Hamburg. Bezahlbarer Musikgenuss zu Hause. Bloß ein entscheidendes Element unterschlägt er: Gesungen wird gar nicht ...
Sonntagabend, ein Bürogebäude auf St. Pauli. Sieben Menschen mittleren Alters sitzen bei Sekt, Erdnüssen und Bananenkuchen zusammen, Schanzenviertel-Style, dicke Brillen, Vollbärte, entspannte Coolness. Erwartungsfrohe Blicke, als der Journalist klopft. „Hallo. Ich komme vom Hamburger Abendblatt …“ Was allerdings eine gewisse Enttäuschung provoziert: „Wir haben eigentlich gedacht, dass du uns was vorsingst.“ Tja. Schade.
Designer Jan hat Freunde zu einem ungewöhnlichen Event in seine Arbeitsräume eingeladen: „Operando“, der Opern-Lieferdienst von Felix Stachelhaus. Der Musiker soll heute eine große Portion von Richard Strauss’ 1905 uraufgeführter Oper „Salome“ liefern, aber er verspätet sich. Die am Wochenende verwaisten Räume sind nicht eindeutig beschrieben, anscheinend steht er vor dem Nachbargebäude und sucht die Klingel. Wie der Pizzabringdienst, der sich auch immer im Treppenhaus verläuft, und dann ist die Pizza kalt. Kennt man alles.
Nähe zwischen Pizza und klassischer Musik
Es existiert eine gewisse Nähe zwischen Pizza und klassischer Musik. In Hamburg beispielsweise gibt es einige Ristorantes, die im Namen auf Oper und Musik Bezug nehmen, zum Beispiel das Caruso in Winterhude, das Musica E’ in der HafenCity oder das Terzetto in Rotherbaum. Aber auch in der Kunst wird diese Verbindung manchmal aufgegriffen: In Billy Wilders Krimikomödie „Manche mögen’s heiß“ etwa treffen sich die Mafiosi im Hinterzimmer einer Pizzeria, unter dem Tarnnamen „Freunde der italienischen Oper“. Verständlich, dass Stachelhaus auf die Techniken und Strukturen der Bringdienst-Gastronomie zurückgreift. Und Opern für kleines Geld in die Wohnung liefert, mehrere Vorstellungen schafft er an einem Tag, aktuell im Rahmen der Musiktheater-Plattform Stimme X sogar zum Sonderpreis.
„Wir warten nicht darauf, dass die Leute in die Oper kommen, wir gehen zu ihnen“, beschreibt der studierte Schlagzeuger sein Vorhaben, als er endlich den richtigen Eingang gefunden hat und die Gerätschaften für seinen Auftritt aufbaut. „Was macht Oper denn eigentlich aus? Multimedia!“ Für Stachelhaus bedeutet das, dass er Musik, Performance, Bühne in eins denkt, um der Vorlage gerecht zu werden. Also holt er aus seinem Lieferantenrucksack Rechner und Beamer, kleine Scheinwerfer, zwei Lautsprecher – voilà, Orchester und Bühnentechnik. Außerdem hat er ein paar Instrumente mitgebracht, Triangel, Becken, Lamellophon, mit denen er das digitale Playback-Orchester unterstützt.
Oper oder doch eher Musikperformance?
Und dann performt er. Den Schleiertanz der Titelheldin als zentrales Element von „Salome“ mittels langsam aus dem Rucksack gezogener Tücher, den abgeschlagenen Kopf des heiligen Johannes durch im Dunklen gespenstisch leuchtende Kugeln. Die Musik, die zu Beginn noch nahe an Strauss’ um die Jahrhundertwende entstandener Komposition ist, wird zunehmend abstrakt, nähert sich durch Stachelhaus’ Spiel an den mitgebrachten Perkussionsinstrumenten der Neuen Musik an. Und der Beamer wirft assoziative Bilder an die Bürowand, zerplatzende Seifenblasen, Nebel.
Ist das tatsächlich Oper? Oder doch eher eine Musikperformance? Im Grunde ist das egal: Was hier entsteht, ist jedenfalls armes Theater, mit ganz einfachen Mitteln, das bei der Feiergesellschaft im Designbüro optimal funktioniert. Klar: Dieses Publikum ist bereit für Experimente, Stachelhaus rennt hier offene Türen ein, und spätestens als der gebürtige Essener mit nonchalantem Ruhrpottslang seine Vorgehensweise beschreibt, hat er ohnehin die Herzen der Anwesenden gewonnen.
Wichtiges Element der Oper fehlt
Was bei Zuhörern mit klarerer Erwartungshaltung wohl schwerer sein dürfte, zumal das Projekt ein wichtiges Element der Oper unterschlägt: Es wird nicht gesungen. Stachelhaus hat keine ausgebildete Stimme, also muss das in seiner Performance unter den Tisch fallen. Freilich nicht als Verzicht, sondern als künstlerische Entscheidung. Wobei klar sein muss, dass es hier nicht nur um reine Partyunterhaltung geht, Zerstreuung zwischen Schaumwein und Bananenkuchen, sondern um Kunst: „Oper ist für mich vor allem eine große Ernsthaftigkeit, mit der man etwas auf die Bühne stellt“, meint Stachelhaus. Hingabe ans Werk, künstlerischer Anspruch. So eine Haltung könnte auch einem konservativen Opernfan gefallen, sofern er sich auf ein Projekt wie „Operando“ einlässt.
Nach 20 Minuten ist die Performance vorbei. Stachelhaus packt ein, er muss weiter: Es gibt noch eine weitere Oper auszuliefern, diesmal in Ohlsdorf. Per Fahrrad geht es raus in die Herbstnacht, immerhin regnet es nicht. Was einen eben so beschäftigt, als Lieferdienst.
Für Schnellentschlossene: Operando ist noch einmal im Rahmen der Reihe Stimme X am 26.10. zum Sonderpreis von 15 Euro zu buchen, ansonsten lässt sich das Projekt ab 50 Euro über operando.pb.online nach Hause bestellen.