Hamburg. Der Balladen-Abend des Schauspielers beim Hamburger Theaterfestival kam ganz ohne Bedeutungsschwere aus.
Ach, denkt man, das wird ein bedeutungsschwerer Abend werden. „Ulrich Matthes liest Schiller-Balladen“ im Rahmen des Hamburger Theaterfestivals, Starschauspieler liest Dichterfürst, und dann ist im Thalia Theater auch noch ein klassizistisches Bühnenportal aufgebaut, mit Goldstuck und rotem Samtvorhang. Was zwar die Bühne für René Polleschs „Cry Baby“ am nächsten Abend ist, aber Matthes’ Lesepult steht jetzt eben in diesem Klischeetheater, da darf man bildungsbürgerlichen Overkill erwarten. Darf man.
Matthes aber schlendert ganz und gar nicht bildungsbürgerlich auf die Bühne. Dunkler Anzug, keine Krawatte, Drei-Tage-Bart, er grinst ins Publikum: „Moin.“ Weniger Bedeutungsschwere geht nicht. Stattdessen kumpelt sich der 60-Jährige konsequent in die Herzen der Zuschauer. Ob Kinder oder Jugendliche anwesend seien, fragt er, und als ein paar zaghafte Stimmen bejahen: „Wer hat euch denn verdonnert, hierher zu kommen?“ Gelächter. Er lobt das Hamburger Publikum als das beste der Republik.
Genervt von Schiller? Ulrich Matthes doch nicht!
Er tadelt das Hamburger Abendblatt, das in der Vorankündigung behauptet hatte, dass er als Jugendlicher von Schillers Balladen genervt gewesen sei, weil sein Vater diese so geliebt habe – tatsächlich sei sein Großvater der Schiller-Fan gewesen, und der hätte auch nicht genervt, sondern eine Mischung aus Respekt und Befremdung provoziert. Das sei hiermit korrigiert.
Und dann holt er eine Zuschauerin auf die Bühne, die, vom Charme des Schauspielers überrumpelt, behauptet hatte, „Die Bürgschaft“ auswendig zu können. Die Arme muss den Text rezitieren, verhaspelt sich und wird von Matthes aufs Reizendste gerettet: „Das war aber schön“, echte Freude. Was dann, endlich, der Übergang zur eigentlichen Lesung ist, die er mit „Der Ring des Polykrates“ eröffnet. Macht er tadellos, muss man zugeben: Matthes intoniert klar, betont sinnvoll, setzt Pausen, wo Pausen sein müssen, zieht das Tempo an, wo es atemlos wird.
"Eine frohe Märe, das ist kein gut gelauntes Pferd“
Vor allem aber lebt er mit den Texten: Beim „Lied von der Glocke“ schwingt sein Körper wie die beschriebene Glocke hin und her, beim ertrinkenden „Taucher“ erstirbt seine Stimme und seine Augen wandern ins Leere. Toll. Immer wieder flicht er Anekdoten ein, Anmerkungen, Erklärungen. „ Weiß jemand, was ein Schwalch ist?“ (weiß niemand), „Man wird großherziger durch Schiller“ (als ein Handy mitten im Vortrag bimmelt).
Irgendwann wird es endgültig albern, „eine frohe Märe, das ist kein gut gelauntes Pferd“, und Matthes kichert selbst am lautesten über diesen Flachwitz. Und spätestens jetzt ist klar: Diese Lesung ist so charmant, weil der Lesende ganz großen Spaß an der Sache hat. Ganz ohne Bedeutungsschwere.