Hamburg. Oslo Philharmonic und Leifs Ove Andsnes überzeugen in der Elbphilharmonie – nicht nur mit Stücken des norwegischen Komponisten.
Norwegen ist zurzeit Gastland der Frankfurter Buchmesse, und – Zufall oder Absicht – in der Elbphilharmonie spielt das Oslo Philharmonic norwegische Musik. Da darf Grieg natürlich nicht fehlen, und passenderweise ist auch der Solist Leif Ove Andsnes ein Landsmann.
Ob es so etwas wie einen spezifisch norwegischen Klang gibt, darüber soll philosophieren, wer möchte. Jedenfalls haben Andsnes am Klavier und die Streicher des Orchesters ein ähnlich warmes, weiches, dunkles Timbre und verschmelzen ihre Klänge geradezu, wenn sie einander die Phrasen anreichen.
Publikum im Großen Saal spürbar ergriffen
Andsnes lässt an Forte-Stellen wie der Eröffnungspassage das Pedal mitunter verwirrend lange liegen. Aber diese kleinen Fragezeichen macht er vergessen mit seinem atmenden, flexiblen Spiel. Der Wechselgesang mit dem Horn im langsamen Satz ergreift das Publikum im Großen Saal spürbar, und mit dem Volkstanzcharakter und den klingenden Landschaftsbildern des Finalsatzes reißen die Künstler ihre Hörer förmlich aus den Sitzen, als wollten sie ihren Nationalkomponisten noch einmal so recht auf den Schild heben. Grieg, das ist hochromantische, ungekünstelte Emotion, verbunden mit dem Idiom der Heimat, die jahrhundertelang unter fremden Pantoffeln stand.
Begonnen hat der Abend mit einem anderen Norweger: Arne Nordheim, Zeitgenosse und in wüsten Pariser Jugendjahren Mitstreiter des französischen Avantgardisten Pierre Boulez, hat 1961 eine „Canzona per orchestra“ geschrieben, ein Urereignis, packend vom ersten Glissando-Paukenwirbel an. Die Konzertmeisterin und die drei anderen Streicher-Stimmführer zaubern kurze, delikate Soli, die Flöte wirft ein Vogelzwitschern ein, kurz: Diese Musik ist ein sinnliches Vergnügen.
Chefdirigent Vasily Petrenko agiert sensibel und uneitel
Ein rein norwegischer Abend ist es dann aber doch nicht. Der sensibel und uneitel agierende Chefdirigent Vasily Petrenko (nicht zu verwechseln mit Kirill Petrenko, dem Chef der Berliner Philharmoniker) stammt aus Sankt Petersburg und hat – Zufall oder Absicht – für die zweite Konzerthälfte ein Werk aus seiner Heimat aufs Programm gesetzt. Gemeinsam führen sie vor, wie spannend die Bandwurm-Melodien von Rachmaninows Zweiter sein können. Nichts ist oberflächlich oder süßlich, wie das landläufige Urteil dem Komponisten gelegentlich unterstellt. Petrenko spürt den mäandrierenden Linien durch alle Biegungen nach, schärft die rhythmischen und farblichen Kontraste des zweiten Satzes und grüßt im Trubel des Finales schon einmal nach Amerika hinüber, wohin der Komponist 1917, zehn Jahre nach der Uraufführung der Sinfonie, emigriert ist.
Großer Jubel, zwei Zugaben. Von Grieg natürlich, von wem sonst. Den Groove von „Anitras Tanz“ und „In der Halle des Bergkönigs“ aus der ikonischen ersten „Peer-Gynt-Suite“ haben die Musiker im kleinen Finger. Und entlassen ein glückliches Publikum in den lauen Herbstabend.