Hamburg. Das Stück überzeugt nur bedingt. „Nein zum Geld!“ lässt sich arg Zeit. Es ist Sewan Latchinians erste Regie am Haus.
„Geld ist nichts“, hat der Dramatiker und Literaturnobelpreisträger George Bernard Shaw einmal festgestellt und ergänzt: „Aber viel Geld, das ist etwas anderes.“ Das ist ein kluger Satz. Denn Shaw legt sich nicht fest, er sagt nicht eindeutig (auch wenn man diese Deutung vermutlich unterstellt), dass viel Geld demnach alles ist – es kommt, wie so oft im Leben, auf die Perspektive an.
Viel Geld, das kann wahlweise die Lösung aller Probleme bedeuten – oder die Mutter aller Probleme sein. „Nein zum Geld!“ hat darum die Theaterautorin Flavia Coste ihre Versuchsanordnung genannt, die der neue Künstlerische Leiter der Hamburger Kammerspiele dort, mit Ausrufezeichen!, auf die Bühne bringt. Es ist Sewan Latchinians erste Regie am Haus. „Nein zum Geld!“ also, nach der Entscheidung der Hauptfigur Richard: Der gewinnt 162 Millionen im Lotto – und will den Gewinn nicht annehmen. Begründung: „Dieser Betrag ist ein Witz.“ Findet Richard. „Geld ist scheiße, es versaut die menschlichen Beziehungen.“ Wie auch immer man zu seiner Entscheidung steht, mit dieser Einschätzung hat er, wie die etwas ausführlich geratenen zweieinhalb Folgestunden überdeutlich zeigen, zweifelsohne recht.
Eigentlicher Star
Der eigentliche Star, neben dem hervorragend aufgelegten Götz Schubert in der Rolle des Reichtumverweigerers Richard, ist dabei die Bühne von Stephan Fernau. Richard nämlich ist Architekt, weshalb Fernau ihm eine liebevoll konstruierte Do-it-yourself-Bude gezimmert hat, überall versteckte Klappen und Schubladen, eine gewitzt herausschiebbare Treppe und schwenkbares Küchenmobiliar. Das ist spielerisch und macht beim Entdecken Spaß. Und es tröstet etwas über die lang werdenden ersten Minuten der Inszenierung hinweg, die sich reichlich Zeit lässt für die Einführung und Typisierung der gar nicht mal so komplexen Charaktere.
Da ist neben Richard zunächst dessen Frau Claire, als die sich Juschka Spitzer, natürlich im Unterkleidchen, arg ausgiebig durch die Wohnung tänzelt und summt. Wie frau so was halt so macht bei der Dinnervorbereitung oder vielmehr: wie man es sich offenbar vorstellt. Leider zwingen sie Gesprächspausen immer wieder dazu, pantomimisch über textfreie Stellen hinwegzuspielen, was der Figur nur bedingt guttut.
Schrille Mutter
Auf andere Art verstrahlt ist die schrille Mutter des Lottogewinners, die Hannelore Droege als bunten Paradiesvogel Rose (sowohl ihr Name als auch ihr Haarschmuck) mit fein dosiertem Böse-Hexe-Potenzial gibt. Ulrich Bähnk ist im lachsfarbenen Anzug der Hausfreund und Geschäftspartner Etienne, den alle für schwul halten, wobei nicht ganz klar wird, was genau an diesem Umstand, der sonst wenig zur Handlung beiträgt, eigentlich so lustig sein soll. Bähnk allerdings macht, wie Hannelore Droege, aus seiner Rolle das Beste, ohne die Figur an Stereotype zu verraten.
Als Richard dem Trio eröffnet, dass es haarscharf an 162 Millionen vorbeigeschrammt ist, kippt die Plauderei in fassungslose Hysterie. Dem Ehemann und selbsterklärten Systemkritiker wird seine Zurechnungsfähigkeit abgesprochen, während die Dialoge schwanken zwischen ernsthafter Auseinandersetzung, trockener Analyse (Claire: „Man kann die Literatur und den Kaviar lieben!“) und etwas lahmen Anspielungen auf Fußballer-Hedonismus (Franck Ribérys goldenes Steak) oder die Fridays-for-Future-Demonstrationen: „Du klingst wie ein streitender Teenie, der nicht genau weiß, wofür er die Schule schwänzt.“ Über diese „Pointe“ allerdings lacht das Publikum nur verhalten – das Engagement der Schüler wird zumindest von den Premierengästen der Kammerspiele offenbar nicht als Witz wahrgenommen.
Makabre Groteske
Kommt Latchinians Inszenierung zu Beginn eher schwer in Gang, dreht das Ensemble im Laufe des Abends immer mehr auf, die Komödie wird zur makabren Groteske: Maman, Ehefrau und bester Freund mutieren zu geldgeilen Zombies, bis das Blut spritzt und die Kulisse wackelt. Und anschließende Foyergespräche drehen sich um die durchaus spannende Frage „Was hättest du getan?“, der Erkenntnisgewinn orientiert sich dabei an Oscar Wilde: „Als ich klein war, glaubte ich, Geld sei das Wichtigste im Leben. Heute, da ich alt bin, weiß ich: Es stimmt.“
„Nein zum Geld!“, Hamburger Kammerspiele, bis 1. Juni, Hartungstr. 9–11, Karten zu 10,- (erm.) bis 43,- unter T. 41 33 44 0