Hamburg. Kantorin Julia Götting spielt Sonntag für Sonntag in der Ansgar-Gemeinde – nicht nur im laufenden Orgeljahr 2019.

Etwa 300 Orgeln gibt es in Hamburg. Sie stehen in Kirchen, in der Elbphilharmonie und der Laeiszhalle, im NDR-Funkhaus, in Schulaulen und sogar im Gefängnis in Fuhlsbüttel. Das Jahr 2019 ist in der Hansestadt zum Orgeljahr erklärt worden, am 28. Juli jährte sich der Todestag des berühmten Hamburger Orgelbauers Arp Schnitger zum 300. Mal. Und so gibt es in diesem Sommer eine ganze Reihe von Konzerten, Tagungen, Vorträgen und Ausstellungen, die sich mit der Orgel im Allgemeinen und mit Schnitger im Besonderen beschäftigen.

Doch losgelöst von den vielen Jubiläumsveranstaltungen erklingen viele Orgeln jeden Sonntag in den zahlreichen Kirchen der Hansestadt – und zwar bei den Gottesdiensten. Julia Götting ist eine der Musikerinnen, die jede Woche eines der mächtigen Instrumente mit seinen Manualen, Fußpedalen und Registern zum Klingen bringt. Wenn sie über ihr Instrument in der Langenhorner Ansgar-Gemeinde spricht, sagt sie „meine Orgel“.

Restaurierung kostete 230.000 Euro

Als Götting vor 17 Jahren ihre Stelle als Kantorin und Organistin in Langenhorn antrat, spielte sie Sonntag für Sonntag noch auf einer anderen Orgel. Denn die 1931 mit dem Neubau der Ansgar-Kirche von Hans Henny Jahnn konzipierte Orgel wurde bereits seit Mitte der 80er-Jahre nicht mehr benutzt. „Sie war in die Jahre gekommen und hätte komplett restauriert werden müssen“, erzählt Julia Götting. „Doch der zuständige Kirchenkreis bezuschusste damals nur Neubauten, keine Reparaturen. Also entschied man sich, hinter der Jahnn-Orgel auf der Empore ein neues Instrument zu errichten.“ Aber der Neubau machte einen Haufen Probleme: Wenn ein Wolkenbruch über der Kirche niederging oder die klimatischen Verhältnisse sich rapide änderten, war eines der Manuale nicht zu benutzen.

Erst vor zehn Jahren erweckten Götting und ihr Mann Tobias, einer der beiden Pastoren in der Ansgar-Gemeinde, die denkmalgeschützte Jahnn-Orgel aus ihrem Dornröschenschlaf. „Die alte Orgel haben wir über eine Website für gebrauchte Orgeln nach Pfaffenhoffen verkauft. Mein Mann hatte außerdem viele Stiftungen angeschrieben, sodass wir das Geld für die Restaurierung zusammenbekommen haben“, so Götting. Immerhin 230.000 Euro kostete es, die Pfeifen und Register wieder herzurichten. Auch das Denkmalschutzamt unterstützte das Vorhaben, denn die Jahnn-Orgel gilt als ein „Meilenstein in der Orgelbaugeschichte des 20. Jahrhunderts“, wie in der Festschrift 2008 zur Wiedereinweihung zu lesen ist.

Organist braucht viel Kraft

Julia Götting liebt ihre Orgel für ihren besonderen Klang und wegen der vielen Klangfarben, die Jahnn sich überlegt hat. Allerdings ist diese einzigartige Orgel mit ihrer pneumatisch-mechanischen Bauweise nicht einfach zu spielen, weil sie ein recht hohes Tastengewicht hat und der Organist mehr Kraft beim Drücken der Tasten aufwenden muss als bei anderen Orgeln. Auch spezielles Schuhwerk zieht Götting an, wenn sie am Spieltisch Platz nimmt. Es erinnert an Tanzschuhe, ist sehr elastisch und hat einen etwas breiteren Absatz, mit dem die Organistin nicht zwischen den einzelnen Fußpedalen hängen bleiben kann. Orgelspiel ist eben Arbeit mit dem ganzen Körper.

Die Organistin ist eine glühende Verehrerin der Werke von Johann Sebastian Bach, seine Kompositionen passen glänzend zum Klang „ihrer“ Orgel. „Wenn ich ein Fan von Max Regers Stücken wäre, hätte ich die Kirche sicher verlassen, denn romantische Stücke lassen sich auf dieser Orgel nicht spielen. Jahnn hat sie für Barockmusik geplant“, sagt sie.

Jahnn war wichtige Person der Orgelreformbewegung

Hans Henny Jahnn (1894–1959) hat sich vor allem als Romanautor und Dramatiker einen Namen gemacht, wenngleich seine Werke wie die Trilogie „Fluss ohne Ufer“ oder Dramen wie „Pastor Ephraim Magnus“ auf viele Leser und Zuschauer verstörend wirken. Der vielseitige Künstler beschäftigte sich auch intensiv mit Baukunst und Orgelbau und war innerhalb der Orgelreformbewegung eine wichtige Figur. Jahnn ist es zu verdanken, dass die Arp-Schnitger-Orgel in St. Jacobi in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts erhalten wurde. In diese Zeit fallen auch seine Entwürfe für drei Hamburger Orgeln. Eine steht in der Aula der Heinrich-Hertz-Schule, eine weitere stand in der St. Pauli Kirche und befindet sich nun in einem Museum in Süddeutschland, die dritte wurde 1931 in die Ansgar-Kirche gebaut.

Das Instrument mit seinen 2638 Metallpfeifen, 32 Registern, seinen Schleifladen und der mechanischen Spieltraktur – das ist die Verbindung zwischen den Tasten und den Pfeifenventilen – wird für seinen präzisen und runden Ton gelobt. „Sie ist ein Wunderwerk des Klanges“, schrieb der „Hamburger Anzeiger“ 1931 nach der Einweihung. Auch viele Experten attestieren dem Instrument klangliche und technische Vollendung. Julia Götting hat über die Jahre eine enge Beziehung zu der Jahnn-Orgel aufgebaut und liebt den Reichtum an Farben, die klangliche Klarheit und die Möglichkeit des differenzierten Anschlags.

Immer wieder führt sie Besucher, Konfirmanden oder Schüler durch das Instrument, denn die Orgel ist hinter dem Spieltisch begehbar. Nach speziellen Konzerten muss man im Veranstaltungskalender nicht schauen, um dieses „Wunderwerk“ zu hören. Die Jahnn-Orgel ist klingender Teil des Gemeindelebens in Langenhorn – jeden Sonntag.