Hamburg. . Beim Elbjazz-Festival erhält Bassistin Lisa Wulff den Hamburger Jazzpreis. Eine Begegnung mit der 28-Jährigen

Bassisten führen ein Schattendasein, jedenfalls im Jazz. Ein Blick durch das am Sonnabendabend gut gefüllte Birdland in der Gärtnerstraße lässt daran keinen Zweifel. An der holzgetäfelten Decke hängen Saxofone, Trompeten, auch eine Gitarre, aber ein Bass? Fehlanzeige. Und an den Wänden: Mehr als 20 Porträts von Jazzgrößen wie Miles Davis, Dizzy Gillespie oder Billie Holiday, und nur ein einziger Bassist fällt ins Auge: der legendäre Charles Mingus. Doch eine Frau tritt jetzt aus dem Schatten heraus: Lisa Wulff, die am Wochenende beim Elbjazz Festival den mit 10.000 Euro dotierten Hamburger Jazzpreis erhalten wird.

Ungewohnt sei es für sie schon, plötzlich im Mittelpunkt zu sein, erzählt sie beim Gespräch vor dem Konzert. „Es liegt mir eigentlich nicht so, ich bin gerne Sideman.“ Andere unterstützen, ihnen ein musikalisches Fundament bieten, darin geht sie auf. Mal ein kurzes Intro oder ein schöner Solopart, das reicht ihr. Auch im Birdland, wo die 28-Jährige auf der kleinen Bühne zwischen Schlagzeug und Piano in der zweiten Reihe steht und mal Kontrabass, mal einen elektrischen Sopranbass spielt.

Ruhe und Gelassenheit

Ein wenig ungewohnt sei es immer noch, als Bandleaderin die Zwischenansagen zu machen, bekennt sie, die ihr Quartett vor immerhin schon sieben Jahren gegründet und bislang zwei CDs mit eigenen Stücken veröffentlicht hat. „Musiker suchen sich ihr Instrument eben nach ihrer Persönlichkeit aus“, sagt sie, und tatsächlich ist Lisa Wulff keine Lautsprecherin. Sondern eine, die mit Qualität punktet, die Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt und als dezentes Zeichen ihrer Leidenschaft eine filigrane Halskette mit kleinem Bassschlüssel-Anhänger trägt.

Dass ihr die Musik in die Wiege gelegt wurde, klingt wie ein Klischee, trifft aber zu. Ihr Vater und der vier Jahre ältere Bruder spielten bereits Klavier, als sie kurz vor ihrem vierten Geburtstag erstmals die Tasten anschlug. Später wechselte sie wie der Bruder zur Gitarre, dann entdeckte sie den E- und schließlich den Kontrabass.

Bedingungslose Liebe zum Bass

Eine wichtige Rolle spielte dabei die Weihnachtsfeier ihres Karatevereins, bei der sie den Gutschein für eine Kontrabass-Unterrichtsstunde geschenkt bekam. Danach war es um die damals 17-Jährige geschehen. „Man muss bedingungslos für dieses Instrument leben“ erkannte sie. Und tat genau das. Studierte an der Bremer Hochschule für Künste, später an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater (HfMT), absolvierte dort auch den Kontaktstudiengang Popularmusik, bei dem sie inzwischen selbst Dozentin ist – und spielte live. Wo immer es ging, was immer ihr gefiel. Bis heute.

Schnell sprach sich nicht nur in Hamburg herum, welch musikalische Klasse Lisa Wulff zu bieten hat. Und so trat sie bald mit Stars wie Al Jarreau und Randy Brecker auf; inzwischen spielt sie regelmäßig mit der NDR Bigband, mit Posaunist Nils Landgren und Klarinettist Rolf Kühn. Als Aushilfe war sie außerdem einige Jahre beim Musical „König der Löwen“ engagiert. Eine Zeit, die sie nicht missen möchte, in der sich Erfahrungen sammeln ließen und natürlich auch sicheres Geld zu verdienen war.

Vorspiel beim Bundespräsidenten

Denn Geld ist im Jazz immer ein Thema. „Wir spielen Randgruppenmusik, da darf man sich nichts vormachen“, sagt Lisa Wulff. Zwar könne sie als Freiberuflerin inzwischen von der Musik leben, aber nur, weil sie parallel so viele Projekte verfolgt und immer neue Angebote bekommt, in Bands bekannterer Künstler zu spielen. Etwa 100 mal steht sie pro Jahr auf der Bühne, fast 20 mal wird sie 2019 allein in Hamburg zu hören sein. Mit ihrem Quartett, im Duo mit Pianistin und Sängerin Clara Haberkamp, auch mit Rolf Kühn, der sie ebenso wie Nils Landgren für seine Deutschland-Tour gebucht hat.

Häufig ist bei diesen Engagements Spontanietät gefragt: Etwa als 2014 zwei Tage vor der Abreise nach China einer von Nils Landgren geleiteten Bigband der Bassist ausfiel. Landgren fragte Lisa Wulff, die er durch seine Tätigkeit als HfMT-Dozent kannte. Eigentlich war die schon mit Freund und Familie auf dem Weg in den Skiurlaub, aber das musste dann hintanstehen. Eine Entscheidung, die ihr später Türen zu weiteren Engagements öffnete, auch zu einem Konzert bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue.

Mit dem Preisgeld wird eine CD-Produktion finanziert

Und nun also der Hamburger Jazzpreis. Von Wullfs „außerordentlichen technischen und kreativen Fähigkeiten“ ist in der Jurybegründung die Rede. Als Bassistin sei sie „ein verlässlicher, energetischer Ruhepol und zugleich inspirierender Motor“. Gut für’s Renommee ist die Auszeichnung allemal, ebenso wie der Jazz Baltica Förderpreis (2016) und die Nominierung für einen Echo Jazz (2017). Doch ebenso wichtig sind für Lisa Wulff die 10.000 Euro Preisgeld. Die wandern nicht etwa in die Urlaubskasse oder einen Bausparvertrag, sondern in eine weitere CD-Produktion, denn jenseits der Stars gilt im Jazz: Wer veröffentlichen will, muss zahlen – Bandkollegen, Studiozeit, Werbung. Verdienen lässt sich da nichts.

Doch wer sieht, wie auf der Birdland-Bühne versunken die Augen schließt und eins wird mit ihrem Bass, versteht sofort: Lisa Wulff geht es bei dem, was sie tut, nicht ums Geld, schon gar nicht um einen Platz im Rampenlicht, sondern einzig um das, was ihr am Herzen liegt, wie sonst kaum etwas: um den Jazz.