Hamburg. #MeToo und mehr: Die Friedenspreisträgerin und Bestsellerautorin gibt im Thalia eine differenzierte, eindrückliche Lecture Performance.
Einen Rock muss sie diesmal nicht anziehen. Carolin Emcke kommt in Jeans und Turnschuhen auf die Bühne des Thalia Theaters. Bevor sie mit ihrer Lecture Performance „Ja heißt ja und...“ beginnt, spricht sie über ihre ersten Theaterbesuche in eben diesem Haus. „Es war für mich unvorstellbar, dass ich mal auf der anderen Seite stehen würde“, damals seien die Sitze noch gelb gewesen – und der „Kleidchenzwang“ zum Weihnachtsmärchen obligatorisch. Jetzt nimmt sie an einem hohen Pult Platz, vor sich ein dickes Textbuch, neben sich ein Laptop, mit dem sie zwischen den Texten Musik einspielen wird. Hinter ihr wechseln auf einer Leinwand Projektionen mit unscharfen Fotografien in Schwarz-Weiß. Mit dem Satz „Am Anfang ist der Zweifel“, beginnt Carolin Emcke ihr Programm.
Die Journalistin, Friedenspreisträgerin und Bestsellerautorin spricht in den folgenden 90 Minuten über Sexismus und Lust, über Missbrauch und vermeintlichen „Tugendterror“, über Ausgrenzung und familiäre Gewalt, über „Mitschnacker“ und Bademäntel. Analytische Bestandsaufnahmen wechseln mit persönlichen Erlebnissen. Emcke spricht eindringlich, ihre Sprache ist geschliffen, immer wieder applaudiert das Publikum, wenn die Rednerin eine starke Pointe setzt. Sie ist Feministin, präsentiert ihre Weltsicht und fragt sich: Was ist richtig? Was ist wahr, was ist wahrhaftig? „Vereinfachungen machen mir Angst“, sagt Emcke. Der Abend im Theater am Alstertor ist das Gegenteil plakativer Thesen. Carolin Emcke hat die Schreibstube verlassen, differenziert lässt sie das Publikum an ihren Überlegungen teilhaben.
Die #MeToo-Debatte und der Bademantel
Der in der #MeToo-Debatte immer wieder erwähnte Bademantel kommt auch bei ihr vor. Sehr pointiert führt sie aus, dass der Bademantel zu einem Bild geworden sei – gleichbedeutend mit der Aufforderung zum Sex vor allem an abhängige Frauen. Der Bademantel sei ein deplatziertes Kleidungsstück, das männliche Dominanz repräsentiere. In Zusammenhang mit übergriffigen Männern erzählt sie eine Begegnung aus eigenem Erleben. Der Herausgeber eines Magazins rief die damals junge Redakteurin an und lobte einen Text von ihr. Ihr Ressortleiter, der das Telefonat mitbekam, mutmaßte, dass der Herausgeber sie demnächst zu sich nach Hause einladen würde. „Ich werde Sie begleiten“, versicherte er, offenbar wissend, was bei diesen Einladungen drohte. Es kam nicht dazu. Emcke wurde dann doch nicht eingeladen.
Ausführlich beschäftigt sie sich mit dem Thema Macht. Mit der Macht der Gruppe, mit Macht als Herrschaftsform, aber auch als physische Überlegenheit. Macht durch einen stärkeren Körper, der Frauen unterdrückt und überwältigt, der zerstören kann, aber nicht bestraft wird. Doch auch hier differenziert Emcke. Sie führt Beispiele von Ohnmacht an und der Unmöglichkeit, sich aus Abhängigkeiten zu befreien. Wie verhält sich zum Beispiel eine syrische Geflüchtete, die von ihrem Mann geschlagen wird, aber hier noch keinen anderen Kontakt hat? Oder eine ans Bett gefesselte Kranke, die von ihrem Pfleger zwar versorgt wird, aber auch sexuell missbraucht?
Eindringliche Anekdote häuslicher Gewalt
Besonders eindringlich wirkt eine Szene, die Emcke bei einem Essen im Haus einer Freundin erlebt hat. Zwischen der Freundin und deren Mann herrschte bereits eine aggressive Grundstimmung. Das Baby schrie, das Paar verschwand im Kinderzimmer, ein Schlag ist zu hören. Die Frau kehrte zurück und tut so, als wäre nichts gewesen. Als „Farce“ kommt Emcke die Situation heute vor, aber damals fühlte sie sich hilflos angesichts der häuslichen Gewalt. Damals habe sie nur zwei Optionen gesehen: entweder die Freundin und ihr Kind mit zu sich zu nehmen oder sie dort zu lassen und selbst zu gehen. „Doch ich bin nicht darauf gekommen, den Mann mit seiner Gewalt zu konfrontieren.“
Eine Projektion verdeutlicht eine ungeheuerliche Statistik: 109.000 Frauen sind in Deutschland nach einer Erhebung des Familienministeriums im Jahr 2016 Opfer häuslicher Gewalt geworden – die Dunkelziffer lässt sich nur erahnen.
Zum Ende dieses klugen Monologs, den Carolin Emcke Ende 2018 zum ersten Mal in der Berliner Schaubühne gesprochen hat, geht sie noch einmal auf die #MeToo-Debatte und den Titel ihrer Lecture Performance ein: „Ja heißt ja und...“ Sie grenzt sich klar vom reaktionären Begriff „Tugendterror“ ab, den Thilo Sarrazin geprägt hat, und bekennt sich zu einem lustvollen Miteinander. „Lust entsteht nur aus der Zustimmung. Es ist das Gegenteil von ,Tugendterror‘. #MeToo ist Ausdruck der Abwehr von Missbrauch und Nötigung. Frauen, die sich wehren, wird Furor und Terror unterstellt.“ Nicht nur für Emcke ein absurder Gedanke. Am Ende des Abends, der inspiriert und nachdenklich macht, wird sie von ihren Zuhörern und Zuhörerinnen gefeiert.