Hamburg. Er ist Teil des Schauspielhaus-Ensembles. An den Hamburger Kammerspielen inszeniert Ljubek jetzt erstmals.

Für Carlo Ljubek hat das Jahr sehr arbeitsreich begonnen. In der ersten Januarwoche stand der Hamburger jeden Abend auf der Bühne des Schauspielhauses, spielte Hauptrollen in „Der Kaufmann von Venedig“, „König Lear“ und „Der zerbrochne Krug“. Parallel probt er derzeit täglich mit Schauspielern, denn: An den Hamburger Kammerspielen führt Ljubek erstmals Regie – bei Moritz Rinkes Stück „Westend“.

Kein Wunder, dass er unter seiner Wollmütze ein wenig mit Müdigkeit und Halskratzen kämpft, aber der Adrenalinpegel ist hoch und Ljubek auch ansonsten guter Dinge. „Ich hatte schon immer Lust, Regie zu probieren. Das ist in der Arbeit mit Studierenden in Köln und Hamburg gewachsen. Ich habe gemerkt, wie beschenkt ich mich dadurch fühle.“ Es waren dann die Schauspielkollegen Stephan Kampwirth, Karoline Eichhorn, Benjamin Sadler und Katharina Wackernagel, die mit der Frage an ihn herantraten, ob er nicht „Westend“ inszenieren wolle. Man traf sich auf ein Glas Wein und Ljubek hatte schnell eine Idee zum Stück, die auch Kammerspiel-Intendant Axel Schneider überzeugte. Jetzt komplettieren Stephan Schad und Emma Bading die prominente Besetzung.

Extreme Erlebnisse als Arzt

„Westend“ erzählt von der äußerlich wohlhabenden Berliner Westend-Welt des Schönheitschirurgen Eduard und der Opernsängerin Charlotte. Beim näheren Hinschauen offenbaren sich allerdings Risse in der Glücksfassade. Charlotte hadert mit Kinderlosigkeit und Sinnleere, über die auch ein neues Gartenhaus nicht hinweghilft. Eduard hat sich in einer hohlen Prestigewelt eingerichtet. Der Besuch des alten Freundes Michael, der mit extremen Erlebnissen als Arzt aus Krisengebieten zurückkehrt, reißt alte Wunden auf. Und bald erinnert die Paar-Konstellation – die Nachbarn stoßen auch noch dazu – eher an Goethes „Wahlverwandtschaften“.

„Es geht ja immer um eine Versuchsanordnung. Hier ist es die Frage, wie man eine Beziehung führen, eine Freundschaft aufrechterhalten kann. Man sucht sich ja oft eine Struktur im Leben, eine Form, um einen bestimmten Weg zu gehen, das versuche ich mit den Kollegen zu erzählen“, sagt Carlo Ljubek. Als Regisseur möchte er eine Welt schaffen, in die die Zuschauer eintauchen und zum Nachdenken angeregt werden. „Dabei ist es notwendig, in die psychologischen, schmerzhaften Konflikte zu gehen. Da kommt man nicht drumherum“, so Ljubek.

Medienwirklichkeit und Globalisierungsfolgen

Das thematisch ausufernde Rinke- Werk, das auch Themen wie Medienwirklichkeit und Globalisierungsfolgen streift, will er eher schlank erzählen. „Es geht um die Utopie einer Beziehung, Ehe, Verbindung, Freundschaft. Macht die eigene Welt noch glücklich, ist da noch Liebe, hat die Liebe blind gemacht? Das Auftauchen eines alten Freundes zeigt, dass manches sich verschoben hat“, so Ljubek. Ihn interessiert dabei vor allem der Moment, bevor die Figuren zynisch werden. Auf manche Pointen, auf die der Autor setzt, will Ljubek verzichten. Er wolle das Publikum natürlich unterhalten, doch sei es ihm wichtiger, „über die visuelle Form“ zum Lachen zu animieren.

Gut eine Woche vor der Premiere arbeitet Carlo Ljubek an seiner eigenen Bühnensprache. „Handgemacht“ soll der Abend werden, aber nicht notwendigerweise naturalistisch. Livemusik wird es geben. „Ich fühle mich beschenkt und beglückt durch das, was ich von den Schauspielern bekomme und was ich ihnen geben kann.“ Ruhig im Zuschauerraum zu sitzen, fällt ihm allerdings schwer, wie er zugibt. Und so ist er während der Proben oft dicht an seinen Kollegen – ohne aber ständig in ihre Rollen springen zu wollen.

Ausbildung an Otto Falckenberg Schule

Einen Ort, an dem er sich mit Kopf und Herz verausgaben kann, den hat Carlo Ljubek – 1976 in Bocholt als Sohn kroatischer Einwanderer geboren und lange das Ziel Fußballprofi vor Augen – erst relativ spät gefunden. 1999 aber gab es gleich im ersten Anlauf drei Zusagen von Top-Schauspielschulen. Die Ausbildung an der Otto Falckenberg Schule in München legte die Basis für seine Karriere, die ihn unter anderem mit Intendantin Karin Beier nach Köln und Hamburg führte. Sie gibt ihm auch den Freiraum für dieses Regieabenteuer.

So sehr Carlo Ljubek die Regiearbeit momentan genießt, das eine zu tun, bedeutet für ihn nicht, das andere zu lassen. „Ich bin ja weiter Teil des Schauspielhauses, der Familie. Diese Möglichkeit, mich am Theater als Schauspieler mit den Kollegen auszutauschen, tief in die Materie einzutauchen, das möchte ich nicht aufgeben.“ Auch in Sachen Fernsehen ist er aktiv: Mal springt er im Schwarzwald-„Tatort“ als Kommissar ein, mal spielt er in einem Beziehungsdrama neben Nadja Uhl, demnächst ist er in der Netflix-Serie „Skylines“ über Hip-Hop und Drogen in Frankfurt zu sehen.

Andere ökonomische Zwänge

Dass auf einem Privattheater wie den Kammerspielen andere ökonomische Zwänge lasten, als auf einem subventionierten Stadttheater ist Ljubek bewusst. Soll heißen: Die Zahl der verkauften Karten zählt noch viel mehr als sonst. Doch verunsichern lässt er sich davon nicht und befindet, ohne Mut, ohne die Option des Scheiterns, entstehe in der Kunst nichts Relevantes. Dem Publikum verspricht er auf jeden Fall neben ernsten auch unterhaltsame Momente, aber seine Haltung ist klar: Bei seiner ersten Regiearbeit geht es um eine künstlerische Vision, nicht darum, um jeden Preis zu gefallen. Oder gar gefällig zu sein.

„Westend“ Premiere So 13.1., 19.00, Kammerspiele, Hartungstr. 9–11, Karten unter T. 413 34 40; hamburger-kammerspiele.de