Cismar. Der Urenkel der Bildhauerin Käthe Kollwitz fertigt in seinem Cismarer Atelier Gefäße für Teezeremonien.

Japan beginnt an der Ostsee. Genauer gesagt, in der Bäderstraße 23 in Cismar. Ein geschlungener Weg aus weißen Kieseln führt durch einen Garten hinauf zum Alten Pastorat. Dass er nicht geradlinig verläuft, ist wichtig. „Böse Geister bevorzugen gerade Wege“, erzählt Jan Kollwitz. Gekleidet in einen beigen Alltags-Kimono, der knapp über den Oberschenkeln endet, erwartet er den Besuch in der Tür. Mit einer leichten Verbeugung bittet der zierliche Mann, dessen Alter man schwer schätzen kann, in sein Reich.

Schon rein äußerlich sticht Jan Kollwitz in dem Ostholsteiner 800-Seelen-Dörfchen, das im Sommer Badegäste und Campingurlauber anzieht, heraus. Die wenigsten von ihnen dürften wissen, dass er auch etwas sehr Außergewöhnliches tut: In seinem Garten steht ein großer Anagama-Holzbrennofen in einer Art Carport, umrahmt von unzähligen Bündeln Kiefernholz, die sauber übereinander aufgeschichtet sind. 1988 kam ein japanischer Ofenmeister an die Ostsee gereist, um ihn fachgerecht aufzubauen. Die Erfahrungen japanischer Keramiker aus den vergangenen vierhundert Jahren stecken darin. Es ist der einzige Ofen dieser Art in Deutschland.

Japaner lieben es, Kunst zu gebrauchen

Darin brennt Jan Kollwitz Gefäße für die Teezeremonie, die er zuvor nach eingehender Zen-Praxis und traditioneller Technik in der Werkstatt hergestellt hat: zarte Schalen für Ikebana, Frischwassergefäße, kraftvolle Bodenvasen – vielmehr Skulpturen als Gefäße. Den Ton dafür bezieht er aus dem Westerwald. „Das Entscheidende an einem Gefäß ist die Ausstrahlung. Die Japaner lieben es, Kunst zu gebrauchen. Es gibt keine Unterscheidung zwischen Gebrauchs- und Kunstkeramik“, weiß Kollwitz, der nach einer Ausbildung zum Schauspieler recht schnell entschied, sein Leben nicht auf der Bühne zu verbringen, obwohl er ein gefragter Kinderstar war. Nach einer Lehre bei dem Kunsthandwerker Horst Kerstan im baden-württembergischen Kandern ging er für zwei Jahre in die Lehre bei Yutaka Nakamura in Japan.

Seine Arbeiten sind in rund 25 Museumssammlungen beherbergt; die Pucker Gallery in Boston vertritt den Künstler. Aktuell sind einige Gefäße in der Ausstellung „Unter Freunden“ im Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg (MKG) zu sehen. Die Ausstellung erzählt von dem großen Stellenwert, den die Keramik für sogenannte Teemenschen hat. In der Teezeremonie entwickeln sie zu einzelnen Gefäßen eine sehr persönliche Beziehung, manchmal geben sie ihr sogar eigene Namen. Für jede Zeremonie stimmen die Gastgeber die Gefäße und Utensilien auf den Anlass, die Jahreszeit und die erwarteten Gäste ab.

Seine Geschichte wurde zu einem Roman

Jan Kollwitz und Christoph Peters sind solche Teemenschen, sie wurden darüber zu Freunden. Der Schriftsteller und Keramiksammler Peters hat die Geschichte seines Freundes in einen Roman verwandelt. Der Titel „Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln“ bezieht sich auf eine Anekdote, die tatsächlich passiert ist: Der Ofenmeister, der 1988 seine eigenen Köche dabei hatte, entdeckte in Cismar seine Leidenschaft für die einfache deutsche Küche, „was für seine Landsleute eine große Schmach war“, erzählt Jan Kollwitz, der damals als Dolmetscher alle Hände voll zu tun hatte.

Man kann sich vorstellen, wie gut solche Geschichten bei den Besuchern seines Ateliers ankommen, vom Landfrauenverein über den Freundeskreis von Schloss Gottorf bis zu Rotariern. „Ein Stück weit sehe ich mich als Botschafter der japanischen Kultur“, so Kollwitz. Natürlich spielt es auch eine Rolle, dass er der Urenkel von Käthe Kollwitz (1867-1945) ist; ein Selbstporträt der berühmten Bildhauerin hängt in seinem Wohnzimmer, wo er grünen Tee und Lübecker Marzipan serviert. Er habe lange gebraucht, um seine Linie zu finden, auch Rückschläge habe er hinnehmen müssen und den Vorwurf, „ja immer das Gleiche herzustellen“. „Schon meine Urgroßmutter hatte diese Geradlinigkeit, an der habe ich mich orientiert. Man könnte es auch Sturheit nennen“, sagt er mit einem Lächeln.

Einmal im Jahr wird bei 1320 Grad gebrannt

Allein 60 Stunden dauert es, bis der Ofen mit all seinen Gefäßen auf Regalböden eingerichtet ist. Dann wird ein Feuer mit Kiefernholz angezündet. Vier Tage und Nächte lang wird alle drei Minuten Holz in den Ofen geworfen, um eine Temperatur von 1320 Grad zu erreichen. „Eine Person allein kann diese Prozedur nicht bewältigen“, sagt der Künstler. „Ein Freund nimmt sich für diese Zeit extra Urlaub, um mir behilflich zu sein.“

Nur einmal im Jahr wird der Anagama-Ofen angeheizt. Launisch sei er, so Kollwitz, reagiere auf Luftfeuchtigkeit, Wind und aufs Dach prasselnden Regen. Um diese Einflüsse so gering wie möglich zu halten, wird im Frühjahr oder Herbst gebrannt. Zur Besänftigung des Ofengeists stehen stets Schälchen mit Sake, Reis und Salz oben drauf. Und doch gehen jedes Mal 20 bis 30 Prozent der Gefäße zu Bruch, birgt jeder Brennprozess Überraschungen. Die Farben auf den Keramiken entstehen durch das Aufeinanderprallen der Elemente, durch Flammen, Rauch, Flugasche und Glutkohle. „Auf diese Weise holt man sich die Kraft der Natur in den Teeraum.“

„Unter Freunden. Japanische Teekeramik“ präsentiert 150 herausragende Objekte rund um die Teezeremonie, vom 16. Jahrhundert bis heute, und stellt wichtige Keramikzentren in Japan vor. Im Mittelpunkt steht die Sammlung des Museums für Kunst und Gewerbe (MKG). Die Freundschaft von Gründungsdirektor Justus Brinckmann (1843-1915) mit dem Kunsthändler Samuel Bing legte die Basis dafür. Daneben werden Stücke von Sammlern präsentiert.

Bis 23.2.2020 im MKG (U/S Hauptbahnhof), Steintorplatz, Di-So 10.00-18.00, Eintritt 12,-/8,- (ermäßigt). Neben Führungen werden regelmäßige Vorführungen der japanischen Teezeremonie angeboten. Am 29.9. findet ein Künstlergespräch mit Jan Kollwitz und Christoph Peters statt.

Atelier von Jan Kollwitz, Bäderstr. 23, 23743 Cismar. Besuch nur mit vorheriger Anmeldung unter
T. 04366-614 oder jan.kollwitz@
t-online.de.