Hamburg. Die Wanderausstellung „Gute Aussichten“ versammelt wichtige Arbeiten von Absolventen deutscher Fotografie-Hochschulen.

Die Bilder wuchern. Modefotos, Instagram-Schnappschüsse, hier ein Porno-Motiv, dort der Screenshot eines Whatsapp-Chats. Eine Wand im Haus der Photographie ist schon völlig tapeziert, aber durch die Ritzen scheinen weitere Aufnahmen zu drängen, gruselige Trivialitäten: Brüste, Sinnsprüche, Selbstdarstellungen.

Denkt man. Aber Lorraine Hellwigs Installation „Y A Manifesto“ ist mehr als bloß eine Kakofonie aus Bildern, die die Absolventin der Hochschule München für ihren Beitrag zur Ausstellung „Gute Aussichten“ aus dem Internet gefischt hat, es ist ein kunstvoll komponierter Überblick über die Kommunikationskultur der heutigen Mittzwanziger. Hellwig stellt zum Beispiel eine Aktfotografie des Starfotografen Juergen Teller von 1996 nach, allerdings ohne die sexuelle Eindeutigkeit der Vorlage.

Mehrfaches Um-die-Ecke-Denken

Aus der klaren geschlechtlichen Zuordnung von Supermodel Kristen McMenamy wurde androgyne Vielstimmigkeit, statt des kommerzbegeisterten „Versace“ steht das desillusionierte Statement „No Sex Last Night“ auf der Brust des Models, und wie um diese Aussage zu konterkarieren, stellt sich das Bild mit „Fake News!“ selbst infrage.

Solch ein mehrfaches Um-die-Ecke-Denken zieht sich durch die gesamte Arbeit, bis Kurator Ingo Taubhorn sich zur Behauptung versteigt, dass die Installation die wichtigste Frage junger Kunst beantwortet: „Wie fühlt es sich an, heute als junger Mensch zu leben?“ Wenn man sich „Y A Manifesto“ länger anschaut: fühlt sich nach Kopfschmerzen an.

Unterschiedliche Positionen

Allerdings finden andere Künstler da ganz andere Antworten. Die Wanderausstellung „Gute Aussichten“ versammelt schon zum 15. Mal wichtige Arbeiten von Absolventen deutscher Fotografie-Hochschulen, und so unterschiedlich diese Ausbildungen aufgebaut sind, so unterschiedlich sind auch die eingeladenen Positionen.

Beispielsweise Anna Tiessens Serie „Kommando Korn“ (Ostkreuzschule Berlin), die die Feierkultur unter Dithmarscher Jungbauern dokumentiert, melancholisch, sehnsüchtig, durch sanftes Gegenlicht in den Pop der Instagram-Ästhetik getaucht. Tiessen stammt aus der Region um Heide, entsprechend zeigen die Fotos unter Aussparung provinzieller Tristesse eine ideale Jugenderinnerung – weiter weg vom reflektierten Internet-Overkill Hellwigs kann man sich kaum entfernen.

Projekt der Distanzlosigkeit

Am konsequentesten arbeitet Sina Niemeyer (Hochschule Hannover) an einem Projekt der Distanzlosigkeit: Die Installation „Für mich – A Way Of Reconciliation“ behandelt den sexuellen Missbrauch, den die Künstlerin als Kind erleben musste. Was freilich dafür sorgt, dass die inhaltliche Drastik die formale Qualität von Niemeyers Arbeit in den Hintergrund drängt, gerade angesichts der Tatsache, dass „A Way Of Reconciliation“ direkt neben Arbeiten steht, die ausschließlich auf der formalen Ebene funktionieren.

Patrick Knuchels „Die ,konkrete‘ Idee“ (Burg Giebichenstein Halle) etwa, das die Frage „Was ist ein Bild?“ kameralos mittels Siebdruck, Fotogramm und Risografie zu fassen versucht, Benjamin Kummers Objektstudien „Konstruktion Raum“ (Neue Schule für Fotografie Berlin) oder Robert ter Horsts „Playtime“ (Fachhochschule Bielefeld), das sich mit hochartifizieller Strenge dem Aspekt verrinnender Zeit widmet.

„Y A Manifesto“ von Lorraine Hellwig
„Y A Manifesto“ von Lorraine Hellwig © Lorraine Hellwig/Gute Aussichten

Im Vergleich zu früheren „Gute Aussichten“-Ausgaben sind dieses Jahr wenig konzeptionelle Arbeiten vertreten. Ausnahme: Laila Kaletta untersucht mit „A Dead Flower Will Never Bloom“ (Lette-Verein, Berlin) das Phänomen der Unsterblichkeit, mittels Fotos, Installationen und eines Buchprojekts. Wirkt hermetisch, wird durch die Bodenständigkeit der Künstlerin allerdings geerdet: „Geboren bin ich 1995. Aber wenn ich sterbe, werdet ihr nicht mehr erfahren!“

Hochaufgelöste Satellitenbilder

Malte Sänger hingegen sammelt für „Abdrücke“ (Hochschule für Gestaltung Offenbach) Bilder, die Migranten während ihrer Flucht in sozialen Medien gepostet hatten, die er mit hochaufgelösten Satellitenbildern der Aufnahmeorte koppelt. Es entsteht eine eindrucksvolle Geografie der Migrationsgesellschaft, variiert mittels schnell verblassender Chemikalien für die Social-Media-Bilder. „Abdrücke“ bekommt so einen leicht kunstgewerblichen Charakter, den man auch im Film „Der Schatten“ (Hochschule für Bildende Künste Braunschweig) von Steve Luxembourg entdeckt – dunkler Naturgrusel, der freilich dennoch durch seine handwerkliche Genauigkeit besticht.

Flankiert werden die Nachwuchsarbeiten von der Installation „Fall At Lake Victoria“ vom früheren „Gute Aussichten“-Teilnehmer Holger Jenss: kolonialismuskritische Afrika-Fotografien, die allerdings selbst auf kolonialen Images beruhen, weil sie großteils in deutschen Safari-Parks aufgenommen wurden, unter anderem im niedersächsischen Hodenhagen.

Womit sich auch Jenss in das Gesamtbild der diesjährigen Ausstellung einreiht: Die Techniken und die Sujets mögen so vielschichtig sein wie selten zuvor, den meisten Künstlern aber ist gemein, dass sie lieber dreimal um die Ecke denken, bevor sie Souveränität aufgeben. Anders gesagt: Ob man nun die Migrationsgesellschaft untersucht oder die Vielstimmigkeit des Internet-Pops – klare Positionierungen sind jedenfalls von gestern.

„Gute Aussichten – Junge Deutsche Fotografie 2018/2019“ 13. 7.–3. 10., Deichtorhallen/Haus der Photographie, Deichtorstraße 1–2, Eröffnung: Freitag, 12. 7., 19 Uhr, weitere Infos: www.guteaussichten.org. Ein Katalog zur Ausstellung ist für 20 Euro erhältlich