Hamburg. Auf Kampnagel findet derzeit das Festival „Gender Mainstreaming“ statt. Theater- und Comedyprogramme sind im Angebot.

Noch bis zum 10. März veranstaltet Kampnagel das Theaterfestival „Gender Mainstreaming“, bei dem sich alles um die Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern dreht. Die auftretenden Künstler wollen ein Bewusstsein dafür wecken, wie wir durch unser Geschlecht definiert, beurteilt und auch ausgegrenzt werden. Die New Yorkerin Adrienne Truscott etwa thematisiert in ihrer Comedy Show „Asking For It!“ die gesellschaftliche Verharmlosung sexualisierter Gewalt. Die Dramaturgin Uta Lambertz verantwortet das Programm des Festivals.

Hamburger Abendblatt: Warum ist es gerade jetzt so wichtig, das Thema Geschlechter-Gerechtigkeit auf die Bühne zu bringen? Worum geht es Ihnen?

Uta Lambertz: Der Begriff Gender-Mainstreaming ist schon seit der UN-Weltfrauenkonferenz 1995 ein feststehender Terminus für eine Politik der Geschlechtergleichstellung, wobei ursprünglich (nur) die Gleichstellung von Mann und Frau gemeint war. Oft hört man, dass sei doch heute kein Thema mehr. Aber das stimmt nicht. Auch mit Blick auf den gerade stattfindenden Rechtsruck, der in den USA, in vielen südamerikanischen und europäischen Ländern, aber auch in Deutschland stattfindet, müssen wir aufpassen, dass nicht alles, was erreicht wurde, wieder rückgängig gemacht wird.

Diskriminierungen gegen nicht genderkonforme Menschen kommen heute sogar aus der vermeintlichen Mitte, wie die heftige Debatte zeigt, die CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer mit ihrer Äußerung über Toiletten und Intersexuelle in einer Karnevals-Rede ausgelöst hat. Und wenn rechte Bewegungen und Parteien von „Genderwahnsinn“ sprechen, sagen sie eigentlich nichts anderes, als dass sie Gleichberechtigung – ein Menschenrecht und das wesentliche Fundament aller Demokratien - lächerlich finden und nicht jedes Menschenleben für gleich wichtig erachten. Das führt dazu, dass trans*- und inter-Personen sowie nicht Heterosexuelle wieder verstärkt auf offener Straße angegriffen werden oder sogar um ihr Leben fürchten müssen. Wir haben Künstler*innen eingeladen, die u.a. das zum Thema ihrer Stücke machen. Zum Beispiel Adrienne Truscott aus New York mit ihrer Comedy Show Asking for It!, in der es um die gesellschaftliche Verharmlosung sexualisierter Gewalt geht.

Künstlerinnen und Künstler erklären Begriffe wie Queer und Abkürzungen wie LGBTQI - sind wir gendermäßig unterbelichtet?

Die Abkürzung ist nur ein Beispiel für viele Begriffe im Zusammenhang mit dem Sprechen über Geschlecht, Gender und sexuelle Orientierung, die nicht jeder Person geläufig sind. Ich habe den Eindruck, dass es auf der einen Seite große Fortschritte gibt, was das Arbeiten an einer Sprache betrifft, die niemanden ausschließt oder diskriminiert. Die Genderstudies an den Universitäten, Aktivist*innen und natürlich Betroffene selbst halten das Thema der Sprache laufend in Bewegung. Es werden neue Begriffe geprägt, Grammatiken weiterentwickelt, negative Zuschreibung werden sich positiv angeeigente. Das Wort „queer“ beispielsweise war mal ein Schimpfwort für sogenannte „Abweichler“ von der Norm und wird heute als positive Selbstbeschreibung von LGBTQI*s weltweit verwendet. Wir wollen Raum für Dialog schaffen, in dem Fragen und das Lernen voneinander nicht nur erlaubt, sondern erwünscht sind, und in dem kein Vorwissen erforderlich ist. Deshalb ganz kurz: LGBTQI* - das meint: lesbisch, gay, bisexuell, trans-, queer, inter-. Der Stern* markiert, dass diese Reihe nicht vollständig ist und auch weitere Selbst-Definitionen einschließt, die hier nicht ausdrücklich benannt sind.

Das Wort Gender schreckt viele Leute ab, ähnlich wie der Begriff Frauenquote. Wie wollen Sie das Thema angehen?

Indem wir einmal mehr zeigen, dass uns das Thema der Geschlechtergerechtigkeit alle angeht und nichts hinter den Begriffen liegt, wovor wir uns erschrecken müssen: Wir alle haben Geschlechtsmerkmale, einen Körper, mit dem wir uns mehr oder weniger wohl fühlen. Wir alle lieben auf die eine oder andere Weise. Und wir alle wünschen uns, dass wir so wie wir sind, akzeptiert werden und dieselben Chancen auf ein glückliches Leben bekommen, wie alle anderen. Mit unserem geballten Programm aus Theater, Performance, Comedy, Begegnungen im Stadtraum wollen wir über die realen Ängste derjenigen sprechen, die vermeintlich nicht ins Raster passen – zum Beispiel mit Julia*n Medings und Anta Reckes Theaterabend ANGSTPIECE. Wir wollen zeigen, dass unser Sein sich nicht auf Kategorien wie Geschlecht oder Gender begrenzen lässt: das zeigt auf wunderbare Weise die Performance MDLSX (mündlich: Middlesex) der italienischen Gruppe Motus. Vor den Vorstellungen wird es kleine Einführungen geben, die sogenannten Queereinstiege.

Könnte man statt Gender Mainstream und Queereinstieg nicht einfach sagen: Wir machen in der Woche ein besonders spannendes Programm für die vielen tollen Frauen in Hamburg (und Männer sind übrigens auch herzlich dazu eingeladen)?

Wir machen in der Woche ein besonders spannendes Programm für alle Menschen in dieser Stadt. Es gibt nur eine kleine Bevorzugung der sonst Benachteiligten: Am Internationalen Frauentag, dem 8. März um 19.30, erhalten alle Frauen und Gender-Queers freien Eintritt zum Stück MDLSX der Gruppe Motus. Übrigens haben wir per Kampnagel-Newsletter auch Frau Kramp-Karrenbauer eingeladen, dieses Angebot zu nutzen, weil sie in Gender-Fragen offensichtlich Nachholebedarf hat.

Was verbirgt sich hinter den Stadtspaziergängen mit Fremden und der feministisch-antirassistischen Tattoo-Convention?

Die Performance WALKING:HOLDING der Glasgower Künstlerin Rosana Cade fragt, was für eine Beziehung entstehen kann, wenn sich zwei Fremde in der Öffentlichkeit nahe kommen? Die Idee ist einfach: Als „Zuschauer*in“ macht man hintereinander mehrere kurze Spaziergänge mit Menschen, die man nie zuvor gesehen hat – und hält sich dabei an der Hand. Dabei kommt man nicht nurmiteinander ins Gespräch, sondern wird merken, dass sich der Blick auf die Stadt verändert – zum Beispiel abhängig davon, ob man ein Stück Weg mit einer älteren oder jüngeren Person, einem Mann, einer Frau, einer trans- oder inter-Person zurücklegt. Von anderen Passanten angeschaut zu werden, das ist eine Erfahrung, die Heterosexuelle oft noch nie gemacht haben. Mit INK ABOUT IT! veranstalten wir Hamburgs erste feministisch-antirassistische Tattooconvention, die wir mit der Hamburger Tattoo-Künstlerin Hanadi entwickelt haben. Hanadi beschreibt die Tattoo-Szene und damit ihr Arbeitsumfeld allgemein als Männerdomäne, in der weibliche und feminine Tattoo-Artists oft nicht ernst genommen werden. Um dem etwas entgegenzusetzen, haben wir zusammen eine Mini-Tattoo-Messe organisiert, bei der ausschließlich Tätowiererinnen ihre Kunst unter die Haut bringen. Somit kann man sich bei unserem kleinen Festival bleibende Andenken mitnehmen – übrigens auch spontan und ohne Vor-Anmeldung!

„Gender Mainstreaming“ bis 10.3., Kamp­nagel; Infos: www.kampnagel.de