Hamburg. Im Frühjahr 1973 traf die Abendblatt-Reporterin Inge Pohl den Modestar Lagerfeld in dessen Pariser Wohnung.
Eigentlich war ich darauf gefasst, einen „Modeschöpfer“ zu treffen. Dem war jedoch nicht so. Was ich traf, war von einer Gattung, die heute langsam wieder nachzuwachsen scheint – ein Dandy, der sich hervorragend auf moderne Industrietechniken versteht und damit viel Geld macht, ein junger Mann von durchaus internationaler Klasse, sich seiner Vorzugssituation bewusst und daraus das Vergnügen ableitend, nicht nur starr auf seine Bankauszüge zu blicken.
„Hier sieht’s aus wie auf der ,Bremen‘ in ihren besten Tagen“, sagte ich statt einer Begrüßung. Das portugiesische Hausmädchen hatte mich eine halbe Stunde lang in einem Raum warten lassen, dessen Palisander, Ebenholz, fliederfarbig lackierte Wände, Spiegelparavents und zahlreiche Lampen, die aus dem Fundus der alten UFA hätten kommen können, an die Salons eines Ozeanriesen aus den 20er-Jahren erinnerten. Und überdies hatte sie mir eine Coca-Cola angeboten. Ich war gar nicht heiter.
Lagerfeld war entwaffnend
Aber Lagerfeld war entwaffnend. „Sie haben ja so recht“, sagte er. „Der Tisch stammt von dem französischen Luxusdampfer ,Isle de France‘, und vielleicht wollen Sie einen Wodka. Das ist viel gesünder.“ Damit steckte er sein Monokel in die Westentasche und holte Drinks. In seinem lachsfarbenen Salon saß ich nicht knie-, sondern kinntief in Büchern. Es war alles da. Die letzten französischen Neuerscheinungen, Kunstbände aus der Schweiz, Fotobände aus Deutschland, England und Amerika, Zeitschriften und wieder Bücher auf allen Tischen, auf dem Sofa, auf dem Kaminsims. Dort standen drei Fotos von Marlene Dietrich. Handschriftlich gewidmet, nicht pompös auf Schau gerahmt. Sie steckten hinter einer Vase, so als ob es sich um den letzten Schnappschuss von Tante Klara handelte.
„Ja, Marlene“, sagte Herr Lagerfeld, „ich könnte ihr stundenlang zuhören, wenn sie berlinert. Wenn sie Französisch spricht, is’s aus. Dann klingt sie immer wie eine prätentiöse Hausfrau, die fabelhafte Kochrezepte kennt.“ „Wollen wir ein bisschen arbeiten?“, fragte ich. „Wenn’s unbedingt sein muss. Aber wir unterhalten uns doch so schön.“ Und weil wir uns so schön unterhielten, konnte ich Sachen fragen wie: Warum tragen Sie denn ein Monokel und einen Bart wie ein Held aus einem Dostojewski-Roman? Und: Warum sammeln Sie diesen entsetzlich teuren Kitsch? Und wie war das doch gleich mit Hamburg? Soviel ich weiß, war Ihr Vater Direktor eines internationalen Nahrungsmittelkonzerns. Wie kommt man von da zur Mode?
In Bramstedt wie irre Französisch gelernt
„King Karl“ strich über seinen glänzenden Bart, von dem die Pariser Gesellschaft behauptet, er sehe aus wie schwarzer Nerz, und sagte schön hamburgisch: „Tjä, das war doch ganz einfach. Ich war da also verschickt nach Bramstedt während des Krieges, wir hatten dort einen Besitz. Und in der Dorfschule habe ich mich immer gelangweilt, in allen Schulen übrigens. Man hat mir erzählt, dass sich die Bismarckschule in Hamburg an mich noch heute mit Abneigung erinnert. Kurz, ich ging immer auf den Dachboden. Da lagen alte Bände der ,Vogue‘ und die Menükarten, die meine Eltern von ihren internationalen Reisen mitgebracht hatten. Und da träumte ich mir meine Welt zusammen. Ich wollte nach Paris. Deshalb habe ich in Bramstedt auch wie irre Französisch gelernt.“
Vorher jedoch schickten seine Eltern ihn noch zu Professor Hestermann am Lerchenfeld. Aber der Professor sagte: „Den Jungen interessiert doch Malerei gar nicht. Der sieht immer nur die Kostüme. Lassen Sie ihn zeichnen.“ Das stimmte. „Ich hab ein unglaubliches Gedächtnis für Details. Sehen Sie, heute bereite ich meine Kollektionen zweieinhalb Jahre im Voraus vor. Ich arbeite mit vier riesigen Konzernen, die ständig neues Material herausbringen. Da müssen Farbe, Muster, Schnitt übereinstimmen, und es geht einfach nicht ohne Detail. Ich rede hier gar nicht vom Entwerfen. Im Augenblick fühle ich mich so im Einklang mit meiner Zeit, dass ich manchmal überhaupt nicht denke, wenn ich arbeite. Ich spüre einfach, wie Kleider für Chloé, die Stricksachen für Jim Wear oder die Pelze für Fendi in Rom aussehen müssen.“
Auch Sophia Loren kauft bei Fendi
Sophia Loren kauft ihr Gepäck bei Fendi. „Das Muster hab ich entworfen“, sagt Karl Lagerfeld. „Ich mach viele Dinge. Mir macht das Spaß, so eine Art ,graue Eminenz‘ zu sein. Das ist den heutigen technischen Möglichkeiten angepasst, die unendlich sind. Mit dem Modeschöpfer von einst hat meine Arbeit nichts zu tun. Auch wenn man für Millionärinnen arbeitet – das ist wie Brötchen verkaufen.“ Zu den „vielen Dingen“ gehören auch Fotos, die aussehen wie alte Daguerreotypien für die Luxuszeitschrift „Vogue“. Und das Sammeln von Gegenständen aus den 20er-Jahren. „Das ist ein Teil meiner Träumerei in Bramstedt. Meine Mutter hat in den 20er-Jahren in Berlin gelebt. Und wenn es dieses Berlin noch gäbe, dann wäre ich dort. Man hat doch nie geglaubt, dass man das alles noch einmal wiedersehen kann. Und ich bin tief davon beeinflusst Alles, was modern ist in der Mode, wurde damals erfunden.“
Der Modeschöpfer Karl Lagerfeld
Seine Mutter hat Karl Lagerfeld auch mit 14 nach Paris gehen lassen. Ganz allein. Auf das Lycée Molière. Aber mit 16 hatte er bereits einen Preis des Internationalen Wollsekretariats gewonnen und fing an, im Haus von Pierre Baimain zu arbeiten. „Ich hab nicht mal meinen Vater gefragt. Aber meine Mutter ließ mich das alles machen. Sie verstand auch, warum ich ,in die Konfektion‘ ging.“ Frau Lagerfeld hat mich einmal in Hamburg bei sich empfangen. Es wäre damals unhöflich gewesen, sie zu fragen, was ich liebend gern gefragt hätte. So sagte ich nun in Paris zu ihrem Sohn: „Trug Ihre Mutter eigentlich Monokel?“ Er lachte schallend: „Ja. Immer.“