Hamburg. François-Xavier Roth dirigierte das Mahler Chamber Orchestra – und damit das erste von drei Elbphilharmonie-Konzerten.
Wie versiert und effektiv ein Dirigent seinen Job macht, lässt sich auch daran erkennen, wie wenig man davon leibhaftig auf der Bühne sieht. Als François-Xavier Roth am Freitag die erste von zwei Haydn-Sinfonien servierte, war der optische Eindruck geradezu spärlich: Die Hörner und die Englischhörner des Mahler Chamber Orchestra dozierten wie alte Grübler die getragene Einleitung in Haydns „Philosoph“ vor sich hin, bevor sich die Themen-Dialoge der Instrumentengruppen entwickelten und der zweite Satz, absichtlich verspätet, klassische Funken sprühen ließ.
Und Roth, wie immer takstocklos am Werk? Ließ weitgehend laufen. Das war kein Holzhammer-Humor, kein Hauruck-Haydn, da kam jede kleine, feine Pointe auf den Punkt, selbstverständlich und elegant.
Mahler Chamber Orchestra in der Elbphilharmonie
Roth, Ex-Flötist und Stil-Multitasker, bekannt für extrem fachkundigen und feinfühligen Umgang mit Repertoire von Alt bis Frisch, hatte für das erste seiner drei Elbphilharmonie-Konzerte dieser Saison (jeweils mit sehr anderen Orchestern und entsprechenden Akzenten) diesen Haydn-Hit mit der Sinfonie „Mit dem Paukenwirbel“ kombiniert, weil fast nichts so schwer ist wie die Aufgabe, Haydn derart leicht klingen und wirken zu lassen.
Wie vor gerade anderthalb Wochen auch bei der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen und Paavo Järvi, war auch hier Haydns Nr. 103, die „Mit dem Paukenwirbel“ der Abbinder des angenehm ehrgeizigen Abends, doch der Umgang mit den Noten ging in eine andere Richtung.
Wo die Bremer ein klares, detailmarkantes Profil zeichneten, war Roths Haydn geschmeidiger, tänzelnder, weniger nüchtern, mit mehr euphorischem Engagement für die Wurzeln dieser Musik, während Järvi eher straff nach vorn traben ließ. Da wie dort ein Sensatiönchen: das schwungvoll dahingeworfene Solo des Konzertmeisters. Mit einem Satz: Auch toll, nur eben erstaunlich anders.
Sich ineinander verbeißende Streichergruppen
Die Füllung dazwischen bildeten zwei sehr spezielle Repertoire-Solitäre. Das Doppelkonzert für Klavier, Pauke und zwei Streichorchester (1938) von Martinů und das „Hamburgische“ Hornkonzert von Ligeti, dass 2001 zum 50. der NDR-Reihe „das neue werk“ im Liebermann-Studio uraufgeführt wurde. Hier die wild aufeinander zurasenden und sich ineinander verbeißenden Streichergruppen, zwischen denen sich die Klavier-Soli von Holger Groschopp wie ein hilfloser Schiedsrichter zu schieben hatten, getrieben vom unbarmherzigen, schroffen Puls.
Und anderseits, in Ligetis virtuos vielschichtigem Spätwerk, ein Bravour-Konzert für einen Hornisten mit zu wechselnden Instrumenten - was so eigentlich nicht ganz stimmt, da die vier Naturhörner im Orchester Teil des klanglichs schillernden Gesamteindrucks sind. Bei Stephan Dohr, Solo-Hornist bei den Berliner Philharmonikern, wirkte dieser Akrobatik-Akt wie ein gelassener Spaziergang.
Dohr hatte letztlich sogar noch genügend Ansatz und Nerven, um als Zugabe das Horn-Solo „Appel interstellaire“ aus Messiaens „Des Canyons aux étoiles“ in den Großen Saal zu schmettern, wie einen Siegfried-Hornruf aus einem anderen Universum. Und Roth sorgte, im Vordergrund beinahe unsichtbar geworden, dafür, dass die Musik als Ziel und Mittel des Ausdrucks zu ihrem Recht kam. Und nicht die jeweiligen Egos, von denen nichts in den Partituren steht.
Weitere Roth-Konzerte: 16.1.: Les Siècles „Vier Jahrhunderte Tanz“, Musik von Lully, Rameau, Delibes, Massenet und Strawinsky. 24.2.: Gürzenich-Orchester „Beethoven-Akademie 2020“ Werke von Beethoven, Lachenmann, B.A. Zimmermann u.a. Mit Pierre-Laurent Aimard (Klavier). Elbphilharmonie, evtl. Restkarten.