Hamburg. Die Ausstellung im Kunstverein will zum Nachdenken darüber anregen, was wir mit unserer täglichen Sprache anrichten.

Es ist kein Zufall, dass die großformatige Arbeit der renommierten Amerikanerin Barbara Kruger in „Spiegel“-Orange in Richtung des großen Verlagshauses an der Ericusspitze weist: Diese fragt „If You’re So Successfull Why Do You Feel Like A Fake?“ (2011) und kann natürlich auch mit Blick auf den Fall Relotius betrachtet werden.

Die Ausstellung „Political Affairs – Language Is Not Innocent“ im Kunstverein will provozieren. Und sie will zum Nachdenken darüber anregen, was wir mit unserer täglichen Sprache anrichten: in Politik, (Massen-)
Medien, Werbung, im Kino und in der Literatur. Viele Buchtitel namhafter Autoren etwa sind männlich dominiert. Warum eigentlich? Auch die weibliche Form wäre möglich gewesen ...

Konstruktion von Geschlechterrollen

Wie wäre es zum Beispiel mit „Dona Quixote“ statt „Don Quixote“? Mit „Professorin Unrat“, „Die alte Frau und das Meer“, „Die talentierte Mrs. Ripley“ oder gar „Moby Pussy“? In den amüsanten „Neuerscheinungen“, herausgegeben von der italienischen Künstlerin Daniela Comani, geht es um die Beweglichkeit und Konstruktion von Geschlechterrollen. Zusammenhänge und Informationen werden neu eingeordnet, die Legitimität von Ereignissen wird infrage gestellt. Wäre die (Literatur-)Geschichte anders verlaufen, hätten mehr Frauen eine Hauptrolle gespielt?

20 zeitgenössische internationale Künstlerinnen und Künstler vereint die von Vereinsdirektorin Bettina Steinbrügge und Monica Bonvicini kuratierte Schau. Letztere wurde in Venedig geboren, lebt und arbeitet heute in Berlin. Sie untersucht in ihren Werken, wie sich sozialpolitische Gegebenheiten auf die Gesellschaft auswirken, benutzt dafür verschiedene Stilmittel von Skulptur über Zeichnung bis Video. Von ihr stammt die auffällige Glühbirnen-Installation, die wie eine Reklametafel dem Betrachter mit einem „Not For You“ (2006) entgegenblinkt. Ein Hingucker, der zugleich abschreckt, verwirrt. Zumal er direkt über der Fahrstuhltür im ersten Stock angebracht ist.

Über Sprache sprechen

Es sei einfach an der Zeit gewesen, über Sprache zu sprechen, so die Kuratorin – abzielend auf Fake News, Yellow Press, soziale Medien, die diesen Namen nicht verdienen, und Werbespots, die die Verbraucher für dumm verkaufen; mehr noch: ein pervertiertes Bild der Gesellschaft entwerfen, die sich schlank und top gestylt nonstop bei Handygesprächen und Bacardi-Feiern vergnügt. Und die Hanuta-Waffeln werden selbstverständlich noch von Hand gebacken.

So stutzt man auch nur kurz, dass der Brasilianer Öyvind Fahlström aus dem altbekannten Esso-Schild (blauer Rand, rote Schrift) 1967 einen LSD-Button in gleicher Typo machte.

Verwirrung und Missverständnisse

Das dänisch-norwegische Künstlerduo Elmgreen & Dragset thematisiert in einer Arbeit von 2011 das Profitstreben von Pharmakonzernen einerseits und die Erfahrungen von Menschen, die an Aids leiden, andererseits. Während der obere Teil der Neonleuchtschrift „Aids Is Good“ dauerhaft leuchtet, ist der untere „Business For Some“-Teil nur von Zeit zu Zeit erhellt. Leuchtreklame als Widerhaken.

Dabei soll Sprache eigentlich zentrales Mittel zwischenmenschlicher Verständigung sein. Sie ist aber heute auch verantwortlich für Verwirrung, Missverständnisse, fehlende Unabhängigkeit und Indok­trinierung. Die Ausstellung zeigt, wie Kreative schon seit mehr als 50 Jahren die visuellen Formen und Methoden überarbeiten, und es wird deutlich, wie Texte, Stimmen und Standpunkte kons­truiert, reproduziert und manipuliert werden.

Frage nach Fakt und Fiktion

Für ihre Serie „Bad Weather“ (2007) kopierte die polnische Medienwissenschaftlerin Aleksandra Mir 10.000 Titel der Boulevardzeitungen „New York Daily News“ und „New York Post“ und zeichnete 240 davon freihändig ab. In der Berichterstattung überwogen Katas­trophen und Skandale; so nahm am 12. Februar 1990 die Scheidung von Ivanka und Donald Trump 95 Prozent der „NYP“-Titelseite ein, während die Haftentlassung von Nelson Mandela nur am Rande erwähnt wurde. Durch das Schüren von kollektiven Freuden (Lottogewinn) und kollektiven Ängsten (Hitzewellen, Schneestürme) werde versucht, Gemeinsamkeit und Identität zulasten von Informationen zu stiften, so die Performance-Künstlerin.

Die Frage nach Fakt und Fiktion stellt auch der amerikanische Fluxus-Künstler George Brecht mit seinem humoristischen „Paradox Shirt“ (1989): „On My Chest Is The Truth“ steht hinten in Siebdruck – und vorn „On My Back Is A Lie“.

Wem kann man noch trauen?

Wem kann man also noch trauen in einer babylonischen Sprachwelt, die sich in dieser großartigen Mixed-Media-Schau klug darstellt? Anscheinend nicht einmal dem Flurplan: „Don’t Trust The Floorplan“ steht auf einem Aufkleber im Begleitheft.

Dann vielleicht den Frauen, also den Kuratorinnen und Künstlerinnen? So fordert es zumindest die Amerikanerin Andrea Bowers mit ihrer Installation. Am Anfang (und am Ende) der Ausstellungsfläche leuchtet es grellbunt in LED: „Trust Women“.

Political Affairs – Language Is Not Innocent“ bis 21.7., Kunstverein (U Steinstraße), Klosterwall 23, Di–So 12.00–18.00, Eintritt 5,-/3,- (ermäßigt)