Hamburg. Zum 150. Geburtstag: Ein Blick ins Depot des Hamburger Traditionshauses, das an diesem Wochenende groß feiert.
Mit Bedacht steigt Peter Hochkamer die Treppen der großen Leiter, die an der Gitterwand 52 lehnt, empor und nimmt das oberste Bild von den Metallhaken. Freihändig hinunterzuklettern käme einer grob fahrlässigen Handlung gleich. Denn das Werk, das er in seinen Händen hält, ist eine Architekturzeichnung des Hamburger Malers Martin Gensler. Die „Innenansicht von St. Nikolai in Hamburg“ aus dem Jahr 1831 ist eine Kostbarkeit aus der „Schatzkammer“ Kunsthalle.
Martin Gensler (1811–1881) war als Kommissionsmitglied maßgeblich daran beteiligt, dass das Gebäude der Hamburger Kunsthalle gebaut wurde. Als das Museum 1869 eröffnet wurde, wurde der Künstler, zusammen mit seinem Freund Valentin Ruth (der mehrere Malereien im Treppenhaus der Kunsthalle beisteuerte), mit der ersten Hängung der Gemälde betraut.
Seit seiner Gründung hat sich die Kunsthalle auf die Fahnen geschrieben, die hiesigen Künstlerinnen und Künstler zu fördern und auszustellen. Damals wie heute.
Hochmoderne Lüftungs- und Klimaanlage ist im Einsatz
Sebastian Conrad eilt seinem Kollegen zu Hilfe. Als Mann und Bild heil auf dem Boden gelandet sind, ist Peter Hochkamer, der im Depot für das Arthandling verantwortlich ist, wieder ganz die hemdsärmelige Frohnatur, die anpackt, wenn’s drauf ankommt. „Ich habe 1991 in der Kunsthalle angefangen, zusammen mit dem damaligen Direktor Uwe Schneede“, erzählt er, und man merkt ihm die Begeisterung für seine Arbeit an. Auch noch nach fast 30 Jahren. „Die Gitterwände, die wir hier haben, sind die hochwertigsten, die es auf dem Markt gibt!“ Eine hochmoderne Lüftungs- und Klimaanlage gewährleistet, dass die Kunst auf höchstem internationalen Standard gelagert werden kann.
Als im Juni 2015 die Modernisierung des zentralen Depots abgeschlossen war, wurde das hausintern wie eine kleine Neueröffnung gefeiert. „Die Fertigstellung steht sinnbildlich für die nachhaltige Ausrichtung der gesamten Modernisierung. Wir starten nun guten Mutes in die Wiedereröffnung Ende April 2016“, hatte der damalige Geschäftsführer Stefan Brandt es formuliert.
Die Werke sind nach Alphabet und Ländern sortiert
In dem schmalen, lang gezogenen Raum mit über 4100 Quadratmetern an Schiebewänden den Überblick zu behalten ist eine Kunst für sich. Im Kellergeschoss lagern sämtliche Werke, die nicht gerade ausgestellt, an andere Museen ausgeliehen oder zur Verschönerung von Diensträumen wie etwa im Rathaus dienen. Alte und neue Meister sowie Künstler der Gegenwart sind nach Alphabet und Ländern sortiert. Nur so kann eine zügige und geordnete Ausstellungsplanung gelingen.
Hochkamer sorgt dafür, dass die Bilder für eine aktuelle Ausstellung zur Verfügung stehen. Und er nimmt sie danach auch wieder in Empfang. „Dann muss jedes einzelne Werk auf eventuelle Schäden begutachtet werden. Manchmal ist es nötig, Rahmen oder Leisten zu erneuern.“ Dafür arbeitet er mit Technikern, Restauratoren und Buchbindern zusammen.
Weiße Handschuhe sind unverzichtbar im Depot
„Als wir die Maler der ,Hamburger Schule‘ kuratiert haben, konnten wir mal wieder aus dem Vollen unseres Depots schöpfen und einen Streifzug durch die Jahrzehnte machen“, sagt Markus Bertsch. Zusammen mit seiner wissenschaftlichen Assistentin Amelie Baader arbeitet der Kurator gerade an einem Bestandskatalog des 19. Jahrhunderts und ist deshalb regelmäßiger „Kunde“ bei Hochkamer. „Rund 1700 Exponate stehen auf unserer Liste. Maße, Signatur, Beschreibung und rückseitige Aufschrift müssen geprüft werden.“ Genslers „Nikolaikirche“ ist eins dieser Werke.
Der Experte fürs Handling legt das Bild auf den großen, nur schwach beleuchteten Tisch nahe dem Eingang. Ob dieser einen speziellen Namen habe (schließlich habe doch hier alles einen Fachausdruck)? „Na, Tisch mit vier Beinen“, scherzt Hochkamer zurück. Baader und Bertsch haben sich weiße Handschuhe übergestreift – unverzichtbares Accessoire im Depot – und beginnen mit ihrer Checkliste. Derweil präsentiert Hochkamer einen speziellen Rahmen aus entspiegeltem Plexiglas, der extra für sensible Transporte verwendet wird.
Guter Überblick über vergangene Ausstellungen
„Die Kollegen im Depot sind sehr mit ihrer Arbeit und den Kunstwerken verwoben“, sagt Meike Wenck, die die Registrarabteilung und Ausstellungskoordination im Haus leitet und als Mittlerin zwischen sämtlichen Abteilungen fungiert. Wer so eng mit der Kunst zusammenarbeite, habe auch einen guten Überblick über vergangene Ausstellungen und die darin gezeigten Werke. „Das Depot ist Gedächtnis und Bauch des Museums“, so Wenck.
Zusammen mit Peter Hochkamer hat sie etwa am Aufbau der Ausstellung „Unfinished Stories“ im Sockelgeschoss gearbeitet – gerade rechtzeitig zum Jubiläumsfest an diesem Wochenende. Die Schau nimmt die Geschichte der Kunst seit den 1960er-Jahren bis in die 2000er in den Blick. Eine Küchenecke der Künstlerin Meret Oppenheim galt es dafür zu installieren. Und auch für die große Jubiläumsausstellung „Beständig, kontrovers, neu. Blicke auf 150 Jahre Kunsthalle“ waren die Mitarbeiter des Depots gefragt; dafür musste im historischen Archiv und in der Sammlung tief gegraben werden. Mit Bedacht und weißen Handschuhen, versteht sich.