Hamburg. Weibliche Bevölkerung auch 100 Jahre nach Einführung des Wahlrechts unterrepräsentiert. Was Parteien dagegen tun – oder nicht  ...

Als Frauen Anfang des vergangenen Jahrhunderts für ihr Recht kämpften, wählen zu dürfen, war Hamburg ganz vorn mit dabei. 1902 hatten sie in der Hansestadt den „Deutschen Verein für Frauenstimmrecht“ gegründet und Hamburg damit zu einer Hochburg der Frauenstimmrechtsbewegung gemacht. Nachdem Frauen im März 1919 erstmals wählen durften, zogen 17 Politikerinnen (9,2 Prozent) in die Bürgerschaft ein.

Heute, 100 Jahre später, ist der Anteil der Frauen in der Bürgerschaft deutlich höher. Das Landesparlament steht im Vergleich der Bundesländer mit einem Anteil von 38 Prozent sogar bundesweit mit an der Spitze – hinter dem Thüringer Landtag, in dem Frauen 40,6 Prozent der Abgeordneten stellen. Im Berliner Abgeordnetenhaus gibt es nur 33,1 Prozent Frauen, in Bremen 33,7 Prozent und in Schleswig-Holstein 30,1 Prozent. Schlusslichter sind Mecklenburg-Vorpommern (25,4 Prozent) und Baden-Württemberg (24,5 Prozent).

Mit der Macht in der Bürgerschaft ist es aber so eine Sache: Zwar steht mit Carola Veit (SPD) eine Frau als Präsidentin formal an der Spitze. Doch viereinhalb von sechs Fraktionen werden von Männern geführt. Nur die Linkspartei hat mit Cansu Özdemir und Sabine Boeddinghaus eine rein weibliche Spitze, die FDP (Anna von Treuenfels-Frowein zusammen mit Michael Kruse) immerhin zur Hälfte. Zudem haben Frauen nur in sechs der 27 Ausschüsse und Unterausschüsse, wo ein Großteil der fachlichen Arbeit passiert, den Vorsitz.

Frauen müssen auch in Entscheidungsgremien

Kai-Uwe Schnapp, Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg, sieht das kritisch: „Wenn Demokratie eine Veranstaltung ist, bei der die von einer Entscheidung Betroffenen auch an dieser Entscheidung beteiligt sein sollten, dann müssen Frauen nicht nur wählen dürfen, sondern auch in den Entscheidungsgremien angemessen vertreten sein.“ Davon kann jedoch, selbst im recht fortschrittlichen Hamburg, noch lange keine Rede sein.

Traditionell sind es eher linke Parteien, die früh Frauen in den eigenen Reihen gefördert und so mit dafür gesorgt haben, dass sie in Amt und Mandat kamen. Einzig die Fraktionen von Linkspartei und Grünen in der Bürgerschaft haben die Gleichberechtigung vollständig umgesetzt: Sie bestehen genau zur Hälfte aus Frauen. In der SPD-Fraktion sind immerhin 27 von 59 Abgeordneten Frauen (45,8 Prozent), während FDP (33 Prozent) und AfD (16,7) hinterherhinken. In der CDU-Fraktion ist sogar nur jedes zehnte Fraktionsmitglied weiblich: zwei von 20.

38 Prozent der CDU-Mitglieder sind weiblich

Bemerkenswerterweise widerspricht das teilweise der Mitgliederschaft der Parteien: So liegt die CDU mit einem Frauenanteil von 38 Prozent gleichauf mit den Grünen an der Spitze, gefolgt von der SPD (34 Prozent) und Linkspartei (32). FDP und AfD kommen dagegen nur auf 18 Prozent weibliche Mitglieder.

Dafür sind gerade in der FDP Frauen in Führungsfunktionen stark vertreten, etwa Katja Suding als Landesvorsitzende und Bundestagsabgeordnete und Ria Schröder als Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen. Um den Frauenanteil in der Mitgliedschaft zu erhöhen, hat die Partei kürzlich die Arbeitsgruppe „Female Agenda Hamburg“ eingesetzt. „Das ehrenamtliche Engagement ist für viele Frauen schwerer zu leisten als für Männer, da sie neben dem Beruf noch immer den Großteil der häuslichen Tätigkeiten wie Kindererziehung, Pflege von Angehörigen und Hausarbeit übernehmen“, sagt Katja Suding. Sie setze daher unter anderem auf „kürzere und effizientere Parteiversammlungen“.

In der SPD gibt es eine eigene „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen“ (ASF), es gibt ein vierwöchiges Mentoringprogramm für neue weibliche Mitglieder und interessierte Nichtmitglieder, wo Frauen den politischen Betrieb hautnah miterleben können. „Es ist gut, dass immer mehr Frauen auch Verantwortung in politischen Spitzenpositionen übernehmen“, sagt Melanie Leonhard, Sozialsenatorin und Landesvorsitzende der SPD. Allerdings seien sie immer noch unterrepräsentiert und hätten es schwerer, sich durchzusetzen: „Sowohl bei der Wahrnehmung von öffentlichen Ämtern und Mandaten als auch bei der Ausübung von Parteiämtern müssen Frauen mehr als Männer darum ringen, auch als gleichrangig und kompetent anerkannt zu werden“, so Leonhard. Zudem müssten Frauen viel häufiger begründen, wie und ob sie Amts-und Familienpflichten vereinbaren können, sagt die SPD-Chefin aus eigener Erfahrung. „Das ist für die betroffenen Frauen sehr mühsam.“

Gute Diskussionskultur

Die CDU, in der es in der Vergangenheit immer wieder heftige innerparteiliche Auseinandersetzungen um die Benachteiligung von Frauen gab, hat inzwischen ein ganzes Maßnahmenpaket zur Frauenförderung verabschiedet. Dazu gehören unter anderem ein neues Mentoring-Programm, ein regelmäßiger „Ladies Brunch“ der Frauen Union, niedrigschwellige Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen, sowie der vorsichtige Einstieg in Quotenlösungen – meist Drittel-Quoren, die eingehalten werden „sollen“, aber nicht müssen.

„Wir haben bereits gute Erfolge erzielt, was die Vertretung von Frauen in Führungspositionen der CDU Hamburg betrifft“, sagt der Landesvorsitzende Roland Heintze. „So ist bei den Kandidaten für die Bezirkswahlen der Frauenanteil auf 36 Prozent gestiegen. Aber es geht sicher mehr.“

Für Grüne und Linkspartei gehört Frauenförderung schon lange zur DNA. Bei den Grünen ist die ganze Partei darauf ausgerichtet – von quotierten Redner- und Wahllisten bis zur Kinderbetreuung auf Parteitagen. „Trotzdem ist es immer wieder schwierig, Frauen für die Politik zu gewinnen und sie auch zu halten“, sagt die Landesvorsitzende Anna Gallina. Aktive Ansprache, gute Diskussionskultur und Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf könnten da helfen, so Gallina. „Das alles trägt jedoch nur, wenn auch eine Grundüberzeugung dahinter steht: Frauen steht die Hälfte der Macht zu.“

Weibliche Vorsitzende bei der AfD

Olga Fritzsche, Landessprecherin der Linkspartei, glaubt, dass die geringeren Durchschnittseinkommen sowie die höhere Beanspruchung durch Pflege- und Familienarbeit Frauen benachteiligen: „Es sind also insbesondere Frauen mit geringem Einkommen und hoher Sorgeverantwortung für andere, die ihr passives Wahlrecht am wenigsten realisieren können.“ Dazu komme, dass das Klima in männlich dominierten Bereichen „oft auch nicht wirklich attraktiv ist“. Fritzsches Vorschlag: „Die Einführung einer Pflicht für alle Parteien, ihre Wahllisten quotiert besetzen zu müssen, wäre ein guter Anfang.“

In der AfD ist das kein Thema. „Die AfD ist nicht die Partei der Frauenförderprogramme und Quotenfrauen“, sagt der Landesvorsitzende Dirk Nockemann. Seine Partei räume allen politischen Talenten dieselben Chancen ein, „und zwar ohne kontraproduktive Regularien, Vorgaben und Appelle“, so Nockemann, der darauf verwies, dass es in Bergedorf und Hamburg-Mitte weibliche AfD-Vorsitzende gebe.

Anderer Blick auf die Dinge

Übrigens: Trotz aller Bemühungen bei SPD und Grünen hat die von ihnen gebildete Regierung Nachholbedarf: War der erste Senat von Olaf Scholz (SPD) von 2011 bis 2015 noch paritätisch mit sechs Frauen und sechs Männern besetzt, hat Rot-Grün derzeit nur vier Senatorenposten weiblich besetzt. Damit steht Hamburg im Bundesvergleich nicht besonders gut da.

Inwiefern sich der Frauenanteil auf politische Entscheidungen auswirke, sei nicht systematisch erforscht, sagt Politikwissenschaftler Kai-Uwe Schnapp. Frauen brächten aber aus ihrer Lebenssituation einen anderen Blick auf die Dinge mit – und das treibe die Problemlösung voran. „Je diverser eine Gruppe zusammengesetzt ist, desto unterschiedlicher ist die Sicht auf ein Pro­blem und desto größer ist die Chance, dass eine Lösung gefunden wird.“