2020 wird der 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven gefeiert. Seine Bedeutung ist nicht hoch genug einzuschätzen. Unsere Tipps.
Damals, bei den Peanuts, war alles ganz eindeutig: Lucy, auf den Spielzeugflügel von Schroeder hingegossen, bringt ihn beim Ringen mit einer Sonate aus dem Takt und nimmt einen Smalltalk-Anlauf mit „Ich suche nach der Antwort auf das Leben an sich. Was, glaubst du, ist die Antwort?“ „Beethoven! Beethoven, schlicht und einfach!“, brüllt der kleine Pianist die Nervensäge an. Danach spielt er einfach weiter.
Wenn es um philosophische Erkenntnisse zum Schaffen, zur Bedeutung und der klassischen, Ehrfurcht erregenden Zeitlosigkeit von Ludwig van Beethoven geht, muss man also nicht erst Adornos Deutungsversuche lesen. Man kann Beethoven-Weisheiten genauso gut in einem klassischen Comicstrip finden, Platz genug für die Essenz einer ganzen Musik-Welt war schließlich auch im Vier-Ton-Klopfmotiv der Fünften Sinfonie.
Ludwig van Beethoven: Viel muss man nicht wissen
Man muss eigentlich auch nichts über den angeblich fürchterlich misanthropischen Einzelgänger wissen, der sich so oft unsterblich verliebte, aber immer in die falsche Frau. Leben und Werk berührten sich nicht ständig, und sie bedingten sich auch nicht unentwegt.
Dass Beethoven als Komponist in jungen Jahren sein Gehör verlor (aber fast nie den Lebensmut und den Humor, über den er ebenfalls reichlich verfügt haben soll), ist eine Tragödie, die man seiner Musik fast nie anhört. Denn sie entstand und blieb ja in ihm. Er nahm sie allerdings wohl auch mit etwas anderem als nur den Ohren wahr.
Beethoven-Jahr: Die Tipps
- Große Komponisten-Jubiläen werfen ihre Bücherstapel voraus. Wie zuletzt beim Wagner-Jahr gibt es reichlich Sekundärliteratur über und mit Ludwig van Beethoven.
- Die Bibel für Vollständigkeitsfanatiker ist dabei das schon etwas ältere „Beethoven Handbuch“ (Hg. Sven Hendke, Metzler, 628 S., 39,99 Euro): Grundsätzliches über Werke und Zusammenhänge in einer massiven Schwarte, Essays prominenter Fachautoren und Werkbesprechungen. Wegen des musikwissenschaftlichen Nährwerts eher nichts fürs schnelle Schmökern, aber immens lehrreich, ohne ins Dröge abzugleiten.
- Und das genaue Gegenteil zu: der Taschenkalender „Mit Beethoven durch das Jahr 2020“ (Bärenreiter, 14,95 Euro). Kleine Randbemerkungen an den Wochentagen liefern fast täglich Wissenswertes für zwischendurch.
- Theodor W. Adorno war nicht für Unterwürfigkeit im Umgang mit Themen bekannt. Vor einem jedoch hat er kapituliert: Im Klassiker „Beethoven. Philosophie der Musik“ (Suhrkamp, 388 S., 20 Euro) sind Fragmente und Texte aus Jahrzehnten gebündelt.
- Fein und klug, deutlich leichtgängiger formuliert ist „Sprechen wir über Beethoven: Ein Musikverführer“ (Benevento, 352 S., 24 Euro). Der Titel ist Programm: Autorin Eleonore Büning vergöttert nicht blind und umfänglich, sie hinterfragt und durchleuchtet Klischees und Pauschalurteile. Facetten zu Aspekten der Biografie, die das Gesamtbild bereichern.
- Ähnlich gedacht, doch anders gemacht ist „Der empfindsame Titan: Ludwig van Beethoven im Spiegel seiner wichtigsten Werke“ (Blessing, 432 S., 22 Euro) von Christine Eichel. Der Mix aus Werkaufzählungen und biografischen Gegebenheiten fügt dem Stapel der Lebenslaufbewertungen eine weitere hinzu.
- Der Musikwissenschaftler Martin Geck, Ende November gestorben, präsentierte mit „Beethoven: Der Schöpfer und sein Universum“ (Siedler, 512 S., 26 Euro) bereits vor Jahren ein Standardwerk über Vita und Werke.
- Auf ein knappes Dutzend zentrale Stücke, die neun Sinfonien, konzentrierte sich Karl-Heinz Ott in „Rausch und Stille“ (Hoffmann und Campe, 285 S., 24 Euro), er balanciert zwischen Plauderton und Analyse.
- Auch jenseits der belastbaren Fakten tut sich in nächster Zeit etwas im Bücherregal. Oliver Buslaus Roman „Feuer im Elysium“ (Emons, 496 S., 22 Euro) ist für Januar als „Beethoven-Krimi“ angekündigt; eine Hauptrolle spielt die Wiener Uraufführung der Neunten.
Die Radikalität seiner Musik hat sich abgeschliffen
So ziemlich die gesamte klassische Musikwelt wird das Jahr 2020 damit verbringen, das 1770 in Bonn geborene Genie durch Konzerte zu vergöttern. Überdruss ist längst in vielen Spielplänen programmiert. Die eine „Missa solemnis“; die zwei Fassungen der einzigen Oper außer einem Dutzend Fehlstarts; die fünf vollendeten Klavierkonzerte; die neun Sinfonien; die 16 Streichquartette; die 32 Klaviersonaten …
Im Laufe von knapp 57 Lebensjahren kam Enormes zusammen, übermenschlich Schönes. Allgemeingut, das alles. Ein Welt-Kulturerbe, auch ohne aufwertendes Etikett auf jedem einzelnen Noten-Einband. Beethovens Neunte ist das Stück, das viele Diktatoren, ganz linke wie ganz rechte, gern zur Selbstbestätigung aufführen ließen, obwohl der Text von Schillers Ode nur demokratische Visionen formulierte.
Die Publikumslieblinge konsequent ignorieren?
Schon im ähnlich aufgekratzt inszenierten Mozart-Jahr 2006 kam als Mittel gegen die Übersättigung die ketzerische Idee auf, ob es denn nicht besser wäre, das Ehren in Dauerschleife sein zu lassen und die Publikumslieblinge konsequent nicht zu spielen. Doch das hat schon damals nicht geklappt; auch die Beethoven-Sause 2020 ist weit von einer derartigen historisch reduzierten Aufführungspraxis entfernt. Doch durch das ständige Wiederhören des Beethoven-Kanons schleift sich die Radikalität dieser Musik mehr und mehr ab.
Wer erschrickt heute schon noch, wenn mit dem Finale der Fünften plötzlich die Türen zum Himmel aufgesprengt werden und alles möglich scheint? Wen durchfährt heutzutage noch ein fundamentales Gefühl von Erschütterung, wenn der Trauermarsch der „Eroica“ beginnt und die Zeit stillsteht, weil der Held nicht mehr ist? Die späten Streichquartette? Nun ja, nicht direkt eingängig, aber sind nicht auch die späten Schostakowitschs arg spröde, sind die Bartóks und die Rihms aus dem 20. Jahrhundert nicht noch schwerere Kost?
Beethoven im Rückwärtsgang: der falsche Weg
Wer Beethoven einzig im Rückwärtsgang betrachtet und bewertet, sieht ihn aus der falschen Richtung, weil er in seinen zentralen Werken seiner Zeit so weit voraus war. Die Publikumserfolge – und auch seine anfänglichen Flops – hatten stets damit zu tun, wie virtuos er vor allem harmlose Erwartungen an Musik ignorierte, wie gut er die Regeln kannte, um sie anschließend zu brechen oder wenigstens zu seinen Gunsten sehr weit zu verbiegen.
Kein Wunder, dass Brahms 14 Jahre lang unter einer Komponierblockade litt, als es darum ging, nach Beethovens epochaler Neunter tatsächlich seine eigene Erste komplett aufs Notenpapier zu bekommen. Der Schatten des Beethoven-Denkmals war lang. Und wie bei vielen der ganz großen Komponisten begann fast unmittelbar nach dem Tod die Verklärung. Frühe Biografen holten beim Ausschmücken der Vita gern weiter aus, als es Faktenlage und Nachlass hergaben.
Auch Chuck Berry und Andy Warhol huldigten Beethoven
Als sich im 20. Jahrhundert die Popkultur entwickelte, wurde Beethoven, der tote Bildungsbürger-Klassiker, ein Teil auch davon. Nach Mozart, dem weisen ewigen Wunderkind, wurde er zum nächsten großen Rebellen stilisiert. Chuck Berry besang ihn, Andy Warhol porträtierte ihn. Er starb zwar nicht, schon bevor er älter wurde, wie es in „My Generation“ von The Who sarkastisch erhofft wurde.
Doch er scherte sich, wie jeder ordentliche Star, auch nicht um Autoritäten und Vorschriften. Er war Künstler von Gottes und eigenen Gnaden gewesen, kein Musik-Dienstleister wie die Hofschranzen vor und neben ihm, die Aristokraten-Paläste mit Klangtapeten zukomponiert hatten.
Dieser Beethoven passierte der Musikgeschichte nicht im luftleeren Raum. Er hat von Mozart gelernt und von Haydn, er war Vorbild und Leitstern für Schubert, Schumann, Brahms, Wagner, selbst Stockhausen noch. Bis weit über das Ende der Tonalität hinaus waren und sind seine Meisterwerke über Zweifel weltenweit erhaben. Schroeder wusste also schon sehr genau, weswegen er Lucy anbrüllte.