Tel Aviv. Der große israelische Schriftsteller ist im Alter von 79 Jahren gestorben. Die Bücher von Amos Oz wurden in 37 Sprachen übersetzt.

Es sind die „elementaren Kräfte“, von denen der Schriftsteller Amos Oz nicht nur in seinem Band „Unter Freunden“ erzählt hat: Geschichten, die von Einsamkeit handeln, „von Liebe. Von Verlust. Von Tod. Von Sehnsucht. Von Verzicht und Verlangen. Also von den grundlegenden Dingen, die jeden betreffen“, erklärte Oz damals. Der Tod ist stets die letzte der beschriebenen Elementarkräfte. Nur bei Schriftstellern, zumal bei den großen, macht er bisweilen eine Ausnahme. Sie leben in ihren Worten weiter.

Amos Oz, der den Literaturnobelpreis nie bekam, aber verlässlich auf den Kandidatenspekulationslisten auftauchte, ist im Alter von 79 Jahren gestorben, wie seine Tochter Fania Oz-Salzberger auf Twitter mitteilte. Er war der wohl berühmteste Autor Israels, ein „Mann des Friedens und der Mäßigung“, der die Macht seiner Worte unermüdlich für die Verständigung einsetzte.

In mehr als 35 Sprachen übersetzt

Gehört wurde er weltweit: Oz’ Bücher wurden in mehr als 35 Sprachen übersetzt. Sein literarisches Meisterwerk war der autobiografische Roman „Eine Geschichte von Liebe und Finsternis“, in dem er unter anderem seine Zeit im Kibbuz Hulda beschrieb. Mehr als 30 Jahre lang lebte Oz im Kibbuz, auch „Unter Freunden“ erzählt aus eben diesem Umfeld.

Am 4. Mai wäre Oz, der 1939 als Amos Klausner in Jerusalem geboren wurde, 80 Jahre alt geworden. Gern hätte man die großen Interviews gelesen, die zu solchen Anlässen üblich sind, wäre ein weiteres Mal seinen Gedanken gefolgt, dem unbedingten Glauben an die Weltvernunft und der Hoffnung darauf, dass ein Friede im Nahen Osten noch immer möglich sei – wenn auch, so Oz, wohl kein „perfekter Friede“. Seit 1977 hatte sich Amos Oz in der von ihm mitbegründeten Friedensbewegung „Schalom achschaw“ (Peace Now) engagiert. Israel sei „die natürliche Heimat zweier Völker und zweier Kulturen“, fand der Befürworter der Zweistaatenbildung.

Er wollte Traktorfahrer werden

Sich selbst, der so erhellend und klug über das Leben zu sprechen und zu schreiben vermochte, beschrieb Amos Oz vor ein paar Jahren in einem Interview mit der „Zeit“ als „kleinen Mann“, der in einer „Wohnung voller Bücher“ sitze. Traktorfahrer habe er werden wollen, als er mit 14 in den Kibbuz zog, kein Intellektueller wie sein Vater. Seine Eltern sprachen elf Sprachen, keine davon lehrten sie ihren Sohn – damit er nicht „vom tödlichen Charme Europas verführt“ werde. „Als ich ein Kind war, sprachen alle über Vierzigjährigen um mich herum andere Sprachen“, erzählte er später. „Nur wir Kinder sprachen Hebräisch.“

Sein Schreiben habe „auf persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen basiert“, erklärte Oz in der „Welt“, als sein viel besprochener Roman „Judas“ 2015 erschien, „aber ich kann kaum jemals sagen, auf welchen Erfahrungen und auf welchen Beobachtungen“. Vielmehr werde er als Autor selbst von seinen Figuren überrascht, manchmal so heftig, dass er fast vom Stuhl falle.

Dem Leser Trost spenden

Und auch wenn ein Roman die Wirklichkeit nicht ändern könne, so könne er dem Leser dennoch Trost spenden „und ihm das Gefühl geben, dass er mit seiner Einsamkeit nicht allein ist“. Das galt auch für die Arbeit dieses Mannes, obschon er selbst diesen Nutzen womöglich nicht immer spürte. Er habe, bilanzierte Oz, neben seiner literarischen Arbeit sicher Hunderte politischer Artikel geschrieben, die Welt allerdings habe er damit nicht verändern können. „Ich komme lediglich einer Verantwortung nach, die ich als Schriftsteller verspüre.“ Fast klang das ein wenig desillusioniert. Den Frieden, für den er keine Alternative sah, hat er nun nicht mehr miterlebt.

2014 erhielt er in Hamburg den ersten Lenz-Preis

Amos Oz’ Lebenswerk wurde unter ­anderem mit dem Israel-Preis, dem Goethe-Preis, dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und dem Heinrich-Heine-Preis ausgezeichnet. 2014 erhielt er in Hamburg den ersten Siegfried-Lenz-Preis, gestiftet und benannt nach seinem Freund, der kurz zuvor gestorben war. „Ich bin aufgewachsen mit dem Boykott gegen alles Deutsche“, erklärte Oz während der Preisverleihung im Deutschen Schauspielhaus, „mit Ausnahme der deutschen Literatur.“ Lenz bezeichnete er als „Deutschlands Gewissen“ und beschrieb damit auch die Rolle, die den entscheidenden Schriftstellern seiner Generation zufiel. Auch ihm selbst.

„Niemand ist wirklich an dem Tag geboren, der in seinem Ausweis steht. Wir sind lange davor geboren“, glaubte Amos Oz. Das kulturelle und historische Erbe ist größer als es ein einzelner Lebenslauf sein kann, eine Erkenntnis, die in beide Richtungen gilt. Ein Leben beginnt früher und dauert länger, als es am Ende in der Todesanzeige steht.

Als Amos Oz 75 Jahre alt war, wurde er in einem Zeitungsinterview gefragt, ob die Seele unsterblich sei. „Wenn Sie mich das in ein paar Jahren noch einmal fragen“, entgegnete er, „kann ich Ihnen die Antwort verraten.“