Hamburg. Der 1991 gestorbene Musiker nahm vor fast 35 Jahren ein Album auf, erst jetzt wird es veröffentlicht. Der Titel. „Rubberband“.
Ein neues Album von Miles Davis, 28 Jahre nach seinem Tod: Das gilt natürlich erst einmal als „Sensation“, auch wenn es im Jazz bekanntlich häufiger vorkommt, dass lange verschollenes Archivmaterial entdeckt und veröffentlicht wird. Man denke etwa an John Coltranes „Both Directions At Once“ im vergangenen Jahr.
Im Fall von Miles Davis ist die Sache nun etwas komplexer, denn erstes erschien bereits eine EP mit vier Stücken von „Rubberband“ zum Record Store Day 2018 und zweitens war es im Entstehungsjahr 1985 eine sehr bewusste Entscheidung, das fast fertige Album nicht zu beenden. Hier ging nichts im Archivwirrwarr verloren – Tommy LiPuma, damals Vizepräsident von Warner Brothers, mochte den Sound schlicht nicht und wollte ein anderes, traditionelleres Album des Trompeters haben.
Für Miles Davis ein herber Schlag, ging es ihm doch darum, den Mainstream-Markt zu erobern und sich aus der Jazz-Nische abzusetzen. Prince war damals einer seiner großen Lieblinge, sein Neffe Vince Wilburn Jr. erinnert sich im Interview mit dem Fachmagazin „Jazzthing“ daran, dass in Davis’ Wohnung permanent MTV lief – raus aus den Szene-Clubs und rein in die Heavy Rotation, darum ging es.
Kontakt mit Al Jarreau und Chaka Khan
Hätte klappen können, denn „Rubberband“ hat tatsächlich einen enormen Pop-Appeal und dürfte deshalb Jazz-Traditionalisten eher stirnrunzelnd zurücklassen. Was natürlich auch daran liegt, dass das vorliegende Rohmaterial nicht nur soundtechnisch poliert und heutigen Hörgewohnheiten angepasst wurde, es sind mit Ledisi und Lalah Hathaway auch noch zwei Soul-Sängerinnen ins Boot geholt worden. Ganz im Sinne von Miles Davis, sagen die Verantwortlichen heute, er habe damals bereits mit Al Jarreau und Chaka Khan in Kontakt gestanden.
Schon der Opener „Rubberband Of Life“ ist mehr Soul als Jazz, das folgende „This Is It“ eine Nummer, die an den Funk eines James Brown erinnert und „Paradise“ flockiger Gute-Laune-Stoff mit ordentlich Karibik-Groove – das fröhliche „Bacardi feeling“ lässt grüßen.
Davis, der ja durchaus launisch sein konnte, war damals in einer besonders guten Phase, heißt es. Er sei voller Energie und optimistisch gewesen, wohl auch wegen seines privaten Glücks, hatte er doch wenige Jahre zuvor die Schauspielerin Cicely Tyson (bekam 2018 einen Oscar für ihr Lebenswerk) geheiratet. „I Love What We Make Together“ heißt passenderweise eines der Stücke, nicht sehr filigran formuliert, gewiss, dafür aber eindeutig. Und musikalisch so gechillt wie ein sonntäglicher Kuschel-Nachmittag vor dem Fernseher – vielleicht nicht wahnsinnig aufregend, doch auch mal sehr schön.
Wer es rund und gefällig mag, wird hier gut bedient
Wie überhaupt dieses Album viele schöne Stellen zu bieten hat hat. Vor allem dann, wenn Davis’ Trompete das Kommando übernimmt. „Give It Up“, „Maze“ oder „Carnival Time“ funktionieren wunderbar auf dieser Jazz-Ebene und lassen aufscheinen, was für ein Album mit etwas weniger starrem Blick auf die Charts möglich gewesen wäre.
„Ich mag keinen Jazz, aber das gefällt mir“ heißt eine Mix-CD, in derselben Reihe gibt es auch mehrere Klassik-Varianten. Ein bisschen gemein ist der Vergleich mit derlei Häppchen-Potpourri natürlich, birgt andererseits aber auch eine Empfehlung: Wer es rund und gefällig mag, wird mit „Rubberband“ in jedem Fall gut bedient.
Und wer den wirklich großen, unvergleichlichen Miles Davis hören möchte, der greift eh zu Klassikern wie „Kind Of Blue“ oder „Round Midnight“, besorgt sich eine der vielen karriereumspannenden CD-Boxen auf dem Markt oder taucht mit „Bitches Brew“ in die wilde Fusion-Jazz-Phase des Meisters ein.
„Rubberband“ bleibt da eine Randnotiz und wird bald schon von der nächsten „Sensation“ abgelöst: Weitere Archivfunde, unter anderem mit Gitarrist Larry Coryell, harren der Veröffentlichung. Und dann ist da noch eine brandneue Doku, „Miles Davis: Birth of the Cool“, in den USA gerade in die Kinos gekommen. Sie zeigt den oft schwierigen Menschen hinter der Musik. Auch 28 Jahre nach dem Tod des „Man with the Horn“ gilt: Die Legende lebt.