Hamburg. Neue Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe erinnert an die ersten demokratischen Urnengänge in Deutschland.

Die Segnungen der Demokratie sind für viele von uns selbstverständlich geworden. Für manche so sehr, dass sie die Errungenschaften nicht mehr zu schätzen wissen. Und, zum Beispiel, einfach nicht mehr zur Wahl gehen. An die Bedeutung des Urnengangs erinnert nun eine sehenswerte Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe: „Darum wählt! Plakate zur ersten demokratischen Wahl in Deutschland“.

Der Zeitpunkt ist klug überlegt. Am 19. Januar 2019 jähren sich die ersten demokratischen Wahlen in Deutschland zum 100. Mal. An jenem Tag bestimmten die Bürger über das erste Parlament der Weimarer Republik. Die schwierige Zeit des Übergangs von der Monarchie zur Demokratie mit ihrem Ringen der unterschiedlichen Kräfte um eine Zukunftsvision ist eindrucksvoll an den rund 75 Plakaten und 50 kleineren Drucken abzulesen. Die von Jürgen Döring, Leiter der grafischen Sammlung und der Plakatsammlung, kuratierte Schau dokumentiert die entscheidenden elf Wochen nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Das Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg verfügt als Mitglied im Verein der Weltkriegssammler über einen einzigartigen Bestand.

Situation war historisch einmalig

Die Situation war historisch einmalig. Der Kaiser hatte am 9. November 1918 abgedankt. Der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann rief die Republik aus, parallel verkündete Karl Liebknecht die Räterepublik. Es war unklar, in welche Richtung das Land steuern würde. Arbeiter- und Soldatenräte bildeten sich. Und knapp fünf Wochen nach dem Kriegsende wurden die Wahlen angesetzt. „In Kriegszeiten noch verpönt, waren die politischen Plakate das neue Medium der Stunde“, erzählt Kurator Jürgen Döring. Die Übergangsregierung, der von Friedrich Ebert eingesetzte Volksrat, übernahm die Propagandaabteilung und wurde zum Werbedienst für die ersten Wahlen mit einer kleinen roten Fackel als Symbol für Wahrheit, Aufklärung und Licht.

Rudi Feld: „Die Gefahr des Bolschewismus“, Ende 1918
Rudi Feld: „Die Gefahr des Bolschewismus“, Ende 1918 © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Unter den Gestaltern tat sich vor allem Lucian Bernhard (1883–1972) hervor. Er begann mit Plakaten für Kriegsanleihen, später warb er für die ersten Wahlen. Die meisten Plakate waren in den Signalfarben Rot und Schwarz gehalten, wenige sind mehrfarbig. In der Regel wurden sie aus billigem indus­tri­ellen Papier aus Lumpen gefertigt, das nur zehn Tage halten sollte. In Millionenauflage im Rotationsdruck gedruckt, wurden sie meist auf Lastwagen geklebt.

Vielzahl von damals drängenden Themen

Die gezeigten Exponate umfassen eine Vielzahl von damals drängenden Themen. Sie reichen von den Warnungen vor Hungersnot, über Diskussionsbeiträge zur Nachkriegsordnung. Auch berühmte Künstler gestalteten Plakate, unter ihnen die Expressionisten Max Pechstein oder Otto Dix. Ein von Dix gestaltetes Plakat aus dem Jahre 1919 zeigt demonstrierende Arbeiter, die symbolisch Zukunft, Sonne und Freiheit bringen. Ein anderes Motiv von George Grosz karikiert den Generaloberst Hans von Seeckt, wie er in einem Boxring stehend die Linke eines Arbeiters verpasst bekommt. Grosz war Box-Fan und Anhänger der KPD. Künstlerplakate bilden einen Schwerpunkt der Sammlung des Museums für Kunst und Gewerbe. Die markanten Sprüche und die dramatische Stimmung der Plakate vermitteln die Umbruchsituation. Neben kraftvollen Aufrufen der SPD wie „Nieder mit der Reaktion“ standen Slogans der Frauenverbände wie „Eure Kinder brauchen Frieden und Brot“.

Ein Plakat von Martha Jäger (1867–?) aus dem Jahre 1918
Ein Plakat von Martha Jäger (1867–?) aus dem Jahre 1918 © Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg

Es gab auch Gegenströmungen. Industrielle gründeten über 40 privat ­finanzierte Söldnerarmeen aus Kriegsheimkehrern und sammelten reaktionäre Monarchisten um sich, die mit Demokratie wenig im Sinn hatten. Sie warben im teuren Mehrfarbendruck mit Kriegsmotiven um Mitglieder. Einige von ­ihnen – darunter Verantwortliche von Stinnes und der Deutschen Bank – gründeten und förderten die Antibolschewistische Liga, um Stimmung gegen die Revolution und einen Neuanfang zu machen. „Da wurde alles, was nach Demokratie roch, diffamiert“, so Jürgen Döring. Auf der anderen Seite gab es den radikalen Spartakusbund.

Ihr Ziel haben die Wahlplakate seinerzeit erreicht. Damals gingen über 80 Prozent der Männer und sogar 85 Prozent der erstmals zu den Urnen zugelassenen Frauen zur Wahl. Zahlen, von denen Politiker heute nur träumen können. Die SPD war der große Gewinner, bildete mit der Deutschen Demokratischen Partei und dem katholischen Zentrum die Weimarer Regierung und verabschiedete die Verfassung.

Diese Ausstellung ruft nicht nur die Dramatik der damaligen Ereignisse ins Bewusstsein, sie zeigt auch, welch ein hohes Gut das Wahlrecht darstellt. Darum beim nächsten Mal: wählen gehen.

„Darum wählt! Plakate zur ersten demo­kratischen Wahl in Deutschland“ bis 22.4., Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Di bis So von 10 bis 18 Uhr, Do 10 bis 21 Uhr