Hamburg/Berlin. Fatih Akins Film über den Frauenmörder Fritz Honka spaltet das Berlinale-Publikum. Das permanente Wühlen in Suff und Siff ermüdet.
Keiner kann sagen, er habe nicht gewusst, was da auf ihn zukommt. Denn es gab ja schon Heinz Strunks Roman über den Hamburger Frauenmörder Fritz Honka, und schon dieser hat sich sehr detailliert darüber ausgelassen, wie der Serienkiller seine Opfer in der Kiezkneipe Zum Goldenen Handschuh ansprach, dann bei sich zu Hause über sie herfiel und sie danach zerstückelte.
So etwas zu sehen ist aber doch noch mal was anderes. Gleich anfangs beugt sich Honka über eine Leiche und setzt schon mit der Säge am Kopf an. Ein ganzes Berlinale-Kino hält da den Atem an. Aber Honka hält noch mal inne und stellt erst mal Schlagermusik an.
Wenn er dann zu dem toten Körper zurückkehrt, ist das so gefilmt, dass der Kopf nicht mehr zu sehen ist. Aber wir sehen Blut spritzen. Und hören diese Sägegeräusche, die auch Schlagersänger Adamo nicht übertönen kann.
„Der Goldene Handschuh“ ist eine Milieustudie der 70er-Jahre
Ein Splatterfilm im Wettbewerb? Auch wenn vorab propagiert wurde, Fatih Akin lege hier seinen ersten Horrorfilm ab, können wir Entwarnung geben. „Der Goldene Handschuh“ ist keine dieser Blutfontänenorgien aus dem Spätprogramm, sondern doch eher eine Milieustudie der 70er-Jahre. Eine ziemlich drastische allerdings und ganz schön eklige, die den guten Geschmack immer wieder aufs Neue herausfordert.
Das fängt schon bei Fritz Honka an, eine Art „Glöckner von St. Pauli“: ein hässlicher Mensch mit krummer Gestalt, schleppendem Gang, triebhaftem Wesen. Es geht so weiter mit seiner völlig abgeranzten Wohnung, die von Szenenbildner Tamo Kunz mit viel Liebe zum Detail auf abgeschmackt getrimmt wurde. Gut, dass das kein olfaktorisches Kino ist. Man hätte dem Publikum gewiss auch den Modergeruch aus dem Schrank nicht vorenthalten, wo die Leichenteile vor sich hin faulen.
Der Ekeldunst setzt sich auch im Goldenen Handschuh fort, der 24-Stunden-Kaschemme, wo ältere Herren beim Zuprosten noch ältere Altherrenwitze absondern und jämmerliche Trinkerinnen am Tisch für ein Schnäpschen alles, wirklich alles mit sich machen lassen. Wohl bekomm’s.
Die gräulichste Strangulationsszene seit Hitchcock
Der Film ist vielleicht die beste Abschreckung vor der Droge Alkohol. Denn erst wenn Honka die Frauen abgefüllt und sich selbst Mut angetrunken hat, greift er zu Schere, Messer oder was gerade zur Hand ist. Man erlebt auch die gräulichste Strangulationsszene seit Hitchcocks „Frenzy“. Und Adamos Lied „Es geht eine Träne auf Reisen“ wird man nie wieder unschuldig hören können.
Fatih Akin hat auf der Berlinale 2004 mit dem Goldenen Bären für „Gegen die Wand“ seinen ersten großen Triumph eingefahren. Danach freilich zeigte er seine Filme lieber in Cannes und Venedig. Zu Dieter Kosslicks letzter Berlinale aber zeigt er nun erstmals wieder einen Film hier, aus Dankbarkeit, wie es heißt. Nach Betrachtung des Films muss man indes konstatieren, dass das doch ein sehr abgründiges Dankeschön ist.
Dassler als Honka – beängstigend beeindruckend
Unbedingt sehenswert ist dabei Jonas Dassler als Honka. Vor einem Jahr erst gab er sein Berlinale-Debüt in „Das schweigende Klassenzimmer“. Nun hatte er erst am Freitag im Maxim-Gorki-Theater Premiere mit Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“ und einen Tag später mit dieser buchstäblichen Monsterrolle. Wobei Dassler hinter seiner Maske gar nicht zu erkennen ist. Es kann leicht zur Schmiere geraten, wenn ein 23-Jähriger einen doppelt so alten Mann spielt. Dassler ist aber beängstigend beeindruckend.
Doch so abgebrüht das auch klingen mag: Das permanente Wühlen des Films in Suff und Siff ermüdet auf Dauer. Anfangs mag man sich noch daran erheitern, wenn die Herren der Schöpfung ziemlich sattelfest auf den Barhockern Korn um Korn kippen – während die Damen der Schöpfung an den Tischen doch ein eher jämmerliches Bild abgeben.
Passt dieses im Grunde recht bösartige Frauenbild eigentlich auf diese Frauen-Berlinale? Aber das Schlimmste ist, dass im Laufe des Films noch eine Frau und noch eine Frau erst in Honkas Mansarde und später in kleineren Stückchen in seiner Wandablage landen.
Kein Ausloten der früheren BRD
Ständig wartet man auf eine Entwicklung, eine Wende, eine zweite Ebene. Fehlanzeige. In Strunks Roman immerhin gibt es eine Nebenhandlung mit einem jungen reichen Bürschchen, das sich auch in den Handschuh verirrt und dessen Vater sich einst an Juden bereicherte, die auf der Flucht vor den Nazis waren.
Im Roman geht es auch darum, wie Nachkriegsdeutschland seine kollektive Schuld kollektiv im Suff betäuben und vergessen wollte. Das Bürschlein gibt es zwar auch im Film (gespielt von Tristan Göbel aus Akins „Tschick“-Verfilmung), doch der Part wirkt im Vergleich eher unmotiviert und bleibt folgenlos.
Auch die Aussage eines der Opfer, sie sei einst von den Nazis ins Konzentrationslager geworfen worden, und Honkas Replik, sein Vater sei ebenfalls dort gelandet, wird hier nicht weiter vertieft. Nein, das Ausloten der frühen BRD findet in „Der Goldene Handschuh“ nicht statt. Der Film bleibt da bis zum Schluss eindimensional. Und verfällt der Faszination des Grauens, die er auch nur, nun ja, ausschlachtet. Szenenapplaus gab es bei der Premiere dennoch.