Hamburg. Die Schauspielerin steht in Hamburg zweimal auf der Bühne. Auch sonst geht es in der Spielzeit 2019/2020 ausgesprochen europäisch zu.

„Lieber für etwas sein als gegen etwas, lieber mit Mut und Zuversicht Zukunft gestalten als rückwärtsgewandt angebliche Verluste beklagen.“ Ganz im Sinne der Bewegung „Fridays for Future“ will Joachim Lux, Intendant des Thalia Theaters, die Haltung auch an seinem Theater verstanden wissen. „Under construction“ lautet das Motto der kommenden Spielzeit. Aufbruch also, auch noch nach zehn Jahren Intendanz, vielleicht gerade dann – „frei, international, spielerisch, multiperspektivisch“.

Das findet sich im Spielplan deutlich wieder. In all der Diversität auch viel Vertrautes zu entdecken, muss dabei kein Widerspruch sein: Den Auftakt der Saison 2019/2020 macht am 31. August die Hamburger Regisseurin Jette Steckel mit dem aktuellen Roman der Hamburger Autorin Nino Haratischwili. Deren georgische Herkunft hatte den Spielplan zuletzt mit der opulenten Romanadaption „Das achte Leben (Für Brilka)“ beglückt, diesmal hat sich Jette Steckel Haratischwilis letzten Roman vorgenommen. 750 Seiten hat „Die Katze und der General“, Thema ist der Tschetschenien-Krieg.

Das Buch stand ebenso auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises wie Maxim Billers „Sechs Koffer“, das die junge Regisseurin Elsa-Sophie Jach im Oktober auf die Bühne der Gaußstraße bringen wird. Jette Steckel, wie Jach Absolventin der Hamburger Theaterakademie, nimmt sich zudem zum Jahresbeginn ihren dritten Thalia-Shakespeare vor: „Hamlet“; wer in der Titelrolle besetzt ist, verrät das Theater noch nicht.

„Liliom“ feiert nach fast zwanzig Jahren wieder eine Premiere am Thalia

Einen weiteren Klassiker probt unterdessen der ungarische Regisseur Kornél Mundruczó auf der Hauptbühne – nach einer ersten Voraufführung am Freitag wird Ferenc Molnárs „Liliom“ Mitte August auf den Salzburger Festspielen Premiere feiern und am 21. September ins Hamburger Repertoire übernommen. Eine Wiederbegegnung mit dem Stoff dürfte gerade am Thalia Theater spannend werden: Zuletzt hatte Michael Thalheimer das Stück vor fast zwanzig Jahren hier inszeniert; der ehemalige Erste Bürgermeister Klaus von Dohnanyi hatte damals die Vorstellung empört verlassen und die Hamburger Theatergeschichte um einen entscheidenden Zwischenruf bereichert: „Das ist doch ein anständiges Stück, das muss man doch nicht so spielen!“

Der Herbst bietet eine ordentliche Portion Glamour

Anstand als ästhetische Kategorie? Der Herbst bietet immerhin eine ordentliche Portion Glamour: Nicht nur, dass Robert Wilson („Black Rider“) zurückkehrt ans Thalia Theater, er bringt zudem – nur für zwei Vorstellungen – Frankreichs Schauspielstar Isabelle Huppert mit, als Maria Stuart in „Mary Said What She Said“ vom Pariser Théâtre de la Ville. Eher ein Geheimtipp ist der Theaterabend der Französin Caroline Guiela Nguyen, „Saigon“, der im Oktober ebenfalls für zwei Abende in Hamburg gastiert.

Zugleich Repräsentant einer diversen Gegenwartsgesellschaft und alter Bekannter ist der Thalia-Hausregisseur Antú Romero Nunes, den es wie Jette Steckel gleich zweimal auf die große Bühne drängt. Für „Neverland“ nach Motiven aus J.M. Barries „Peter Pan“ (Premiere am 12. Oktober) soll das Thalia-Ensemble um internationale Schauspieler ergänzt werden. Und weil Nunes selbst nicht nur chilenische und portugiesische Wurzeln hat, sondern auch schwäbische, passt auch die „Ode an die Freiheit“, ein revolutionäres Trauerspiel nach Friedrich Schiller, bestens in sein Portfolio.

Premiere ist im März 2020. Zum ersten Mal erarbeitet vorher Yael Ronen, eigentlich Hausregisseurin am Berliner Gorki-Theater, eine Inszenierung am Thalia Theater. Die Uraufführung „(R)Evolution“ (Premiere im Februar) ist inspiriert durch den Bestseller „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari. Yael Ronen ist neben Jette Steckel die einzige Frau, der man die große Bühne zutraut.

Das Thalia-Ensemble wird weiblicher

Das Ensemble indes wird weiblicher: Christiane von Poelnitz, die unter Tom Stromberg bereits am Schauspielhaus spielte und zuletzt am Wiener Burgtheater engagiert war, stößt ebenso dazu wie Marie Rosa Tietjen, die auch inszenieren wird, und Rosa Thormeyer, Tochter von Ensemblemitglied Oda Thormeyer. Alicia Aumüller und Sebastian Rudolph wechseln nach Zürich.

Regisseur Sebastian Nübling begibt sich im November mit Neil Young auf eine Reise in die Lebenswelt von Navid Kermani, einem klugen Gegenwartsdenker, der dem Haus seit Jahren eng verbunden ist. „Die Nacht der von Neil Young Getöteten“, so der Titel, soll ganz nebenbei Eltern schlafunwilliger Schrei-Babys hilfreiche Hinweise liefern. Jan Bosse plant eine Bearbeitung des medienkritischen Films „Network“ (Premiere: April 2020), und Leander Haußmann, der noch in dieser Saison „Amphitryon“ mit dem neuen Iffland-Ring-Träger Jens Harzer auf die Bühne bringt, ist auch im kommenden Jahr mit einer Inszenierung dabei. Wieder im Mai, Stück noch unbekannt. Carte blanche.

Fünf Uraufführungen stehen im Spielplan der Thalia-Gaußstraße

Gleich fünf Uraufführungen stehen im Spielplan der Thalia-Zweitbühne an der Gaußstraße. Neben einer Romanadaption des polnischen Literaturstars der Gegenwart, „Der Boxer“ von Szczepan Twardoch (14. September), dürfte das Projekt „Hereroland“ zur Eröffnung der Lessingtage 2020 zu den vielversprechendsten und auch aufwendigsten Produktionen gehören: Zusätzlich gefördert durch einen Fond der Bundeskulturstiftung, decken der namibische Regisseur David Ndjavera, selbst Herero-Nachfahre, und der Dokumentartheater-Spezialist Gernot Grünewald gemeinsam postkoloniale Zusammenhänge auf. Recherchiert wird unter anderem in Namibia, auch namibische Schauspieler sind an der Inszenierung beteiligt. Und dennoch handelt es sich, gerade in Hamburg mit seiner wenig ruhmreichen kolonialen Vergangenheit, selbstverständlich um ein ausgesprochen lokales Thema.

Joachim Lux positioniert das Thalia Theater mit diesem Spielplan ganz bewusst: „Sie dürfen solche internationalen Aktivitäten getrost als politisches Zeichen für ein Europa der Kultur lesen.“