Hamburg. In der Ausstellung „Amerika! Disney, Rockwell, Pollock, Warhol“ werden am Alten Wall vier Schwergewichte der US-Kunst präsentiert.

Wem sagt Norman Rockwell was? Der Maler (1894–1978) ist in Europa weitgehend unbekannt, in den USA hingegen zählt er zu den bekanntesten zeitgenössischen Künstlern, ein Chronist der Ostküsten-Gesellschaft, dessen fotorealistische Malerei sich tief in die popkulturelle DNA Amerikas eingeschrieben hat, über Szenen in Filmen von Steven Spielberg bis zum Album „Norman Fucking Rockwell“ der Retro-Chanteuse Lana Del Rey. In Deutschland hingegen wurde Rockwell noch nie mit einer institutionellen Ausstellung gewürdigt. Bis jetzt.

Norman Rockwell ist der große Unbekannte in der Ausstellung „Amerika! Disney, Rockwell, Pollock, Warhol“, die vier auf den ersten Blick extrem unterschiedliche und doch eng verwandte Künstler im Bucerius Kunst Forum präsentiert. Gezeigt werden Gemälde aus den USA zur Mitte des 20. Jahrhunderts, aus einer Zeit, in der New York Paris als Kunsthauptstadt der Welt abzulösen begann und in der sich mit dem Abstrakten Expressionismus die erste ureigene Kunstrichtung Nordamerikas entwickelte.

Warum das Bucerius Kunst Forum so gern Amerikaner zeigt

Amerikanische Kunst hat eine gewisse Tradition im Bucerius Kunst Forum, wo man schon mehrfach bedeutende US-Positionen präsentierte, 2007 Malerei aus der Hudson River School, 2008 Porträts des Gilded Age, 2009 Edward Hopper und 2012 die New York Photography. Diese Tradition lässt sich auch aus der engen Verbindung von „Zeit“-Stiftung und Gerd Bucerius mit den USA begründen: Der ehemalige „Zeit“-Verleger Bucerius sah jenseits des Atlantiks Weltoffenheit, Toleranz und Demokratie verwirklicht.

Eine Weltoffenheit, die auch in der Kunst des 20. Jahrhunderts spürbar war, im grenzenlosen Formalismus bei Jackson Pollock, in der Lebens- und Erfolgsbegeisterung bei Andy Warhol, im Bekenntnis zur Unterhaltung bei Walt Disney. Und auch im hintergründigen Humor von Norman Rockwell.

Jackson Pollocks
Jackson Pollocks "Reflection of the Big Dipper" © Pollock-Krasner Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2019 | Pollock-Krasner Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2019

Die Ausstellung aber ist eine (kunst)historische. Aktuell zählen Weltoffenheit und Toleranz nicht gerade zu den herausragenden Charaktereigenschaften der USA, das ist bei der Pressekonferenz zur Ausstellung spürbar. „Wir in der ,Zeit‘-Stiftung sind enttäuscht über das politische Nordamerika heute“, beschreibt Stiftungsvorstand Michael Göring mit bitterem Tonfall das Verhältnis zu den USA unter Präsident Donald Trump, allerdings: „Die politische Seite wird sich auch wieder verändern. Aber die Beziehung, die wir mit Amerika haben, die bleibt weiter bestehen.“

Die Kuratorin und neue Museumsleiterin hat eine klare Haltung

Und auch die Kuratorin (und frisch gekürte Museumsleiterin) Kathrin Baumstark hat eine klare Haltung, aus der heraus sie die Ausstellungsarchitektur beschreibt. Die nämlich bewegt sich weg vom White Cube, hin zu einer pastellfarbenen Ästhetik: „Diese Farbgebung erinnert an die Zeit, als Amerika noch für Freiheit und Demokratie stand, sie erinnert an Cadillacs und ans Art déco Miamis.“ Und nicht an den groben Chauvinismus des Trump-Amerikas, will man ergänzen: Disney, Rockwell, Pollock und Warhol repräsentieren das gute Amerika, das offene, freiheitliche, wagemutige Amerika.

Vom Geschichtenerzähler Disney zu Rockwell, Pollock und Warhol

Klug hat Baumstark die einzelnen Künstler miteinander verbunden. Von Walt Disney zeigt sie frühe Filmstills aus „Three Little Pigs“ (1934), Anatomiestudien aus „Bambi“ (1942), einen Ausschnitt aus dem visionären „Fantasia“ (1940). Dabei geht sie auch auf die Tatsache ein, dass unter dem Disney-Label viele verschiedene Zeichner arbeiteten – was nicht zuletzt die Männerlastigkeit der Ausstellung ein wenig relativiert, indem die eigentlich namenlose Zeichnerin Retta Scott aus der Anonymität geholt wird.

Und vom formbewussten Geschichtenerzähler Disney geht es weiter zu Rockwell, dem Erzähler der großen amerikanischen Gleichheitsgeschichte: ein Fotorealist, der gesellschaftliche Utopien wie Redefreiheit oder Wohlstand für alle in den „Freedom Paintings“ (1943) darstellte und der mit viel Humor in Bildern wie „The Connaisseur“ (1961) oder „Picasso vs. Sargent“ (1966) die Frage stellte, ob moderne oder traditionelle Malerei nun die bessere Kunst sei.

Jackson Pollock und Andy Warhol vereint

Und auch hier versteckt sich ein Ausweis der amerikanischen Toleranz: Die Frage stellt Rockwell, eine Antwort gibt er nicht. Dafür malt er eine so liebenswerte wie handwerklich beeindruckende Hommage an Jackson Pollock, der ihm künstlerisch eigentlich fremd ist.

Andy Warhols
Andy Warhols "Silver Liz", 1963 © 2019 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Artists Rights Society (ARS), New York. Foto: Sammlung Froehlich, Stuttgart | 2019 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. / Licensed by Artists Rights Society (ARS), New York. Foto: Sammlung Froehlich, Stuttgart

Pollock wird in großzügiger Hängung, mit verhältnismäßig wenigen (aber, wie praktisch alles in dieser Ausstellung, hochkarätigen) Exponaten präsentiert. Chronologisch, vom albtraumhaften Akt „Untitled (Woman)“ (um 1930–33) über seine berühmten „Drip Paintings“ bis zur Rückkehr zu figürlichen Formen am Ende seines Lebens. Von den „Drip Paintings“ allerdings gibt es einen interessanten Übergang zu Andy Warhols „Yarn Paintings“ (1983), die direkt auf Pollock Bezug zu nehmen scheinen.

Wobei der Warhol-Teil ansonsten der am wenigsten überraschende der Ausstellung ist: Gezeigt wird Altbekanntes (und überaus Erfolgreiches), Jackie Kennedy, Liz Taylor, Brillo Boxes, Suppendosen. „Hier soll es einfach knallen und Spaß machen!“, erklärt Kuratorin Baumstark – warum auch nicht?

Wobei Spaß ohnehin zentral in der Präsentation ist. „Amerika!“ scheut sich nicht vor massentauglicher Unterhaltung: „Kommen Sie mit Ihren Kids und gucken Sie sich Disney an“, so Baumstark, „kommen Sie mit einem Kunstprofessor und schwärmen Sie von Pollocks ,Reflection Of The Big Dipper‘.“ Mit anderen Worten: „Amerika!“ ist Kunst für alle.

Für alle. Auch etwas, das sich über das Amerika Donald Trumps nur schwer sagen lässt.

Exklusiv für Abendblatt-Leser

Die „Amerika!“-Ausstellung ist täglich von 11 bis 19 Uhr, donnerstags von 11 bis 21 Uhr, geöffnet und vom 19. Oktober bis zum 12. Januar im Bucerius Kunst Forum (Alter Wall 12) zu sehen. Der ausführliche Katalog (Hirmer Verlag, 148 Seiten) kostet 29,-.

Abendblatt-Leserinnen und -Leser können die Ausstellung am 13. November (Einlass: 19 Uhr) in exklusiver Atmosphäre genießen. Geschäftsführer Andreas Hoffmann begrüßt die Gäste, anschließend gibt es einen geführten Gang durch die Ausstellung und ein US-amerikanisch inspiriertes Büfett. Kosten pro Person: 40 Euro, buchbar in der Abendblatt-Geschäftsstelle (Großer Burstah 18-32) und unter T. 30 30 98 98.

Ausstellungen 2020

Das Bucerius Kunst Forum verriet schon jetzt Pläne für das kommende Jahr: Unter anderem gastieren die Londoner Tate und das Pariser Centre Pompidou am Rathausmarkt. Den Anfang macht mit David Hockney einer der bedeutendsten Gegenwartskünstler Großbritanniens. Vom 1.2. bis zum 10.5. zeigt das Bucerius Kunst Forum in Zusammenarbeit mit der Tate London einige seiner Hauptwerke sogar zum ersten Mal in Deutschland. Es folgt mit „Samurai. Pracht des japanischen Rittertums“ eine Sammlung von Samurai-Artefakten (5.6.–13.9.) und im Herbst schließlich (in Zusammenarbeit mit dem Centre Pompidou) eine retrospektive Ausstellung mit Werken von Georges Braque (10.10.2020–24.1.2021).