Hamburg. Krimi-Autor Michael Koglin war häufig Gast in der Kultkneipe am Hamburger Berg und sagt: So war's im Goldenen Handschuh wirklich.

Natürlich darf ein Roman wie Heinz Strunks „Goldener Handschuh“ aufs Ganze gehen, darf zuspitzen, polarisieren und auch mit der Geschichte sein eigenes Spielchen treiben. Das gilt ebenso für Filme. Das ist künstlerische Freiheit und das ist gut und wichtig so. Doch wenn dem plötzlich ein dokumentarischer Wert unterstellt wird, ja, dann wird es schwierig. War der Goldene Handschuh wirklich das asoziale Absturzpanoptikum? Die Schmuddelecke auf der Schmuddelmeile? Das Lokal gewordene Ekel-Inferno?

Als ich ab 1977 (also zwei Jahre, nachdem Honkas Morde entdeckt worden waren) unregelmäßig zu Gast im Goldenen Handschuh war, habe ich dort anderes erlebt. Und genossen. Der Goldene Handschuh war viel eher ein Ball der Einsamen Herzen mit lustigen Begegnungen. Nur ganz ohne Tischtelefon, Kellner in roten Uniformen und Einlasskontrolle. Nichts mit Kaschemmen-Kult und wohligem Schauder-Stress. Zwar kursierten „Honka-Fanclub“-Sticker, doch im Goldenen Handschuh nahm man das eher mit einem Achselzucken zur Kenntnis. Man war tolerant, und schon gar nicht ließ man sich den netten Abend vermiesen.

Fair ging’s im Goldenen Handschuh zu

Besonders am Sonnabend hatten sich viele ausgehfein gemacht. Was heute nur noch wenige wissen, damals waren auf der Meile Kneipen ohne Nepp rar gesät. In vielen Lokalen, Stripp- und Liveshow-Läden setzten sich Animierdamen auf den Nebenhocker, und schwupps kostete das Herrengedeck 50 Mark. Weil das auf der Reeperbahn einen schmerzhaften Besucherschwund auslöste, entschieden sich viele Wirte später sogar zu einer Aktion, bei der die „sauberen“ Läden mit Aufklebern am Eingang versehen wurden. „Hier fair“ oder so ähnlich stand darauf.

Fair ging’s auch im Goldenen Handschuh zu. Ein entspannter Abend bei einem bezahlbaren Kaltgetränk, Schlagermusik, ein bisschen Tanzen und nette Gespräche. Vor allem Bewohner der damals preiswerten Wohnungen, dazu Ex-Legionäre, ehemalige und schwer schuftende Prostituierte, Touristen, Hafenarbeiter, Matrosen, unterbezahlte Musiker, Maler und Schriftsteller trafen sich hier. Dazwischen Liebespärchen, die einander genug und für alle anderen unnahbar waren. Manchmal kam Klein-Karstadt, wie er genannt wurde, mit seinem Bauchladen vorbei und verkaufte Streichhölzer und einzelne Zigaretten. Und selbstverständlich kippte auch mal jemand vom Tresenhocker. Dem wurde aufgeholfen, und weiter

Im Goldenen Handschuh saß ich nicht neben Freaks, sondern neben Typen

So etwas passierte schließlich auch im Onkel Pö. Übrigens: Die Lkw-Ladungen mit Persiko, die damals in den Musikclub nach Eppendorf geschafft wurden, waren legendär. Es wurde halt mehr Schnaps getrunken in den Siebzigern. Auch im Goldenen Handschuh, im Blauen Peter oder im Silbersack. Apropos Silbersack, da fällt man nicht so leicht hintenüber, weil auf dem Tresen eine Stange installiert ist, an der man sich bei zu schneller Promillefahrt festhalten kann. Findig war man, was das betrifft, schon immer auf St. Pauli. So konnte man in den Zwanzigerjahren, als das Damen-Schlammcatchen en vogue war, bei Müdigkeit in der Finkenbude einkehren. Dort wurden durch den Schankraum Seile gespannt. Wer müde war, legte den Oberkörper darüber und schlief im Stehen. Abhängen halt. Der Begriff könnte tatsächlich dort seine Wurzeln haben.

Einschlafen im Goldenen Handschuh

Einschlafen im Goldenen Handschuh dagegen, das mochte der Wirt Mitte der Siebzigerjahre nicht so gern. Ist klar, das geht ebenso auf die Stimmung wie ein Wirt, der Kaffee trinkt. Und wer jetzt denkt, das hört sich ja alles nach einem Kiezianer-Wohnzimmer an, ja, auch das war der Goldene Handschuh. Einer der Treffpunkte der bunten St. Paulianer-Familie. Und die war ein wenig schräg, oft liebenswert, quer, zärtlich und schicksalsweise. Zu romantisch? Vielleicht. Aber keinesfalls war der Goldene Handschuh eine Ekel-Horrorshow. Hier saß ich nicht neben Freaks, sondern neben Typen.