Hamburg. Der “Tatort“ mit Wotan Wilke Möhring läuft erst 2020 im Ersten – der Mord im Rotlichtmillieu feierte aber schon jetzt Hamburg-Premiere.
Sie hätten den Mythos von St. Pauli abbilden wollen, ohne in die Klischeefalle zu tappen: Das beteuerten die Macher des neuen Hamburg-„Tatorts“ „Die goldene Zeit“ mit Wotan Wilke Möhring bei der öffentlichen Uraufführung am Sonntagabend im Cinemaxx am Dammtor. Die umjubelte Premiere des Kiez-Krimis, der erst 2020 in der ARD laufen wird, war ein Programmpunkt des Hamburger Filmfestes.
So viel sei verraten: Die Fernsehzuschauer dürfen sich auf einen erstklassig besetzten und von der erst 33 Jahre alten Regisseurin Mia Spengler sehenswert inszenierten „Tatort“ vom Kiez freuen, der das Rotlicht auf St. Pauli mehr oder weniger realistisch abbildet. Ein leiser, trockener Humor wechselt sich ab mit tiefschürfender Tragik, beklemmender Brutalität, viel Blut und (kleinen) Längen in der Mitte.
Neuer Hamburg-"Tatort": Auftragsmord im Rotlichtmillieu
An manchen Stellen kommt das Reeperbahn-Drama allzu durchschaubar daher – und die Drahtzieher eines Auftragsmordes müssen sich schon vorzeitig geschlagen geben. So richtig spannend wird es erst wieder zum Schluss, als es noch einmal um Leben und Tod für die Protagonisten geht…
Zur Handlung: Der Sohn eines Kiezkönigs wird vor seiner Wohnungstür erstochen. Die Aufnahmen der Überwachungskamera zeigen: Der Täter, gespielt von Bogdan Iancu, ist noch ein Junge, erst 14 oder 15 Jahre alt, der sich in seiner Rolle als rumänischer Auftragsmörder selbst als „Profi“ bezeichnet, was er natürlich nicht ist: Er lässt sein Handy am Tatort zurück, was aber nicht die Polizei, sondern der Handlanger des Opfers entdeckt und ihn sofort auf die Spur des Täters bringt.
Wotan Wilke Möhrings Kommissar Falke hat Kiez-Vergangenheit
Der auf Rache gesinnte Handlanger des Opfers, das Kiez-Urgestein Michael Lübke (gespielt von dem Österreicher Michael Thomas), überbringt dem Vater des Erstochenen auch die Todesnachricht. Der alternde Bordellbesitzer (gewohnt grandios: Christian Redl) lebt demenzkrank und künstlich beatmet im Luxus-Pflegeheim. Während sein Sohn vor der Ermordung das Reeperbahn-Laufhaus des Vaters am Laufen hielt, fördert seine Tochter junge Musiktalente mit einer Stiftung, die mehr mit dem Rotlicht zu tun hat, als sie – die neue Alleinerbin des umkämpften Kiez-Etablissements – zugeben möchte…
So nah dieser detailverliebte „Tatort“ scheinbar am Kiezleben und seinen Bandenkriegen dran sein mag, so sehr wird die Geschichte mit Nebensächlichem überhäuft. Denn auch Hauptkommissar Falke (Wotan Wilke Möhring) hatte vor 30 Jahren eine Vergangenheit auf St. Pauli. Als Türsteher im Milieu. Und irgendwas mit Drogen. Immerhin: Die alten Kontakte helfen ihm bei den Ermittlungen ungemein.
Story des Reeperbahn-"Tatorts" scheint 30 Jahre alt zu sein
Seltsam nur, dass die Geschichte 2019/2020 spielen soll. Albanische Clans, die versuchen, alteingesessene Rotlichtbetriebe auf St. Pauli zu übernehmen – das passt eher in die 90er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Und dass rumänische Zwangsprostituierte gruppenweise mit Linienbussen auf dem ZOB ankommen und von ihren Zuhältern auf St. Pauli gefoltert und auf abscheulichste Weise mundtot gemacht werden, ist – hoffentlich – auch nicht aktuell.
Es scheint für die Filmemacher aus dem Schanzenviertel aber zum „Mythos St. Pauli“ dazu zu gehören. Ebenso wie das eine oder andere unvermeidliche Klischee, beispielsweise das von der Ex-Hure (Jessica Kosmalla), die eine Kiezkneipe betreibt und schweren Herzens ihre große Liebe verpfeift…
Kommissar Falke darf überall ermitteln – zumindest im "Tatort"
Da stört es nur am Rande, dass Hauptkommissar Falke eigentlich bei der Bundespolizei arbeitet, aber einen – noch dazu legal eingereisten – Mörder auf der Reeperbahn jagt. Das wäre in Wirklichkeit ein Fall für die Mordkommission des Landeskriminalamts (LKA) Hamburg.
Und was sagt Falke selbstbewusst, um diesen Makel zu rechtfertigen? „Die wollen mit uns wohl ihre Aufklärungsquote steigern.“ Mission erfüllt. Ob es am Ende auch die Einschaltquote steigert oder die Zuschauer schon zur Mitte hin umschalten, wird sich erst im Frühjahr 2020 zeigen.