Wedel. Das Ernst Barlach Museum in Wedel zeigt die erste Ausstellung nach dem Tod des berühmten Modeschöpfers und Fotografen.
Lagerfeld mit Python um den Hals geschlungen, vor dem illuminierten Eiffelturm, mit Kamera, am Zeichentisch, vor seiner monumentalen Bücherwand – 113 Mal Lagerfeld, so wie er sich der Welt präsentieren wollte: drahtig, mit Silberzopf und Kentkragen, immer sonnenbebrillt, niemals lachend. Es scheint, als habe er nicht genug bekommen können von der Lust, sich als Kunstfigur zu inszenieren. Die Hybris auf die Spitze getrieben: Auf einem Bild trägt er sein gedrucktes Konterfei unterm Arm, es ist auch das Ausstellungsplakat. Exzentriker, Künstler, genialer Modeschöpfer, Narziss – es gibt viele Seiten an dieser Kunstfigur. Zu fassen ist Karl Lagerfeld nicht.
„Für mich war er der normalste Mensch der Welt. So, wie viele Prominente setzte er eine Maske auf, damit ihm Journalisten und das Publikum nicht zu sehr auf die Pelle rückten. Bei Günter Grass war das genauso“, sagt Gerhard Steidl. Er ist aus Göttingen angereist, um die Ausstellung „Karl Lagerfeld – Visions“ vor ihrer Eröffnung am Sonntag zu inspizieren. Der Inhaber des Steidl Verlags hat das Gros der Fotografien beigesteuert, die jetzt im Ernst Barlach Museum in Wedel gezeigt werden. Gemeinsam mit Eric Pfrunder, der das Modehaus Chanel heute mit Virginie Viard leitet, hat er kuratiert. Die Ausstellung in Kabinetten ist laut Steidl „ein schöner Appetithappen“ für die große Überblicksausstellung zu Lagerfelds Arbeit, die er für März 2020 in der Moritzburg in Halle vorbereitet.
Sie lernten sich 1993 kennen
Die beiden lernten sich 1993 kennen: „Karl Lagerfeld hatte den Lucky Strike Designer Award gewonnen. Neben einem Preisgeld bekam man dafür eine Monografie, die von mir verlegt wurde. Also schrieb ich ihn an und bat um ein Treffen, um alles Nötige zu besprechen. Es kam prompt ein Brief zurück, in dem stand: ,Das Letzte, was ich im Leben will, ist eine Monografie.’ Wenn überhaupt, wäre er an einem gut gemachten Fotobuch interessiert.“ Lagerfeld schickte Fotografien an Steidl, der wiederum Papiere auswählte und Probedrucke nach Paris sandte. Mit dem Kommentar „Ich merke, wir sind beide Papierfreaks“ besiegelte Lagerfeld die Zusammenarbeit, aus der eine 25 Jahre andauernde Buchfreundschaft wurde.
1994 erschien das erste gemeinsame Werk „Off the records“. „Es ist immer noch sensationell gut, so frisch wie am ersten Tag“, findet der Verleger. Fortan verging keine Woche, in der die beiden nicht über ein Projekt sprachen; „wir hatten eigentlich immer was am Köcheln: literarische oder fotografische Bücher.“ Auch über die Foto-Ausstellung hatten beide noch im Dezember 2018 gesprochen, bei der letzten Métiers d’Art-Schau des Meisters in New York.
Erste posthume Ausstellung
„Visions“ ist die erste posthume Ausstellung über den berühmten Modeschöpfer, der am 19. Februar in Paris starb. „Am Tag seines Todes dachte ich, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Ausstellung wäre“, sagt Jürgen Doppelstein, Direktor des Museums. Zu sehen sind keine Figurinen mit Tweed-Kostümen, keine Accessoires oder Einladungen zu Modenschauen im Pariser Grand Palais. Zu sehen sind 150 Fotografien, die Lagerfeld zu seinem eigenen Vergnügen gemacht hat.
„Die meisten Leute kennen seine Modefotos für Chanel und Fendi aus Magazinen oder Katalogen, die massenhaft produziert wurden. Das, was wir hier sehen, ist seine private Fotografie, die er an die offiziellen Fotoshootings dranhängte. Es kam häufig vor, dass er während der Fotoarbeit für eine Kampagne eine Idee hatte, etwa den Schatten eines Baumes einfing, der auf die Straße fiel. So entstand ein Landschaftsfoto. Er hatte ein brillantes Gespür für fotografische Situationen und ein tolles Auge, vor allem für Licht und Schatten“, sagt Gerhard Steidl.
Schau ist eine Hommage an andere Künstler
Auf diese Weise setzte der Fotograf auch den schönsten Models und begehrtesten Schauspielerinnen ein Denkmal: Lara Stone und Heidi Mount fotografierte er für die Zeitschrift „Numéro“ im Bett mit Baptiste Giabiconi (der Lagerfeld-Liebling ist ohnehin omnipräsent in der Schau). Das Treppenhaus zieren die 36 Motive, die Lagerfeld für den Pirelli-Kalender 2011 schoss, darunter Kate Moss und Julianne Moore in Szenen der griechischen Mythologie. Im Untergeschoss ist seine ikonische Bildstrecke aus der Hamburger Speicherstadt für „Vogue“ zu sehen, die ihre Vollendung 2017 bei der Chanel-Show in der Elbphilharmonie fand.
Im Erdgeschoss hängen Bilder, zu denen sich Lagerfeld von drei Künstlern inspirieren ließ: Verloren wirkende Models in Hotelzimmern à la Edward Hopper, malerische, mit Objekten angereicherte Settings, für die die New Yorker Designerin Florine Stettheimer berühmt war und schließlich theatrale Bildwelten, die an einen Künstler der klassischen Moderne, Lyonel Feininger, erinnern. Dass er sein Biotop, die Modewelt, (selbst)kritisch sah, zeigt die Fotostrecke mit dem Model Eva Herzigová, bei der er ewige Jugend und Verfall mit dem „Bildnis des Dorian Gray“ verarbeitete.
„Seine Fotografie ist ein Kosmos an Interpretationsmöglichkeiten, das fasziniert mich“, sagt Jürgen Doppelstein, der beim Gespräch passenderweise ein Hemd der Marke „Karl“ trägt. Auf der Suche nach Leihgebern entdeckte er eine kleine Sensation: nämlich eine Geburtsanzeige in der Deutschen Sonntagszeitung vom 12. September 1933, in der die Eheleute Lagerfeld „glücklich die Geburt eines gesunden Sohnes“ bekanntgaben. Darunter die Ortsangabe Baurs Park – „dort befand sich damals eine Privatklinik“, so der Direktor. Das ewige Rätselraten um Lagerfelds Geburtsjahr wäre somit beendet.
Betrachter kann sich Person Lagerfeld nähern
Die große Eröffnung wird fünf Tage nach seinem Geburtstag stattfinden. Am 10. September wäre Karl Lagerfeld 86 Jahre alt geworden. Und es ist tatsächlich ein Fest der fotografischen Ästhetik, der Huldigung körperlicher Schönheit und der kunsthistorischen Inspiration, das dort stattfindet. Fotografie sei neben Mode und Büchern das, was er am liebsten betreibe, hat der gebürtige Hamburger einmal gesagt. Er sah sich als „Auge für den Zeitgeist“.
„Karl Lagerfeld hat seine Arbeit geliebt, sie stand stets im Vordergrund“, erzählt Gerhard Steidl. Er habe sehr präzise und diszipliniert gearbeitet und war auf ebenso gepolte Mitarbeiter angewiesen. „Diese waren ihm nicht ergeben, vielmehr zollten sie einem Mann Respekt, der bis zur Erschöpfung arbeitete, um die Sachen voranzubringen.“
„Visions“ will den Blick in die Zukunft richten, denn nichts hasste Lagerfeld so sehr wie den Begriff der Retrospektive und alles, was damit verbunden ist. „Jeder kennt Lagerfeld und seine Modefotos. Jetzt ist der Betrachter gefragt,“ so Jürgen Doppelstein. „In der Ausstellung kann man sich über die Fotografie der Person Karl Lagerfeld annähern und so sein Bild erweitern.“