Hamburg. „Ein Mensch brennt“ hatte unter Swen Lasse Awes Regie Premiere. Eine zu Diskussionen anregende Inszenierung.

Es ist ein Tor für die Ewigkeit: Rüdiger Abramczik flankt in den Strafraum, Mittelstürmer Klaus Fischer steht frontal zum Tor, dreht sich und katapultiert das Leder per Fallrückzieher ins Tor. Deutschland gewinnt das Länderspiel gegen die Schweiz in Stuttgart mit 4:1. Fischers Traumtor ist noch tagelang Gesprächsstoff.

Am selben Tag, dem 16. November 1977, übergießt sich ein Mann an der Mönckebergstraße in der Nähe der St.-Petri-Kirche mit Benzin und zündet sich an. Fünf Tage später erliegt er seinen schweren Verbrennungen in einem Hamburger Krankenhaus. Er heißt Hartmut Gründler. Seine selbstmörderische Aktion ist ein Protest gegen die Atompolitik der damaligen Bundesregierung und der Weigerung von Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD), darüber mit ihm in einen persönlichen Dialog zu treten. Gründlers Selbstverbrennung taucht in den Medien nur am Rande auf.

Typischer Spießbürger

Schriftsteller Nicol Ljubić hat Gründlers Geschichte 2017 im Roman „Ein Mensch brennt“ erzählt; das Thalia Theater hat den Stoff jetzt in der Garage in der Gaußstraße auf die Bühne gebracht. Gründler taucht als Figur nicht auf. Ljubić erfindet die Familie Kelsterberg, sie beschreibt den skurrilen Aktivisten und bedingungslosen Atomkraftgegner, der als Untermieter in ihrem Haus in Tübingen wohnt. Kurt Kelsterberg heißt der Hausherr.

Tilo Werner spielt ihn als typischen Spießbürger, engstirnig und obrigkeitshörig: Wer Staat oder Regierung kritisiert, ist ein Spinner. Kelsterberg interessiert sich für seine Citroën-Limousine und für Fußball. Ehefrau Marta (Sandra Flubacher) ist offen für die Kritik des Untermieters, der sich „Lebensschutz“ zur Aufgabe gemacht hat. Später tauscht sie ihr buntes hippes Outfit gegen Schutzkleidung und blumengeschmückten Stahlhelm, kämpft mit Gründler gegen den Atomstaat.

Regisseur verengt Raum mit Stellwänden

Erzähler dieser Familiengeschichte ist Sohn Hanno (Julian Greis), acht Jahre alt, als Gründler 1975 in sein Elternhaus einzieht. Der Junge ist verunsichert angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen den Eltern. Die Mutter nimmt ihn heimlich mit zu Demos, der Vater versucht, ihn durch den Kauf von Fußball-Sammelbildern zu halten. Nach Gründlers Tod zerbricht die Ehe, und Hanno macht den Umweltschützer dafür verantwortlich: „Gründler übertrug die Verantwortung für die Welt auf meine Mutter und zerstörte unsere Familie.“

Regisseur Swen Lasse Awe verengt den Raum mit Stellwänden, auf denen er seine Protagonisten spielen lässt. Als Marta der familiären Enge entflieht, werden die Wände geöffnet, wird der Weg frei. Am Ende werden die Stellagen wieder zusammengefügt und dienen als Schutzraum. In Tschernobyl explodiert der Reaktor, Marta und ihr Sohn verlassen das Haus nicht mehr. Die von Gründler prophezeite Katastrophe ist da. Viel Applaus für das konzentrierte Spiel der drei Protagonisten und die zu Diskussionen anregende Inszenierung eines weiterhin aktuellen Themas.

„Ein Mensch brennt“ wieder Fr 13./27.9. u. 18.10., je 20.00, Thalia Gaußstraße, Gaußstr. 190; karten 20,-/erm. 11,-; www.thalia-theater.de