Hamburg. Eröffnung der Lessingtage mit der Trägerin des Alternativen Nobelpreises. Vandana Shiva diskutierte auch mit “Fridays for Future“.

Im Foyer des Thalia Theaters kann man sich einen Kaffee kaufen. Der kommt von einer kleinen Hamburger Rösterei, ist herkunftszertifiziert, fair gehandelt und bio. Allerdings suppt er wie gehabt in der Thermoskanne vor sich hin. „Eine andere Welt ist möglich“ lautet der Titel der Lessingtage-Eröffnung am Sonntagvormittag, aber der Kaffee in dieser anderen Welt schmeckt genauso schlecht wie früher.

Der Kaffeestand ist Teil des „Forum For Future“, einer Mischung aus Foodmarket und Präsentation von Nachhaltigkeits-Initiativen in den Theaterfoyers. Und wenn man ein wenig herumschlendert, entdeckt man zwischen dem Stand des Vereins für Nutzpflanzenvielfalt, einem Ingwerdrink-Startup und diversen Bio-Lieferdiensten schließlich doch noch eine ordentliche Espressomaschine. Man muss sich also nicht mit bitterem Thermoskannengesöff zufrieden geben, allerdings macht die Suche ein wenig Mühe – was man auch als Überschrift über die gesamten Lessingtage schreiben könnte.

Lessingtage: 3000 Tickets am Erföffnungswochenende verkauft

Thalia-Intendant Joachim Lux ist jedenfalls guter Dinge bei seinen einführenden Worten. Rund 3000 Tickets wurden am Eröffnungswochenende verkauft, mit anderen Worten: Das Haus ist voll, das Publikum interessiert sich augenscheinlich für das Festival, das bis 9. Februar zwischen 50 und 60 Veranstaltungen nach Hamburg bringt. Aber Lux denkt weiter: Das Interesse an den Lessingtagen ist für ihn nicht nur Interesse an spannendem Theater (wie Thorleifur Örn Arnarssons isländischer Mythen-Dekonstruktion „Die Edda“), sondern auch Ausdruck eines wachsenden gesellschaftlichen Problembewusstseins, das spürt, wie Lessings Humanismus immer mehr unter Rechtfertigungszwang gerät.

Dass Lux bei diesem Problembewusstsein das Theater ganz vorn dabei sieht, ist seiner Profession geschuldet. Als der Intendant sich allerdings dazu versteigt, das Theater als „eine der letzten Einrichtungen, wo sich Menschen real treffen, egal, wie unterschiedlich sie denken“ zu loben, möchte man dann doch aufspringen: Zumindest bei der Festivaleröffnung erweist sich das Thalia-Publikum als homogen bürgerlich, ein Abbild der Stadtgesellschaft ist das nicht.

Sympathisch ist allerdings, wie zitatfest sich Lux erweist. „Warum sollte ich mich um zukünftige Generationen kümmern?“, leitet er mit Groucho Marx zu Kultursenator Carsten Brosda über. „Was haben die jemals für mich getan?“ Und Brosda kontert schlagfertig mit einem weiteren Zitat des Komikers: „Das hier sind meine Prinzipien. Wenn sie Ihnen nicht gefallen – ich hätte noch mehr zur Auswahl!“ Hier entwickelt die Eröffnung eine humorvolle Intellektualität, die den Lessingtagen besser zu Gesicht steht als Lux’ salbungsvolles Beschwören der Integrationskraft von Kunst.

Allerdings sorgt sie auch dafür, dass die Reden drohen, sich in Richtung geistreichen Geplauders zu verabschieden. Brosdas Aufgabe ist es also, den Diskurs erst einmal wieder einzufangen. Und das kann der Senator: mit einer Wendung, die den alten Umweltbewegungs-Slogan „Wir haben die Welt von unseren Kindern nur geliehen!“ ausweitet zum Nachdenken über das Verhältnis von Verleihen und Besitzen. Und zur Frage, inwiefern die verfahrene Lage der Menschheit mit dem Zwang zu Besitz zu tun hat.

Gemeiner Leitspruch für ein Festival namens Lessingtage

Brosda schließt mit Goethe: „Die Konsequenz der Natur tröstet so schön über die Inkonsequenz der Menschen hinweg.“ Was einerseits mit Blick auf die Gegenwart fatalistische Züge hat: Die Natur ist in dem Sinne konsequent, dass sie in Australien reinen Tisch macht und die dortige Umweltzerstörung mit verheerenden Buschbränden straft. Andererseits ist das ein ziemlich gemeiner Leitspruch für ein Festival namens Lessingtage – Goethe und Lessing waren sich bekanntermaßen in herzlicher Abneigung verbunden.

Als Festrednerin spricht schließlich die indische Naturwissenschaftlerin Vandana Shiva. Shiva, geboren 1955 im nordindischen Dehradun, studierte Kernphysikerin und Wissenschaftsphilosophin, Trägerin des landläufig als „Alternativer Nobelpreis“ bezeichneten Right Livelihood Award, ist heute eine der wichtigsten Kritikerinnen der globalisierten Landwirtschaft, insbesondere in Form der monopolisierten Gentechnik. Ihre Rede am Thalia allerdings fasst sie weiter, eröffnet mit einem Rückblick auf Lessings 18. Jahrhundert: „Als diese Texte geschrieben wurden, gab es in Europa Religionskriege. Und wir wurden kolonialisiert.“

Tatsächlich ist die Kritik an der Kolonialisierung ein Thema, das sich durch Shivas gesamte Rede zieht; aus der Kolonialisierung erwächst für sie ein Begriff des Eigentums, der Ausbeutung mit sich bringt. Wobei sie Ausbeutung der Erde und Ausbeutung der Menschen zusammendenkt. „Die Ressourcen auf der Welt gehören nicht uns. Wir gehören der Erde“, mahnte Vandana Shiva, forderte eindringlich konsequenteren Umweltschutz und rief zu zivilem Ungehorsam auf.

Vandana Shiva diskutiert mit drei Jugendlichen von Fridays For Future

Shivas charmesprühende Rede ist gewürzt mit eigenen Erfahrungen. Als Jugendliche habe sie den Protest von Frauen gegen das Abholzen der Wälder im Himalaya-Vorland beobachtet, die Frauen hätten die Bäume umarmt und den Holzfällern gesagt: „Wenn ihr den Wald töten wollt, müsst ihr zuerst uns töten!“ Das erinnert an die Proteste gegen das Abholzen des Hambacher Forsts und leuchtet direkt ein.

Schwieriger ist eine historische Linie, die die Wissenschaftlerin zieht: Die Verbindung von der tief ins NS-Regime verstrickten Unternehmensgruppe IG Farben mit dem Erdöl-Monopolisten Standard Oil wird so zum Menetekel für die Weltwirtschaft, von der Kolonialisierung über den Faschismus bis zur Globalisierung. Vielleicht macht es sich Shiva hier zu leicht, wo sie eine kapitalistische Weltverschwörung konstruiert: „Sie wollen ein Imperium über das Leben schaffen. Aber meine Liebe zum Leben ist so tief, ich werde dieses Imperium nicht zulassen.“ Nun ja: Sobald ein unbestimmtes „Sie“ beschuldigt wird, empfiehlt sich eigentlich erstmal Skepsis.

Zum Abschluss gibt es eine kurze Fragerunde: Shiva diskutiert mit drei bei Fridays For Future aktiven Jugendlichen, über Themen wie sexistische Abwertung weiblicher Positionen, Whataboutism, Politisierung. Da wird die Festivaleröffnung wieder konkret. Vielleicht sind die Jugendlichen tatsächlich diejenigen, die Lessings Humanismus weitertragen: „Bei aller Sorge gibt es Anlass zur Hoffnung“, so Theaterleiter Lux eine Stunde zuvor mit Blick auf die Fridays-For-Future-Generation. „Wann war unsere Gesellschaft zuletzt so sehr in Bewegung? Ich finde das großartig.“

Lessingtage Bis 9. 2., Thalia Theater, Alstertor, Tickets unter 32814444, www.thalia-theater.de

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