Bremen. Die Bremer Shakespeare Company bringt ein Theaterstück über die deutsche Politikerin auf die Bühne. Ein Probenbesuch.
Im Foyer hängt sie, unübersehbar. Zwei an den Fingerspitzen verbundene Hände, die Daumen zeigen nach oben, die Finger laufen spitz nach unten zusammen. Eine Raute. Die Raute. Die Kanzlerin braucht kein Gesicht, damit sie auf den ersten Blick erkannt wird. Die Raute reicht als ikonisches Symbol auf dem Theaterplakat der Bremer Shakespeare Company. Am Donnerstag feiert die nächste Produktion des Ensembles Premiere im Theater am Leibnitzplatz, es ist eine Uraufführung: „Angela I.“, ein Stück über Angela Merkel.
„Wir erzählen hier aber nicht ihr Leben nach“, stellt Katja Hensel klar. „Das ist kein Bio-Pic!“ Sie sitzt im Theatercafé Falstaff und trinkt heißes Wasser. Tee ohne Teebeutel. Die Proben haben die finale Phase erreicht, Hensel ist jetzt fast immer im Theater. Es ist ihr Text, der hier Gestalt annimmt. Gleich findet eine von mehreren öffentlichen Proben statt, nach den Proben überarbeitet Hensel die Dialoge. Das Textbuch mag die Autorin noch nicht aus der Hand geben, die Fassung verändert sich, wenn auch nur in Details, nahezu täglich.
Die Autorin wusste erst gar, wie sie ein Stück über Angela Merkel angehen sollte
Katja Hensel, aufgewachsen im Hamburger Westen, hat schon früher Politik dramatisiert, das Thema liegt ihr: „Wie Europa gelingt. Eine EU-Familienaufstellung“ heißt eines ihrer Stücke, „EU only live twice“ ein anderes. Nach dem Erfolg der Hausproduktion „King Charles III.“ über das britische Königshaus hatte die Shakespeare Company sie nun mit einem Stück zur deutschen Politik beauftragt. „Und erst wusste ich gar nicht, wie das gehen sollte, ein Stück über Angela Merkel. Die anderthalb Gesichtsausdrücke, dieses Phlegma, wie bringt man das auf die Bühne?!“ Katja Hensel lacht. Sie wollte keine Abrechnung schreiben, auch keine Merkel-Comedy, und Kabarett sei sowieso nicht ihr Fahrwasser. „Ich habe im letzten Sommer mit der Arbeit begonnen, dann nahmen die Entwicklungen Fahrt auf, man wusste irgendwann gar nicht mehr, ob Frau Merkel überhaupt noch Kanzlerin sein würde, wenn das Stück herauskommt. Ich wollte nicht länger den Ereignissen hinterher schreiben.“ Also entschloss sich die Autorin, die vor rund 20 Jahren selbst als Schauspielerin an der Bremer Bühne gearbeitet hatte, ihr Stück in die nähere Zukunft zu verlegen.
Die Bundeskanzlerin hat darin abgedankt – und ist verschwunden. Die Demokratie steht auf der Kippe, das Volk probt den Aufstand. „Die Ära Merkel war mir wichtiger als die Person“, sagt Hensel. Die Spaltung im Land, die Stimmung, das will sie aufgreifen. „Was Politik mit einem als Menschen macht, das finde ich interessant für das Theater.“
Zur Vorbereitung wurden Politiker der Bremer Bürgerschaft zum Gespräch eingeladen
Die größte Parallele zwischen Politik und Theater sieht Hensel im Idealismus, „Idealismus, der langsam einem Pragmatismus weicht“. Zur Vorbereitung hat die Autorin Merkel-Biografien und Porträts gesichtet und „zahllose Gespräche geführt“, mit befreundeten Bundestagsabgeordneten aus Berlin ebenso wie mit ins Theater eingeladenen Politikern der Bremer Bürgerschaft. Ihre Arbeit bestehe aus zwei Dritteln Recherche und nur einem Drittel Schreiben, sagt Katja Hensel und fasst sich mit beiden Händen fest in die hochgesteckten Haare. „Ich lese, bis mir mir der Kopf platzt. Dann gehe ich an den Computer.“ Dass eine Autorin auch in der Probenzeit so stark in die Inszenierung involviert ist, obwohl sie selbst nicht Regie führt, ist dennoch ungewöhnlich. „Der Aufwand für mich ist ungleich höher als sonst. Der Spaß daran aber auch.“
Im Falstaff ist Hensels heißes Wasser mittlerweile abgekühlt. Das Foyer füllt sich. Die öffentliche Probe im Theater am Leibnitzplatz ist gut besucht, es ist nicht die erste ihrer Art; der Eintritt ist frei und viele Bremer kommen regelmäßig. Vor dem Saal hängen drei bronzene Monica-Bleibtreu-Preise, die das renommierte Ensemble bei den Hamburger Privattheatertagen gewann, 2012, 2013, zuletzt 2017. Davor steht ein Ü-50-Pärchen, Typ interessierte Studienräte, und verhandelt beim Einstimmungsrotwein, ob man wohl besondere Lust auf den Abend verspüre, wenn man Merkel-Wähler sei. Ob sie selbst dazu gehören, bleibt offen.
Charakteristische Merkel-Zitate fallen schon in den ersten Probe-Minuten
Katja Hensels Sympathie zu Frau Merkel sei während der Arbeit an „Angela I.“ eher gewachsen, sagt sie. „Ich finde ihre Unberechenbarkeit faszinierend.“ Drei Ebenen gibt es im Stück, die zentralen Rollen sind Merkel selbst, vier Politiker, die sich mit Verdrossenheit und Populismus herumschlagen, und ein paar Kinder aus der Bundestags-Kita.
Die Rolle der Merkel spielt die Berliner Schauspielerin Silke Buchholz, sie ist deutlich jünger als das Original, blonder, agiler. Eine äußere Ähnlichkeit wird durch Kostüm (ein unförmiger Mantel) und Frisur (kinnlang) nur angedeutet. „Heute sehen Sie geradezu renaturiert aus“, schmeichelt Markus Seuss als ehemaliger Merkel-Chauffeur in der geprobten Szene. Die Zuschauer kichern. Charakteristische Merkel-Zitate fallen schon in den ersten Probe-Minuten: „Sie kennen mich“, sagt Merkel lakonisch, als ihr Fahrer die vermeintlich Verschollene zunächst ungläubig anstarrt. Auch die Vokabel „alternativlos“ fällt.
Bis der Regisseur an einer Stelle mit korrigierender Armbewegung unterbricht: „Da stehst du im Dunkeln“, ruft er auf die Bühne, „aber das kriegen wir hin. Wir schaffen das!“ Ein ziemlicher Lacher, natürlich.
Wer sich auskennt, wird Parallelen zu „King Lear“ erkennen
Das Stück funktioniere für verschiedene Zuschauer auf verschiedenen Ebenen, glaubt Katja Hensel. Die Nähe zu Shakespearschen Themen sei an diesem Ort selbstverständlich: Wer sich auskennt, wird Parallelen zu „King Lear“ oder zum „Kaufmann von Venedig“ erkennen. „Die verhandelten Gefühle sind ohnehin zeitlos.“ Ein Zitat, weiße Schrift auf schwarzem Grund, das im Foyer gegenüber dem „Angela I.“-Plakat an der Wand prangt, wirkt da programmatisch: „Die Schauspieler spiegeln im Kleinen das Große der Zeit.“ Hamlet.
Die Raute selbst bekommt im Stück natürlich auch ihren Auftritt, einen ganz leisen, fast schon poetischen übrigens. Man habe während früherer Proben durchaus darüber diskutiert, sagt Katja Hensel. Am Ende war es dann doch, nunja, alternativlos eben.