Hamburg. Die Ausstellung „Frau Architekt“ im Museum der Arbeit beleuchtet die Situation von vor rund 100 Jahren bis heute.
Sie haben auf der ganzen Welt Planetarien errichtet, den Deutschen Bundestag gestaltet, in Israel Wohnsiedlungen für emigrierte Europäer und Europäerinnen gebaut, entscheidend die Nachwendezeit geprägt. Und kennt man den Namen einer berühmten Architektin? Sind es nicht immer die gleichen Männer, denen man großartige Bauten zuschreibt, ja überhaupt nur das Planen und Bauen zutraut? Man könnte die 2016 verstorbene Zaha Hadid anführen, die Irakerin, die mit dem Pritzker-Preis, der höchsten Auszeichnung unter Architekten, ausgezeichnet wurde. Selbst über sie urteilten Kollegen, ihre Bauten seien nur im Weltall realisierbar.
An fehlendem Nachwuchs kann es nicht liegen: Weit mehr als die Hälfte aller Studierenden an deutschen Architekturfakultäten sind heute Frauen, doch nicht allen gelingt der Einstieg in den Beruf, und nur die Wenigsten schaffen den Sprung in die erste Reihe. Guckt man in die Führungsriege großer Architekturbüros, sieht man Männer. Architektur ist nach wie vor eine patriarchal dominierte Branche. „Auf Messen oder bei Empfängen bin ich häufig die einzige Frau“, berichtet Sibylle Kramer. Die Hamburgerin leitet seit 2011 das Büro Sibylle Kramer Architekten mit 15 Mitarbeitern.
Frauen werden häufig nicht gesehen
Im Laufe der Zeit hat sie gelernt, für sich zu trommeln, selbstbewusst über realisierte Projekte und gewonnene Wettbewerbe zu sprechen. So hat Kramer etwa die Chefetage im Museum für Hamburgische Geschichte entworfen, die Gastronomie des Altonaer Museums neu gestaltet; aktuell wird das Torhaus im Museum der Arbeit saniert.
Das häufigste Problem: Viele Frauen machen sich nicht sichtbar, und sie werden nicht gesehen. Von Kollegen, Chefs, Professoren, von der Kritik und auch von den Medien und Kulturinstitutionen. Noch vor gar nicht langer Zeit verwendete die sogar vornehmlich an Leserinnen adressierte Zeitschrift „Elle Décoration“ diese Formulierungen: „Auch in der Baukunst bekommen die Männer Konkurrenz“. „Ihre Kreativität und Erfolge sind nicht mehr von der Hand zu weisen.“
Beim Blick ins Archiv mussten die Macher des Deutschen Architektur Museum in Frankfurt am Main verstört feststellen, dass von den rund 370 Ausstellungen seit Gründung im Jahr 1984 sich 100 mit einzelnen Architekten auseinandergesetzt hatten und nur vier (!) mit dem monografischen Werk von Architektinnen. Dies war der Anlass für „Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architekturberuf“. Aktuell ist die Wanderausstellung im Museum der Arbeit zu sehen.
Vier Ausstellungen arbeiten Rolle der Frau auf
22 Porträts informieren über die Lebensbiografien und Leistungen ganz unterschiedlicher Architektinnen, die mehrheitlich in Vergessenheit gerieten. „Wenn man bedenkt, mit welchen Schwierigkeiten die Frauen damals zu kämpfen hatten – an den Hochschulen, in den Büros, ja sogar in den eigenen Familien, – zeugt das von großem Selbstbewusstsein“, so Kramer, die an der Ausstellung mitgewirkt hat.
Zurzeit arbeiten neben „Frau Architekt“ drei weitere Hamburger Ausstellungen die Rolle berufstätiger Frauen auf: „Ausgezeichnet. Die Künstlerinnen des Inventars“ im MARKK, „Gegen die Unsichtbarkeit. Designerinnen der Deutschen Werkstätten Hellerau 1998 bis 1938“ im MKG und „Ärztin werden“ im Medizinhistorischen Museum. Ihr gemeinsamer Nenner: Nicht die Leistung unterscheidet Frauen von Männern. Sondern deren öffentliche Anerkennung.
Höchste Zeit, dies zu ändern.
Aber hat sich in 100 Jahren viel getan? Haben es Frauen heute so viel leichter, Kinder und Beruf zu vereinbaren? „Auch ich muss mich immer wieder daran erinnern, Frauen im Job zu unterstützen“, sagt Sibylle Kramer. „Bei mir arbeiten vier Mütter, und natürlich werden die Kinder öfter mal krank. Wer kümmert sich dann? Doch meistens die Frauen.“ Und gleichzeitig ist das Bauen eine knallharte Branche, die keinen Aufschub duldet. Es ist ein Termingeschäft, an dem viel Geld hängt“, so Kramer. Oft sei schnelles Handeln nötig. „Wenn Fehler passieren, wird ein Schuldiger gesucht.“ Die Kritik müsse man aushalten.
Prägende weibliche Figuren gab es schon immer
Anderseits sei es ihr wichtig, sich in solchen Situationen partnerschaftlich zu verhalten, das Problem gemeinsam zu lösen. Eine Stimmung zu schaffen, in der Frauen und Männer gleichberechtigt und erfolgreich zusammenarbeiten können. Als Architektin von heute wird in der Ausstellung Almut Grüntuch-Ernst gezeigt: Zusammen mit ihrem Mann gründete die fünffache Mutter ein Büro in Berlin, das Wohn- und Arbeitsraum miteinander kombiniert. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin verschaffte sie sich die finanziellen Mittel, um an Wettbewerben teilnehmen zu können.
Natürlich gab es sie immer schon, prägende weibliche Figuren in der Architektur. Hier ein paar Namen, die man sich einprägen sollte: die Museumsbauerin von Mannheim, Ingeborg Kuhler, Bauhaus-Architektin Wera Meyer-Waldeck, „Madame de Stahl“ Verena Dietrich, Iris Dullin-Grund, die einflussreichste Architektin der damaligen DDR, Lilly Reich, die mit Ludwig Mies van der Rohe bahnbrechende Projekte realisierte, Margarete Schütte-Lihotzky, die bezahlbaren Wohnraum im Neuen Frankfurt schuf, und Sigrid Kressmann-Zschach. Auf einem Foto sieht man die schillernde Berliner Geschäftsfrau als einzige Frau - ganz selbstverständlich - bei einem Umtrunk mit Polieren.
„Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architekturberuf“ bis 8.9. im Museum der Arbeit (S Barmbek), Wiesendamm 3, Mo 10.00-21.00, Mi-Fr 10.00-17.00, Sa/So 10.00-18.00, Eintritt 8,50/5,- (ermäßigt), unter 18 J. frei