Hamburg. Weggefährten wie Ulrich Khuon und Tom Stromberg hielten eine Laudatio – Meyerhoff erschien im langen schwarzen Kleid.

Wenn man dem Schauspieler und Schriftsteller Joachim Meyerhoff beim Erzählen zuhört, könnte man meinen, sein Theaterleben sei eine Ansammlung von mehr oder weniger großen Katastrophen. In der ihm eigenen Art der Bewältigung des selbst empfundenen Scheiterns schafft dieser Ausnahmespieler mit Doppelbegabung immer wieder große und sehr erheiternde Kunst.

Das gilt auch für die Matinee anlässlich der – überaus verdienten – Verleihung des Gustaf-Gründgens-Preises 2019 im Ernst Deutsch Theater. Im langen schwarzen Kleid steht der aufgeschossene Schauspieler auf der Bühne – und schreit. Es folgen die wohlbekannten Sätze aus dem Prolog im Himmel von „Faust I“, in der Mephisto vor den Schöpfer tritt: „Mein Pathos brächte dich gewiß zum Lachen, hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.“ Da steht Joachim Meyerhoff mit schwarzen Engelsflügeln und verbundenen Augen und rezitiert natürlich einwandfrei. Später wird er trotzdem erzählen, dass er erst spät realisierte, dass die Zuschauer ihn ja beinahe nur von hinten sahen und er nicht auf der Drehbühne des Schauspielhauses stand. „Warum hab ich gesagt, ich mach das. Morgens um elf. Was für ein Unsinn, wer will das sehen? Ich weiß noch nicht einmal wo das Licht ist!“

Selbst in T-Shirt und Jeans ist er eine Naturgewalt

Es ist nicht sein in den Rollen durchaus gerne mal ausgespieltes Pathos, das an diesem Vormittag erneut begeistert, sondern eher das Gegenteil davon. Auch in Jeans und Pullover überm Shirt am Pult stehend ist er eine Naturgewalt auf der Bühne. Und schon nach wenigen Minuten ist der Saal weich gespielt. Egal, was Meyerhoff erzählt, und wenn es noch so sehr für Theaterinsider gemacht scheint, unterhaltsam ist es für jedermann. Auch Nichttheatergänger spüren etwas von dem Grauen, das jeden Vertreter der Zunft im Angesicht der Walpurgisnacht im „Faust“ befällt. Weil man sich da plötzlich so orgiastisch und enthemmt geben müsse.

Meyerhoff bestreitet diese Matinee nicht allein. Wichtige Weggefährten sind zur Stelle. Der frühere Thalia-Intendant Ulrich Khuon erntet großen Applaus für seine Ode an den Schauspieler, der sich selbst preisgebe im Ringen um die Rolle und den Gegenstand. Gleichzeitig durchlässig und handlungsfähig seien Schauspieler, so Khuon, „besonders typische Menschen“. Jeder Preis gelte stellvertretend ihnen allen.

Faust-Gegenspieler Edgar Selge war einst die Hebamme

Khuons früherer Konkurrent, der ehemalige Schauspielhaus-Intendant Tom Stromberg berichtet von einer schwierigen Hedda-Gabler-Inszenierung, bei der Meyerhoff eine Woche vor der Premiere in seinem Büro stand und ihm sagte, er könnte den Schriftsteller Eilert Løvborg nicht spielen, er sei schlecht. Stromberg schickte ihn auf einen Alsterspaziergang, bei dem er die Vertragsauflösung final überdenken solle. Meyerhoff kehrte nicht zurück. Der Rest ist Geschichte. In Strombergs Ära fiel das, was Meyerhoff als seine „Geburt“ bezeichnet, die Inszenierung des „Faust“ von Jan Bosse mit Meyerhoff als Mephisto im Jahre 2004. Die Hebamme dabei sei sein Faust-Gegenspieler Edgar Selge gewesen. Es gibt viele Umarmungen unter Männerfreunden an diesem Vormittag. Und auch Meyerhoff und Selge begrüßen einander innig und sie begeben sich, Meyerhoff auf einem Klavierhocker liegend, Selge auf ihm reitend, noch einmal auf den Goethe-Flug. Meyerhoff trage immer auch einen Regisseur in sich, erzählt Edgar Selge. Seine szenische Fantasie zu erleben, sei das größte Glück gewesen. Dieses Glück scheint wechselseitig, Selge habe ihm nie gesagt, was er zu tun habe, lobt Meyerhoff.

Kurz vor der eigentlichen Preisverleihung läuft Helge Malchow, langjähriger Verleger bei Kiepenheuer Witsch, in seiner Laudatio noch am ehesten Gefahr, dem so lebendigen Vormittag einen Hauch von Germanistikseminar einzuflößen. Er konzentriert sich weniger auf den Schauspieler als auf den Schriftsteller Joachim Meyerhoff, der für seine bislang vier Bestseller aus dem eigenen Leben aber natürlich auch aus seiner Theaterexistenz schöpft.

Erzählerische Kostproben aus Meyerhoffs frühen Jahren

Von seinen frühen Jahren als Schauspielschüler gibt Meyerhoff zum Glück noch einige erzählerische Kostproben zum Besten, passend zum Anlass. Schließlich ist der Preis nach dem legendären Mephisto-Darsteller und Schauspielhaus-Intendanten Gustav Gründgens (1899-1963) benannt. So erzählt Meyerhoff von einer Hölderlin-Lesung, bei der der berühmte Faust-Darsteller Will Quadflieg (1914-2003) vor 500 Zuhörern für längere Zeit eingeschlummert sei und nach dem Aufwachen noch einmal von vorne begann. Die Preisverleihung bleibt kurzweilig.

Der mit 15.000 Euro auf Initiative von acht Hamburger Lions Clubs verliehene Gustaf-Gründgens-Preis ist damit zum vierten Mal von der Mercedes-Benz-Niederlassung Hamburg vergeben. Mit dem Erlös der Benefiz-Matinee unterstützen die Hamburger Lions- und Leo-Clubs und das Ernst Deutsch Theater in diesem Jahr das Generationenprojekt KulturistenHoch2, das Schüler und Senioren zusammenbringt. Man möchte ihnen das baldige Glück wünschen, Joachim Meyerhoff auf der Bühne des Schauspielhauses zu erleben.