Hamburg. Die Hamburgerin spricht über ihr neues Album “Kleine große Liebe“, das Älterwerden, Muttersein und die Gefährlichkeit der Bühne.
„Wer bin ich wirklich?“, fragte die Hamburger Sängerin Annett Louisan im Jahr 2006, und vielleicht gibt erst ihr neues Doppelalbum „Kleine große Liebe“, das am 29. März erscheint, die Antwort. Lieder wie „Meine Kleine“ oder „Zweites erstes Mal“ schlagen den Bogen von Louisans eigener Kindheit bis zu ihrer eigenen Tochter, die 2017 geboren wurde. Aber „von der alten Annett ist noch etwas übrig“, sagt die heute 41-Jährige beim Interview im Hotel The George. Stimmt: Vor und nach dem Gespräch geht es erstmal auf die Terrasse zum Durchatmen. Eine gewisse Grundaufregung hat sie auch nach 15 Karrierejahren nicht abgelegt.
Hamburger Abendblatt: Frau Louisan, fünf Jahre nach "Zu viel Information" veröffentlichen Sie jetzt mit „Kleine große Liebe“ gleich ein Doppelalbum mit zwei völlig unterschiedlichen Seiten. Welche Seite ist für die Plattenfirma gedacht, und welche für Sie persönlich?
Annett Louisan: Ich habe mittlerweile zwei Mal das Label gewechselt und im Gegensatz zu früher habe ich jetzt alle Freiheiten. Ich achte nicht mehr darauf, ob Singles für das Radio dabei sind, ich war eh nie der analytische Typ.
Vermutlich ist eine Hälfte vor der Geburt ihrer Tochter 2017 entstanden und eine danach?
Das ist richtig. „Große Liebe“, das lautere Album entstand davor, und das leisere „Kleine Liebe“ danach. 2015 habe ich eine Tourpause gemacht, weil mein Leben doch sehr schnell sehr exzessiv geworden war. Also bin ich erneut nach Berlin gezogen, habe endlich meine Leidenschaft für lauten Pop ausgelebt, die Musik meiner Kindheit – um dann Mutter zu werden.
Zwei mit zeitlichem Abstand veröffentlichte kürzere Alben waren keine Option?
Nein, dafür liebe ich beide Seiten zu sehr. Entweder hätte ich die leisen Lieder lauter machen müssen oder die lauten Songs „verlouisanen“.
„Verlouisanen“ heißt: Schlumpfinchen?
Eher Heiserchen Mahoney! Sie haben keine Vorstellung, wie schwer es ist, mit so viel Hauch zu singen. Ich möchte die deutsche Sprache weich klingen lassen. Und ich schreie Leute ungern an, wenn ich etwas erzähle.
„Kleine Liebe“ erzählt Ihre bislang persönlichsten Geschichten. Man erfährt sehr viel über ihre Familie, ihre Gefühle. War es schwierig für Sie, sich so zu öffnen?
Nein, ich kann heute die Wahrheit besser tragen. Ich bin 40 und Mutter geworden, auch eine Zeit, in der man zurückschaut. Das ist auch ein wenig therapeutisch. Früher schlüpfte ich gern in andere Rollen, um mich auszuprobieren. Aber mit 40 wird man doch zum Kauz. Ich merke zum Beispiel, dass Lieder, die andere Leute für mich schreiben, immer weniger zu mir passen.
Diese Lolita-Nummer haben Sie ja schon spätestens mit dem dritten Album abgelegt.
Aber für viele Menschen liege ich nach wie vor in dieser Schublade.
Nicht wenige Ihrer früheren Lieder wie „Das alles wär nie passiert (ohne Prosecco)“ zelebrierten die Unvernunft. jetzt wollen Sie „Ein besserer Mensch“ sein?
Ich war damals ganz sicher nicht glücklicher und habe auch viel verdrängt. Ich war ständig unterwegs, alles war schnell, ohne Halt, ohne Wurzeln. Alkohol entspannt und betäubt. Jetzt habe ich das Gefühl, dass ich näher an mir dran bin. Aber ich lasse es mir auch nicht nehmen, dann und wann auszubrechen. Von der alten Annett ist noch etwas übrig. Ich wollte kein Mutti-Album machen …
… als Beilage für Familienzeitschriften...
Nein. Was ich auf der Bühne gelernt habe: Je näher ich mir bin, desto näher bin ich auch meinem Publikum. Die wollen schon, dass ich etwas preisgebe. Ohne etwas Echtes kann man die Menschen auch nicht berühren.
Ein sehr schöner Song ist „Die schönsten Wege sind aus Holz“. Wann waren Sie selbst auf dem Holzweg?
Das ganze Leben ist ein Holzweg. Das ist ja auch gut so, wenn man versteht, dass man kein Knecht seiner eigenen Erwartungen sein sollte. Sondern dass man auch Umwege und Fehler zulässt. Daraus lernt man am meisten. Einfachste Grundregel. Ich gehe auch heute gelassener mit Krisen um. Ich bin Melancholikerin! Ich kann richtig weit nach unten fahren! Aber ich weiß auch: Irgendwann ist Schluss. Ich springe nicht runter. Und mit dem Alter schwindet die Angst vor Fehlern und Misserfolgen.
Haben Sie deshalb auf „Große Liebe“ einen komplett anderen Sound gewählt? 60er-Chanson-Beat im Stil von Serge Gainsbourg trifft 80er-Pop Marke Kim Wilde, Rock, NDW, große Produktion, so hört man Sie selten.
Ja, das war ein großer Wunsch von mir. Zack! Gemacht. Die Erfahrungen und Entschleunigung der letzten Jahre haben mich irgendwie freier gemacht. Es geht mir wieder mehr um das Musizieren und weniger um Erfolg. Das kann schnell verloren gehen, wenn man in der Öffentlichkeit steht und Menschen Geld mit einem verdienen. Dafür braucht man Mut und ein unabhängiges gutes Team um sich herum.
Lieder wie „Belmondo“, „Straße der Millionäre“ oder „Two Shades Of Torsten“ spielen geschickt mit dem Gegensatz von Wunschtraum und nüchterner Realität. Wie zufrieden sind Sie denn im Hier und Jetzt? Rauchen sie auch „die Zigarette danach schon davor“?
Ich habe mich mittlerweile damit abgefunden, dass ich nicht immer auf dem absoluten Hoch sein kann. Früher brauchte ich immer Riesenfeuerwerk. Tamtam! Sieben Tage die Woche, in jeder Beziehung. Sobald es auch nur eine Spur bergab ging, fiel ich in ein Loch. Die Bühne ist auch gefährlich und verklärt die Wirklichkeit. Das Glück im Kleinen zu finden, was total wichtig ist, musste ich lernen. Leben und Liebe sind ein Tanz, ein Auf und Ab. Das muss auch so sein, damit man ein Hoch auch als ein Hoch empfindet.
Heißt: „Manches war vielleicht falsch, doch nie verkehrt“?
Genau so ist es.
Ihre sechs Studioalben sind bislang immer nur sehr knapp an der Spitze der Charts vorbei geschrammt. Träumen Sie von der Nummer eins?
Oh ja. Ja, ja, ja. Wobei das heute verwirrend ist. Viele Nummer-eins-Alben stürzen nach einer Woche sofort ab. Ich glaube, ich muss wieder auf den Marathon setzen und nicht auf den Sprint. Ich hätte schon Bock auf ‘nen Hit, aber man kann es eben nicht erzwingen.
Udo Lindenberg brauchte fast 40 Jahre für sein erstes Spitzenalbum.
Stimmt. Vielleicht brauche ich auch erst eine Phase, in der ich richtig out bin.
Im September singen Sie im ausverkauften Großen Saal der Elbphilharmonie. Waren Sie schon mal da?
Nein. Man hört ja so Einiges: Die Akustik. Runder Saal. Aber ich bin ja ein Bühnenrand-Tiger, da mache ich mir keine Sorgen. Nur den ersten Song setze ich wahrscheinlich wieder in den Sand.
Lampenfieber?
Ganz schlimm. Darum werde ich wohl nie in der Halbzeitpause beim Super Bowl auftreten.
Album (Ariola/Sony) ab 29.3. im Handel; So 8.9.2019, Elbphilharmonie (ausverkauft), Mo 23.3.2020, Laeiszhalle, Karten ab 39,90 in der Hamburger Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18-32; T. 30 30 98 98