe, die sich bisweilen im Timbre der Sopranistin Genia Kühmeier und des Tenors Christian Elsner zeigt. Die vier finden sich klanglich erst allmählich zusammen. Einer der berührendsten Momente gehört der Mezzosopranistin Tanja Ariane Baumgartner im dunkel getönten „Agnus dei“. Und der Konzertmeister Konradin Seitzer spielt das berüchtigte große Violinsolo im „Sanctus“ mit singendem Ton, beseelt und souverän.
Großer, anhaltender Jubel.
Das Programm wird heute Abend wiederholt. Das Konzert ist ausverkauft.