Hamburg. Gleich mit zwei Filmen ist die Schauspielerin beim Filmfest Hamburg zu Gast. Beim Theater macht sie derzeit Pause.

Im deutschen Film ist Nina Hoss die Frau der Stunde. Am Sonnabend wurde sie in San Sebastian als beste Hauptdarstellerin im Film „Das Vorspiel“ von Ina Weisse ausgezeichnet. Beim Filmfest Hamburg erhielt sie am Sonntagabend den Douglas Sirk Preis. Hier war sie zusätzlich noch mit dem Film „Pelikanblut“ von Katrin Gebbe im Programm vertreten. Laudator Michael Thalheimer, früher Regisseur am Thalia Theater, heute vor allem in Berlin tätig, sagte über die 44-Jährige, mit der er mehrfach zusammengearbeitet hat: „Ich kenne keine Schauspielerin, die sich so intensiv auf Ihre Rollen vorbereitet wie Nina Hoss. Alles möchte sie wissen, alles möchte sie tief ergründen. Sie sucht die Diskussion und den Diskurs.“

Zu Beginn Ihrer Karriere haben Sie 1999 in Hamburg Ottokar Runzes Klaus-Mann-Verfilmung „Der Vulkan“ gedreht. 20 Jahre später laufen hier beim Filmfest zwei Filme im Programm und Sie werden mit dem wichtigsten Preis des Festivals ausgezeichnet. Haben sie etwas mit den Filmen von Douglas Sirk am Hut?

Nina Hoss Christian Petzolds „Barbara“ hat eine Menge mit ihm zu tun. Es geht bei Sirk, ursprünglich Detelef Sierck, auch darum, ausreisen zu müssen, um sich eine neue Identität zu erschaffen. Das verbinde ich mit ihm und finde es fantastisch, dass es diesen Preis hier gibt. Ich fühle mich so geehrt, dass ich hier ausgewählt wurde, damit hatte ich nicht gerechnet. Wenn man sich die Reihe der bisherigen Gewinner ansieht: Darin stehe ich wirklich sehr gern. Das sind genau die, an denen ich mich orientiere.

Was sagen Sie zu den Frauenrollen von Douglas Sirk?

Sie waren vor allem widersprüchlich und damit eigenständige Figuren.

In „Vorspiel“ spielen Sie auch eine widersprüchliche Frau, eine Geigenlehrerin, die ihren Schüler an seine Grenzen treibt.

Genau das hat die Rolle für mich so interessant gemacht. Es war wie eine Entdeckungsreise. Ich habe Geigespielen gelernt und dabei mehr über Anna erfahren, als ich vorher dachte. Ich spiele zwar Klavier, war aber überrascht, was dieses Saiteninstrument mit einem macht. Es liegt auf und an einem, es wird warm, man sieht die Töne nicht, sondern muss sie erspüren. Es ist so ähnlich wie beim Singen: Du hast einen Ton als Vorstellung, aber du musst es riskieren, ohne einhundert Prozent sicher sein zu können, dass du ihn triffst. Die Violine ist dabei wie die Verlängerung des Körpers. Letztendlich kann man das Spiel aber nicht kontrollieren, und das ist für mich Anna: Sie sucht nach der Balance zwischen Kontrolle und Freiheit.

Hat es für Sie eine Rolle gespielt, dass eine Schauspielkollegin Regie geführt hat?

Überhaupt nicht. Sie war die Regisseurin, ich die Darstellerin. Ina Weisse hatte einen ungeheuer genauen Blick für jeden einzelnen und wusste, wie sie mit jedem von uns arbeiten musste. Jeder kommt anders zum Ergebnis. Und dafür hat sie das richtige Gespür. Das hat vielleicht doch etwas damit zu tun, dass sie selbst Schauspielerin ist.

Eigentlich sind Sie in erster Linie Theaterschauspielerin. Dort machen Sie aber zurzeit eine Pause und reihen stattdessen ein Filmprojekt an das nächste. Warum?

Ich habe zu oft gehört: Du musst auch mal zur Verfügung stehen. Im Moment fühle ich mich wie in einem Wirbelwind. Ich habe über mehr als sechs Monate den Vierteiler „Shadowplay“, der unter anderem vom ZDF produziert wurde, mit Taylor Kitsch in der Hauptrolle, in Prag gedreht. Von dort aus bin ich nach Toronto geflogen und habe die beiden neuen Filme im Festival vorgestellt. Am letzten Sonntag war ich beim Festival in San Sebastian. Zwischendurch kommt auch noch die Netflix-Serie „Criminal“ raus. Außerdem habe ich auch noch „Schwesterlein“ mit Lars Eidinger gedreht. Aber es ist großartig, ich genieße meinen Beruf gerade sehr. Beim Theater muss ich der Leitung sonst sechs Monate im Voraus die Termine geben, weil wir ein Repertoire-System haben. Ich habe mit Thomas Ostermeier an der Schaubühne ausgemacht, dass wir eine Pause machen.

Auch mit Christian Petzold, mit dem sie schon mehrere Filme gedreht haben, machen Sie zurzeit eine Pause.

Wie waren nach so vielen großartigen Arbeiten an dem Punkt angelangt, an dem wir sagten: So jetzt müssen wir erst einmal frische Luft reinlassen.

In „Pelikanblut“ spielen Sie die Pferdetrainerin Wiebke, die ein fünf Jahre altes Mädchen aus Bulgarien adoptiert. Erst später merkt sie, dass Raya an einer reaktiven Zuneigungsstörung leidet und regelmäßig austickt. Wie schwer war das herzustellen?

Mich hat an dem Drehbuch fasziniert, dass es so weit geht. Regisseurin Katrin Gebbe wollte es genau dahin treiben. Der Film spielt auch mit dem Horror-Genre. Wiebke ist so empathisch, dass es ihr schlicht unmöglich ist, Tiere oder Menschen aufzugeben. Ihr Schlüsselsatz lautet: Das Problem sind nicht die Tiere. Die Menschen bringen traumatisierte Tiere zu ihr, wenn sie nicht mehr an sie herankommen. Und Wiebke kann ihr Vertrauen zurückgewinnen.

Es gibt eine Szene, in der Sie dem Pferd erst klar machen, wer der Chef ist. Dann drehen Sie ihm den Rücken zu. Dass vorher aggressive Pferd kommt friedlich zu Ihnen und signalisiert seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Man nennt das „join up“.

Ich habe das selbst ausprobiert, man könnte weinen. Da geschieht etwas auf einer anderen Kommunikationsebene, die wir uns normalerweise gar nicht erlauben. Man muss sehr bei sich sein, damit das Tier einen versteht. Wiebke glaubt aber auch nicht daran, dass Menschen verloren sind. Es war eine Herausforderung. Beide Mädchen haben mir sehr vertraut, das war toll. Die Kinder sind vor Beginn der Dreharbeiten zusammen in Urlaub gefahren. Sie waren sich sehr nah und konnten ohne Hemmungen miteinander spielen. Die Mutter des einen Mädchens, Katarina, leitet selbst ein Jugendtheater. Wir haben mit ihr eine Parallelgeschichte entwickelt. Immer wenn sie „wild“ werden musste, spielte sie „den Löwen“. Nachdem sie das bis zum Ende durchgehalten hatte, bekam sie ein „Zertifikat“, dass sie eine „Tierärztin“ ist. So konnten wir den eigentlichen Horror der Geschichte von ihr fernhalten. Sie wusste, was spielen ist, auch wenn ich sie angeschrien habe. Wir haben versucht, es so spielerisch wie möglich zu machen. Katarina ist unglaublich mutig. Ohne sie wäre der gesamte Film nicht aufgegangen.

Der Film fragt: Ist das Kind krank oder die Gesellschaft?

Ist doch schön, wenn sich die Frage stellt. Ich habe das getan, hasse aber nichts mehr, als wenn man belehrt aus dem Kino kommt.

Haben Sie denn eine Antwort gefunden?

Nein. Aber Leute fallen zu lassen ist manchmal leichter als der andere Weg.

Den schweren Weg gehen: Ist das auch Ihr schauspielerisches Berufsethos?

Für mich bestimmt. Ich will im Spiel viel untersuchen, herausfinden und erleben. Das bedarf natürlich einer Vorbereitung, und damit wären wir wieder bei dem Film „Das Vorspiel“. In allen Künsten muss man die Technik beherrschen und vorbereitet sein, damit du im Moment der Kreation frei und gelöst bist und den Zufall dazu kommen lassen kannst. Das ist anstrengend, aber auch die große Freude.