Hamburg. Eine Einladung Ingo Metzmachers sorgte für Empörung. Am Wochenende dirigieren Nagano und Hengelbrock Beethoven-Werke.
Zu den meistbeschriebenen Charakterzügen Beethovens gehört der Widerwille, sich Autoritäten unterordnen zu sollen. Den eigenen Kopf, und sei er noch so dick, zu leugnen und sich klein machen zu lassen. Im Herbst 2001, auch damals war gerade in Hamburg Wahlkampf, bekam der für seine Streitfreude bekannte Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher eine Gelegenheit, sich wie ein Bruder im Geiste Beethovens fühlen zu müssen.
Tragende Rollen in diesem Polit-Drama hatte neben dem Dirigenten einerseits der Berliner Politiker Gregor Gysi, damals PDS-Spitzenkandidat für das Abgeordnetenhaus, andererseits der Hamburger CDU-Bürgermeisterkandidat Ole von Beust. In der Rolle des Sidekick-Schurken: ein stramm populistischer Richter namens Ronald Barnabas Schill, dessen Parolen viele Hamburger nicht davon abhalten sollten, ihn und seinesgleichen ins Rathaus zu wählen. Die Bühnenmusik zum Drama: Beethovens Neunte, ein Stück, das am 3. Oktober 2001, am Tag der Deutschen Einheit, dann doch nicht so gespielt wurde, wie es Metzmacher sich gedacht hatte.
Einladung Gregor Gysis galt als "geschmacklos"
Der nämlich hatte im Vorjahr die Idee gehabt, einen prominenten Gastredner zu einer Philharmoniker-Aufführung in der Laeiszhalle dazuzubitten. Gysi sollte ebenso Denkanstöße liefern und „anecken“, wie es 2000 der Philosoph Peter Sloterdijk getan hatte. „Schließlich ist auch Beeethoven früher angeeckt“, kommentierte Metzmacher. Und Schillers Worte darüber, dass alle Menschen Brüder würden, gaben leicht genügend her für einen Diskurs. Die Plakate wurden gedruckt.
Doch dann begann der Ärger. Denn Metzmacher war auch Teil der Initiative „Künstler gegen Schill“, die mit einer Anzeigenkampagne „einen Rechtspopulisten im Senat“ nach der Bürgerschaftswahl verhindern wollte. Mit dabei waren etliche Prominente, u.a. Isabella Vértes-Schütter vom Ernst-Deutsch-Theater, Uwe Friedrichsen, Will und Christian Quadflieg, Marius Müller-Westernhagen, Udo Lindenberg und Volker Lechtenbrink, Ralph Giordano und Hans Scheibner. Auch Tom Stromberg vom Schauspielhaus, Ulrich Khuon vom Thalia und der besagte Generalmusikdirektor Ingo Metzmacher gehörten dazu.
Sowohl die CDU als auch die Schill-Partei fanden, dass es keinen eigenständigen Kultursenator mehr brauchen würde. Für Ole von Beust war der Künstler-Protest „nicht gerade eine künstlerisch originelle Bereicherung des Wahlkampfs“; die Einladung von Gysi hielt er für eine „geschichtslose und geschmacklose Entscheidung“ und forderte die parteilose Kultursenatorin Christina Weiss auf, den Auftritt zu unterbinden. Die dachte nicht daran: „Wir sind keine Zensurbehörde, bei uns gilt die Freiheit der Kunst – auch wenn das einigen Leuten nicht passt.“ Auch Schill kritisierte die Initiative: „Diese Künstler machen sich zu Bütteln der SPD.“ Metzmacher hatte seinerzeit über Kunst und Politik gesagt: „Es gibt keine große Musik ohne Widersprüche.“ Der Kommentar des damaligen Hamburger SPD-Landesvorsitzenden: „Die Kunst ist frei.“ Sein Name: Olaf Scholz. „Dass Politiker Künstlern vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben, kennen wir sonst nur aus totalitären Staaten.“
Die Nerven lagen blank in Hamburg in Zeiten des Terrors
Dass das Konzert schon seit Frühjahr 2001 im Philharmoniker-Spielplan stand, dass bei der Planung des Programms der Flirt der CDU mit der Schill-Partei für die Wahl so noch nicht passiert war – all das spielte bei der schnell eskalierenden Empörung um die Gysi-Einladung keine Rolle mehr. Die Nerven lagen blank in Hamburg, auch, weil am 11. September 2001 die Anschläge in den USA die Welt erschüttert hatten. Und weil nur wenige Tage später, was für ein Timing, der Komponist Karlheinz Stockhausen, als Star des hiesigen Musikfests in der Stadt, mit undurchdachten Äußerungen über Terror und Kunst einen Riesen-Skandal ausgelöst hatte und vor die Tür gesetzt wurde. „Ich halte Gysi für einen brillanten Kopf und denke nicht daran, ihn wieder auszuladen“, hatte Metzmacher mittendrin erklärt. Das Ende vom Lied war dennoch ein anderes: Gysi sagte seine Rede ab. Ode an die Freude? Von wegen.
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Am 17. September 2001 meldete die Staatsoper, Gysi und Metzmacher hätten sich darauf geeinigt, „wegen der aktuellen politischen Entwicklungen nach den Anschlägen in New York und Washington“ auf eine Rede vor dem Philharmoniker-Konzert zu verzichten. Beethovens Neunte, das ja. Mehr aber auch nicht. Ole von Beust wurde Ende Oktober Hamburger Bürgermeister. Wie und warum das endete, ist bekannt.
Konzerttermine
Kent Nagano und die Philharmoniker sind am 9.2. (11 Uhr) und 10.2. (20 Uhr) mit Beethovens „Missa solemnis“ in der Elbphilharmonie zu hören. Evtl. Restkarten. Thomas Hengelbrock und seine Balthasar-Neumann-Ensembles präsentieren am Abend des 9.2. (18 Uhr) das Programm des Wiener Akademiekonzerts von 1808 in der Laeiszhalle, in dem gleich vier Beethoven-Premieren stattfanden: 5. und 6. Sinfonie, 4. Klavierkonzert und Chorfantasie. Evtl. Restkarten. Buch-Premiere: Am 19.2. (19.30 Uhr) präsentiert Albrecht Selge im Studio E der Laeiszhalle seinen Roman „Beethovn“. Pianist Florian Heinisch spielt Klavierwerke, die sich auf Beethovens „Unsterbliche Geliebte“ beziehen. (Karten 29 Euro, erhältl. in der Abendblatt-Geschäftsstelle, T. 30309898).
2005, bei seinem Abschieds-Interview, blickte Metzmacher auf diesen kulturpolitisch einmaligen Vorfall zurück: „Das hat mich sehr schockiert. Weil ich nie vorher öffentlich so angegriffen worden bin, in der Hitze eines Wahlkampfs und, wie ich fand, auch sehr zu Unrecht. Und weil ich nicht klug genug war, überhaupt nicht darauf einzugehen.“