Hamburg. Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt in einer Ausstellung, wie private Bilder Einfluss auf die Gesellschaft nehmen.
Bauhaus-Künstlerin Lucia Moholy wäre heute das perfekte Insta-Girl. In ihrem Buch „Amateurfotografie“ riet sie Kollegen, die eigene Lebenswelt aufzunehmen und mit der Kamera zu entdecken und eben nicht die großen Ereignisse wie Taufe oder Weihnachten. Und so lichtete T. Lux Feininger sowohl die Katze eines Freundes als auch die Bauhaus-Kapelle ab, zeigte Irene Boyer-Hecht einen Teller mit Makkaroni, Lotte Beese die Webereiklasse von 1928. Tierbilder, Foodies, Party-Impressionen – die Schnappschüsse vermitteln ein Gefühl des Dabeigewesenseins, so wie heute bei Instagram und Co..
Auf eben diese Beziehung geht die Ausstellung „Amateurfotografie - vom Bauhaus zu Instagram“ im Museum für Kunst und Gewerbe ein; auch gestalterisch: Die Exponate sind an grauen Stellwänden montiert (als Bezug auf das Bauhaus), der leuchtend blaue Teppich soll den virtuellen Blueroom symbolisieren. Ausgangspunkt für Kuratorin Esther Ruelfs war, „wie Bauhaus-Künstler die Fehler damaliger Hobbyfotografen als Inspirationsquelle nutzten“.
Schon Alfred Lichtwark zeigte private Fotos in der Kunsthalle
Im Kapitel „Wider die Regeln“ werden extreme Perspektiven, Doppelbelichtungen, Nahaufnahmen, Schatten und Überblendungen zu Stilelementen erhoben. So wie die übergroß erscheinenden Schuhe von Oskar Schlemmer, die László Moholy-Nagy ins Bild setzte. Noch vor den Kreativen in Dessau hatte übrigens Alfred Lichtwark 1893 die Idee, nicht-professionelle Fotografie regelmäßig in der Kunsthalle auszustellen. Sein Dilettantismus-Interesse diente auch dazu, das Volk ins Museum zu holen und so zur Bildung beizutragen.
Die „Gesellschaft verändern“ war erklärtes Zeil der Arbeiterfotografie, die um 1920 einsetzte und vor allem kommunistisch agierte. Die Zeitschriften „Der Arbeiterfotograf“, „Der Kuckuck“ oder das „Neue Bild“ druckten sozialkritische Fotostrecken vieler Bauhaus-Studierender, die Themen: Schwerstarbeit im Hafen, arbeitslose Ehemänner („die deutsche Wirtschaft in der Krise“) und die Angst vor Altersarmut.
Mit Fotografie Körper oder Rollenspiel dokumentieren
Familie, Hobbys, Reisen – den weitaus größten Teil der Ausstellung nimmt die „Eigene Lebenswirklichkeit“ ein. Kurios etwa: die in einer Diaprojektion erzählte „Liebes-Reisegeschichte“ eines Flugkapitäns und seiner angeheirateten Stewardess. Das Kapitel zeigt aber auch, wie private Fotografie zur eigenen Selbstvergewisserung genutzt wurde und wird. Von dem von Kopf bis Fuß tätowierten Albrecht Becker sind zahlreiche Selbstporträts überliefert, mit denen er in den 1960er-Jahren das Making-of seines Körpers dokumentierte.
Auch anonyme Amateure werden ausgestellt, was den Reiz der Fotografien nur noch erhöht. So sieht man eine ganze Bilderwand einer unbekannten Amerikanerin, die sich ab 1980 à la Cindy Sherman in verschiedenen Rollen verewigte. Social Media zum Anfassen liefert der Künstler Joachim Schmid: In 97 kleinen Büchlein versammelt er „Other People’s Photographs“ von digitalen Plattformen.
„Amateurfotografie“ 3.10.-12.1.2020, Museum für Kunst und Gewerbe (U/S Hbf.), Steintorplatz, Di-So 10.00-18.00, 12,-/8,- (erm.)