Hamburg. Die Studio-Braun-Kollegen veröffentlichen fast zeitgleich Musikalben, die unterschiedlicher nicht sein könnten.
Dies ist die Platte von einem, der jahrelang durch sein persönliches musikalisches Stalingrad gehen musste. So würde es Heinz Strunk vermutlich selbst ausdrücken. Seine Tour des Leidens – siehe auch „Fleisch ist mein Gemüse“ – ging über Schützen- und Hochzeitsfeste, Querflöte und Saxofon immer am Mann. Aber Strunk konnte sich abseilen. Er wurde Bestsellerautor. Musik macht er immer noch. Vermutlich auch, um sich an selbiger zu rächen. Gut, dass das alles mal wieder zum Totlachen ist.
Das neue Album Strunks heißt „Aufstand der dünnen Hipsterärmchen“ und ist Blödsinn mit Beats. Also das genaue Gegenteil von Rocko Schamonis neuem Musikwerk, es ist sein erstes nach vielen Jahren und komplett ernst gemeint. „Musik für Jugendliche“ ist Easy Listening mit seriösen Texten und Crooning für stimmlich Unterprivilegierte – und alles in allem überaus charmant.
Heinz Strunk (57) und Rocko Schamoni (53) sind derselben kreativen Suppe entsprungen: dem legendären Studio Braun, jener dreiköpfigen Anarcho-Komik-Combo, zu der außerdem noch Jacques Palminger gehört. Und wenn jetzt der frühere Punkrocker, der erfolgreiche Autor, der Schauspieler Schamoni und der frühere Tanzkapellenmucker, der sehr erfolgreiche Autor und Schauspieler Strunk fast zeitgleich Alben veröffentlichen, dann stellt sich die Frage, wie sich der gemeinsame Weg durch den Raum der Kunst und des Entertainments nun in den neuen Alben niederschlägt. Haben sie wenigstens ein paar sich ähnelnde ästhetische Strategien?
Nein. Haben sie nicht. Es gibt nicht einen Punkt, in dem sie sich gleichen. Sie sind schlicht unvergleichlich. Aber eine prima Ergänzung zueinander. Gaga und Melancholie, Billigproduktion und große Band-Aufnahme. Beginnen wir mit Strunk. Das Originalgenie vom Rande der Schanze hat am Rechner Synthiesounds und Bumbum zusammengeschraubt und darüber seine Sprechstimme gelegt. Ein bisschen rhythmisch, das schon, aber „Sprechgesang“ wäre wohl ein bisschen übertrieben.
Unverschämt dümmliche Synthiesounds
Bei „Braunes Gold (Coffee-Song)“ spielt er Querflöte, das klingt ganz hübsch. Der Rest ist allerherrlichster Quatsch. „Starte den Tag und denk dran/Es wird ein guter Tag/Mit heißen Flirts und erfolgreichen Abschlüssen/Doch das beste is’/Latte macchiato, Café con leche, Großer Brauner, Türkisch Coffee, Café Latte, Eiskaffee, Flavoured Coffee/Und’n schönen, starken Mokka“ usw. usf. Bitte laut in der Kaffeeküche abspielen und alle irritierten Blicke aushalten. Klarer Fall von Büro-Hit.
Eine Textexegese mit Hoffnung auf feierlichen Tiefgang ist allerdings bei allen zwölf Titeln sinnlos. „Schau, da kommen sie/Auf dünnen Beinchen/Dünn und kraftlos wie auch ihre zarten Hände/Nichts kann sie halten/Geschweige denn Pistolen und Macheten/Für den kommenden Aufstand/Aber sie wollen doch, unbedingt sogar/Doch nur der Wille ist nicht genug für den Aufstand der dünnen Hipsterärmchen“ heißt es zu unverschämt dümmlichen Synthiesounds im Titelstück.
Spätestens im Selbstgespräch, wenn der Original-Strunk mit verfremdeter Stimme zu sich selbst spricht, wird deutlich: astreine Studio-Braun-Platte im Grunde. Musikalisch hat Strunk sich auf das besonnen, was er mit seinem Humor am besten pimpen kann: auf schwülstigen Instant-Sound. Er selbst nennt seinen „völlig neuartigen Musikstil“ „KLABRI“ – die „Abkürzung von KLANGBREI“, wie Strunk im Booklet erklärt.
Fett und liebevoll produziert
Es ist ein schwieriges Unterfangen, ernsthaft über Strunks musikalisches Nebenschaffen zu schreiben. Anders bei Rocko Schamoni, der mit „Musik für Jugendliche“ sein erstes Werk nach einem Dutzend Jahren vorlegt. Es ist das achte insgesamt. Und es ist, es wurde bereits erwähnt, das glatte Gegenteil des Strunk-Unsinns. „Musik für Jugendliche“ ist fett und liebevoll produziert.
Big-Band-Sound! Italo-Pop! Morricone soll ja auch ein Idol von Schamoni sein. Sein Label informiert überdies über „die souleske Trockenheit eines Michael Kiwanuka“, die der Langspieler mit seinen neuen Stücken verströmen soll.
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Und ja, seelenvoll ist das hier alles, sogar extrem seelenvoll. So ambitioniert und üppig arrangiert, dass es einem beinahe die Tränen in die Augen treibt. (Besonders wenn man es nach „Aufstand der dünnen Hipsterärmchen“ hört.) Chöre, Streicher, Bläser, alles da. Und ein Video gibt es auch. Zum angenehm swingenden „Der Weg hinab“ („Auf dem Weg hinab triffst du alle noch einmal/Sie gehen den Weg hinab vom Berg bis ins Tal/Wenn es runtergeht/Wirst du sie wiedersehen/Kurz vor dem Tal triffst du alle noch einmal“) stolziert der Anzug-Styler diverse Treppenabgänge hinab.
Schamonis Pessimismus wird fröhlich weggeswingt
Große Weisheit liegt in jenen Worten, aber die Endstufe des Poetisch-Smarten hören wir hier nicht. Wie überhaupt auch Schamonis nicht sonderlich ausdrucksstarke Stimme ein passender Kontrast zur Opulenz der Musik ist. Die Lieder hätten sich über lange Zeit angesammelt, heißt es. „Mark Hollis“, Schamonis Hommage an den in diesem Jahr gestorbenen Pop-Giganten, kommt zur rechten Zeit. Überhaupt, der Tod: Eingeflochten in die Entstehung dieser Platte sind Krankheit und Tod von Schamonis Vater. Wie gesagt, hier geht es um ganz ernste Dinge, was sich auch in den Titeln spiegelt: „Als hätte es uns nie gegeben“, „Loch in der Welt“. Schamonis Pessimismus („Es gibt keine Menschen mehr/Auch das ist nicht weiter schlimm/Wir waren ohne Frage für das Weltall kein Gewinn“) wird freilich so fröhlich weggeswingt, dass niemand beim Hören dieser Songs in Trübsinn verfallen muss.
Und da treffen sich die beiden Musikalben von Schamoni und Strunk dann eben doch wenigstens in einem Punkt.