Hamburg . Jonas-Kaufmann-Eklat hat ein enormes Medienecho: Intendanten und Sänger attestieren sich öffentlich auch Schnapsideen.

Fast drei Wochen sind vergangen, doch der 12. Januar 2019 dürfte ein Datum bleiben, an das sich der Tenor Jonas Kaufmann und das Sinfonieorchester Basel deutlich länger erinnern. Der Eklat nach einer verunglückten Aufführung von Mahlers „Lied von der Erde“ im Großen Saal der Elbphilharmonie hat seit den ersten Berichten weite Kreise gezogen. Zuhörer im Bereich hinter dem Orchester hatten wütend dazwischengerufen, sie würden dort nichts hören können; Kaufmann hatte genervt zurückgerufen, sie sollten doch die Architekten fragen.

Einer der beiden – Pierre de Meuron – war im Saal zugegen, und mit ihm viele Honoratioren aus Basel, die ihr Orchester und das Architektur-Glanzstück aus ihrer Stadt an der Elbe erleben wollten. Kultursenator Carsten Brosda vertrat die Stadt Hamburg. So hatten sie alle sich diesen Abend aber nun wirklich nicht gedacht.

Am Tag nach dem Konzert gab Kaufmann dem Abendblatt auf dem Weg zum nächsten Tournee-Konzert in Luzern ein Interview, in dem er sich massiv über die Saal-Akustik beschwerte und andeutete, seinen nächsten hiesigen Liederabend lieber in der Laeiszhalle zu geben. Das bescherte der Elbphilharmonie ein Imageproblem, genau einen Tag nach dem zweiten Geburtstag des Konzerthauses.

Elbphilharmonie: Besonders groß war die Aufregung in Basel

So weit, so international bekannt inzwischen. Kaum standen die ersten Abendblatt-Artikel online, sorgte das Internet dafür, dass das Thema eskalierte. Besonders groß war und blieb die erste Aufregung in Basel. Der regionale TV-Sender „Telebasel“ zeigte online diverse Interviews, man befragte auch einen Ex-Baseler mit Hamburg-Bezug, Staatsopern-Intendant Georges Delnon, Schweizer und zuvor Chef des dortigen Theaters. Die drastischste Basler Schlagzeile: „155 Euro bezahlt, aber den Sänger nicht gehört“.

In der „Basler Zeitung“ konterte Elbphilharmonie-Intendant Christoph Lieben-Seutter am 22. Januar auf einen Vorschlag Kaufmanns, unter der Überschrift: „Drehbühne ist eine Schnapsidee“, die „sicher auch nicht ernst gemeint war“. Am gleichen Tag gab Lieben-Seutters Pressesprecher im Deutschlandfunk zu Protokoll: „Liederabende mit Klavierbegleitung sind auch nicht unkritisch.“

Eine Glosse in der „Welt“

Wer wie die Elbphilharmonie-Chefs den Renommee-Schaden hatte, brauchte nicht lang auf den Spott zu warten: Die „Welt“-Satiriker gönnten sich am 18. Januar eine Glosse, dass Gesangskonzerte nun auf die Berliner Flughafen-Baustelle verlegt würden, weil dort die Akustik besser sei – und deutlich besser als die „unterirdische“ bei „Stuttgart 21“.

Die „Badische Zeitung“ urteilte am 21. Januar über Kaufmanns Mahler-Auftritt im Festspielhaus Baden-Baden (ein Schuhschachtel-Saal): „In Baden-Baden kann man ihn hören, und doch ist nicht alles ideal“. Drei Tage später stichelte die „Basler Zeitung“: „Elphi hat immer recht“, wer dort gehört werden will, „muss sich unsichtbar oder klein machen“.“

Für den Kulturteil der „Welt“ holte Kritiker Manuel Brug – unvergessen durch seine Breitseite, nachdem man ihn beim Eröffnungskonzert im Januar 2017 hinter den Hörnern platziert hatte – am 15. Januar groß aus. „In der Elbphilharmonie hört man nichts“, schrieb er, „endlich sagt es mal einer laut“, dass dieses Haus „für spätromantische Orchestermusik nebst Vokalstimmen ein Unort“ sei.

Auch eine Portion Hörensagen lieferte er: Riccardo Muti, der nach der Eröffnung mit dem Chicago Symphony Orchestra im Großen Saal aus dem Stand und ohne Probe begeistern konnte, habe gesagt: „Ein höchstens mittelguter Saal.“ Und die Elbphilharmonie-Homepage bräuchte den Vermerk „Vor Gesang wird gewarnt“.

„Das Leid-Motiv der Elbphilharmonie“

Dem Feuilleton der Hamburger „Zeit“ war das Hamburger Konzert offenbar zu klein; mehr als eine kurze Randglosse von Christine Lemke-Matwey mit der Unterzeile „Wie der Tenor Jonas Kaufmann die Elbphilharmonie rockt“ (was er nicht tat und was auch nie der Plan war) war dort nicht drin. Der in Hamburg lebende Stimm-Spezialist Jürgen Kesting seufzte am 23. Januar in einer Kolumne des Klassik-Portals „takt1“ über „Das Leid-Motiv der Elbphilharmonie“.

Er erinnerte an einen Abend wenige Tage vor Kaufmanns Auftritt mit der Sopranistin Nina Stemme, dem NDR-Orchester und dem Finale von Wagners „Götterdämmerung“ – für ihn „zwei verstörende Konzerte“. Sein Fazit: „In Hamburg empörte man sich über die empörten Zuschauer, obwohl sehr wohl bekannt ist, dass die Elbphilharmonie nicht nur von Musikfreunden besucht, sondern von Touristen heimgesucht wird.“

Ärger international über die Akustik

Die „Rheinische Post“ urteilte zeitgleich aus dem fernen Düsseldorf sehr kategorisch: „Der Saal sieht toll aus, klingt aber allenfalls zweitklassig.“ Und legte noch einen drauf: „Was ist da falsch gelaufen? Eigentlich alles.“ Für die „Stuttgarter Zeitung“ erlebte die „gehypte Klangarena“ nun einen „Shitstorm“; Kaufmann-Fans wurde die Reise zur Münchner Oper empfohlen, wo er im „Fidelio“ besser zu hören sei.

Auch der britische Musikjournalist Norman Lebrecht, in der Branche ein oft geklickter Lästerstoff-Lieferant, reagierte flott auf die Aufregung und fragte eher grobrhetorisch nach: „Also, Sänger, ist Hamburgs schicke Halle wirklich so mau?“ Es gab einen Bericht im spanischen Magazin „Platea“ und in diversen Blogs.

In Frankreich berichtete neben Fach-Portalen wie „Olyrix“ oder „France Musique“ auch die Pariser Zeitung „Le Figaro“ über Kaufmanns Pro­blem-Termin. Dort hieß es am 18. Januar, er sei verärgert über Publikum und Akustik. „France Musique“ berichtete zeitgleich über Kaufmanns Erwägung, wegen der Akustik nicht mehr in „la Philharmonie de l’Elbe“ aufzutreten.

„Ein Saal, der keine Fehler verzeiht“

Bei „Stern online“ war schon am 15. Januar aus Kaufmanns Künstler-Pech ein „Debakel in der Elbphilharmonie“ geworden: „Was ein wunderbarer Konzertabend hatte werden können, endete für Publikum, Sänger und Veranstalter in einem Desaster.“

Für große Verbreitung sorgte in der nächsten Medienaufmerksamkeitsrunde ab Ende Januar ein Artikel der Deutschen Presse-Agentur, der von etlichen größeren und kleineren deutschen Medien übernommen wurde. Die „Saarbrücker Zeitung“ überschrieb den Text mit „Ein Saal, der keine Fehler verzeiht“.

Von weiter hinten rollte in dieser Woche die „Spiegel“-Kultur das Thema auf: Gleich drei Autoren bündelten für den Artikel „Unruhe auf den Rängen“ den Stand der Dinge und kombinierten die Klassikabende mit dem Konzert des Jazzpianisten Vijay Iyer im November, bei dem Besucherscharen vorzeitig gegangen waren. Das „Spiegel“-Trio fragte: „Hat der Bau die falsche Akustik – oder die falschen Besucher?“ und gaben eine passende Antwort gleich selbst: „Ein Konzertbesuch ist eine fast schon ungewohnte Übung darin, sich auf etwas einzulassen.“