Hamburg. 2019 kommt das Buch auf den Markt – obwohl der Schauspieler sagt, er wisse doch gar nicht, wie man so etwas schafft.

Das Schreiben, hat seine Frau einmal über den Schauspieler Ulrich ­Tukur gesagt, das Schreiben könnte einmal seine Rettung sein. Vielleicht, weil es ihn wenigstens zeitweise zur Ruhe zwingt, die er doch nur so schwer aushalten kann. In den kommenden Tagen und Wochen wird Ulrich Tukur auch in Hamburg wieder omnipräsent sein. Dreharbeiten für den nächsten Film, ein Konzert in der Elbphilharmonie noch vor Weihnachten, zwei weitere gleich Anfang Januar, mal mit den Kollegen Gwildis und Wöhler, mal mit seinen Rhythmus Boys. Ein Abend im Schauspielhaus nur wenige Tage darauf, ein neuer „Tatort“ mit ihm als hessischem Kommissar Murot im Februar. Stillstand ist nicht seine Sache.

Auch im Gespräch ist Ulrich Tukur unablässig in Bewegung, seine Hände, seine Füße, seine Augen. Spielerisch, charmant, zugewandt, präsent. Alles, was er tut, so scheint es manchmal, ist für ein Publikum bestimmt – und wenn das auch nur aus einer Reporterin besteht. Bühne und Kamera aber haben zuletzt Konkurrenz bekommen: Ein Gespräch über das Schreiben als Meditationshilfe, das literarische Vorbild Thomas Mann und den Klang der Sprache.

Erst vor wenigen Tagen haben Sie Ihren ersten Roman, der im kommenden Herbst erscheinen soll, beendet. Gibt es eine Art Phantomschmerz, wenn man seine Figuren loslässt?

Ulrich Tukur: Ja, den gibt es. Trotz aller Anstrengung hat mich diese Arbeit sehr strukturiert. Seit drei Jahren sitze ich an dem Roman, seit drei Jahren zieht er mir die Haare ins Hirn. Drei Jahre lang habe ich gedacht: Ich schaff das nicht. Ich habe mir etwas vorgenommen, das viel zu groß ist. Ich weiß doch gar nicht, wie ein Roman funktioniert, wie man so etwas schreibt! Und auf einmal ist das Ding fertig.

Als Schauspieler sind Sie – jedenfalls auf der Bühne – ein sofortiges Feedback gewöhnt. Das ist hier anders.

Furchtbar ist das! Schon das Feedback der Lektorin kommt mit einer Verzögerung von Wochen! Und man denkt: Was ist los, keiner sagt was, niemand reagiert – nichts! Habe ich denn einen solchen Ausschuss produziert? Bei meiner Novelle „Die Spieluhr“ war ich total deprimiert, bis auf einmal ein begeisterter Brief von den charmanten Damen der Buchhandlung Felix Jud eintraf. Der hat mich wirklich in letzter Sekunde gerettet. Jetzt ist also bald mein erster Roman in der Welt.

Wenn Sie sagen, das Buch habe Sie struk­turiert – haben Sie also Ihren Tagesablauf am Schreiben orientiert?

Ich habe ständig an die Geschichte gedacht, die ich schreiben wollte, und sie hat mich auch nachts beschäftigt. Ich habe einfach immer daran gearbeitet. Zwischen Tür und Angel, vor dem Kamin, in Konzert- und Drehpausen. Ich war ja ohnehin auf Betriebstemperatur. Als ich mich aber in meinem Bauernhaus in der Toskana einschloss, um mal in aller Ruhe so richtig loszulegen, bin ich vor dem weißen Papier geflüchtet. Ich habe gespült, gefegt, Salat gepflanzt, aber geschrieben habe ich wenig.

Und wenn Sie es dann doch tun – tippen Sie oder schreiben Sie mit der Hand?

Ich schreibe mit Bleistift. Und ich habe immer eine Kladde dabei. (Kramt in seiner Innentasche ein kleines schwarzes Büchlein hervor und hält es triumphierend in die Höhe.) Ich schreibe und denke und laufe und schreibe, und am Abend übertrage ich das alles dann in den Rechner. Ein wichtiger Schritt ist das Übertragen der handschriftlichen Notizen in die feste Form. Da passiert noch einmal ganz viel.

Heben Sie die Kladden auf?

Ja, sicher. Die fliegen in einen Schrank, vermutlich auf Nimmerwiedersehen. Und wenn mal ein böser Mensch kommt und sagt: Das haben doch gar nicht Sie selbst geschrieben!, dann kann ich sie wieder hervorkramen und sagen: Hier, bitte schön!

Worüber haben Sie geschrieben?

Es ist eine ziemlich komplexe Geschichte. Also: Vor dem Hintergrund eines zerfallenden Europas im Jahr 2033 erzähle ich von einem jungen Mann, der auf einem Pariser Flohmarkt ein uraltes Fotoalbum entdeckt, in dem er sich selbst dutzendfach abgebildet sieht. Er macht sich auf die Suche nach dem, der er vielleicht einmal war. Seine eigene Lebensgeschichte und die seiner Familie verbindet sich mit einem Drama, das sich 90 Jahre zuvor in Südfrankreich abspielte. Es ist eine Reise in einen persönlichen Albtraum und nebenbei auch ein Buch über Widerstand gegen totalitäre Systeme der Zukunft im Spiegel der Vergangenheit.

Ist Ihnen bang um Europa?

Ist es. Europa ist alt, es schwächelt, der Globus steht unter hohem Druck, und in vielen Ländern und Kontinenten machen sich die Wahnsinnigen und Unberechenbaren auf, unser Leben auf den Kopf zu stellen. Theoretisch ist so vieles machbar. Aber glücklich? Werden wir nie.

Klingt ja furchtbar.

Es ist kein lustiges Buch. Aber immerhin kommt eine bewegende Liebesgeschichte darin vor!

Wie autobiografisch ist das Buch?

Es ist erst einmal Fiktion, aber natürlich steckt viel von mir darin. Man schreibt am Ende immer auch über sich. Jeder Schriftsteller tut das.

Die Schauspieler Christian Berkel und Burghart Klaußner haben in diesem Herbst ebenfalls historische und autobiografisch inspirierte Romane vorgelegt ...

Das ist der Wunsch reproduzierender Künstler, endlich etwas Eigenes zu schaffen. Man spielt zum zigtausendsten Mal den Hamlet, und wie oft ist er schon besser dargestellt worden! Das ist zu wenig. Wenn Sie ein Buch schreiben, schaffen Sie eine Welt aus sich heraus. Da sind Sie Kameramann, Regisseur, Beleuchter, Tonmann, alles in einem! Das ist schon etwas anderes. Ich habe beim Film immer den Regisseur, den Drehbuchautor und den Kameramann bewundert. Nicht so sehr die Schauspieler. Das klingt jetzt vielleicht etwas sonderbar, aber: Filmschauspielern ist kein Kunststück. Solange man ein interessantes, kamerataugliches Gesicht hat und ordentlich inszeniert wird, ist eine geschickte Postproduktion immer in der Lage, die Mängel zu kaschieren, die auf einer Theaterbühne sofort sichtbar würden. Was ich schon an Schauspielern erlebt habe, die auf keiner Theaterbühne je bestehen würden und beim Film trotzdem Karriere gemacht haben!

Eint Schauspieler und Schriftsteller möglicherweise der Wunsch, mehr Leben, mehr Lebensmöglichkeiten in das eigene Leben hineinzupacken?

Kann man so sehen. Man kann das ­Leben auf so viele Arten und Weisen abbilden – und die Kunst ist ja immer der Versuch, das Abenteuer unserer Existenz in seiner Schönheit, aber auch in seiner Abgründigkeit zu verarbeiten.

Sie haben mal gesagt: „Es ist offensichtlich mein Problem, dass ich nirgendwo ankomme.“ Gilt das auch für Ihre Art des künstlerischen Ausdrucks? Suchen Sie im Schreiben nach dem idealen künstlerischen Ausdruck, um das Leben zu fassen zu kriegen?

Vielleicht. Es ist alles im Leben immer nur eine Annäherung an etwas. Das Ideal ist nicht zu erreichen, es ist eine Schimäre am Horizont, die sich in dem Maße zurückzieht, in dem du ihr näherkommst. Das ist der Grund, warum wir immer weitermachen, warum wir nie wirklich zufrieden sind.

Mit dem Schreiben haben Sie erst später im Leben angefangen. Oder schreiben Sie schon sehr lange – und haben nur erst spät veröffentlicht?

Als Kind habe ich Lieder und Gedichte geschrieben, darunter eine Ballade über den Tod Friedrichs des Großen. Nach dieser schriftstellerischen Großtat habe ich mich nicht mehr weitergetraut. Aber Sprache hatte immer einen hohen Wert für mich. Meine ganze Kindheit habe ich lesend verbracht. Ich liebe Autoren, deren Sprache klingt. Ich liebe Thomas Mann! Sprache ist mehr als ein Transportmittel für Information. Sie hat musikalischen Wert.

Im Januar lesen Sie in Hamburg aus „Moby Dick“ ...

... ein fantastisches Buch! Und Sie müssen „Bartleby der Schreiber“ von Herman Melville lesen! Eine kurze Erzählung und trotzdem Weltliteratur. Melville ist ein fabelhafter Autor. Das ist das Großartige an Büchern: Sie tauchen in Welten ein, die Sie mit Ihren eigenen Bildern beleben, Sie sitzen in einem Kino, das nur Ihnen gehört. Ein gutes Buch befeuert Ihre Fantasie, und die kann Ihnen niemand nehmen, aber sie muss auch trainiert werden wie ein Muskel.

Lesen Sie denn immer noch viel?

Zu wenig. Aber beim Schreiben habe ich die ganze Zeit im „Zauberberg“ von ­Thomas Mann gelesen.

Als Inspiration?

Ja! Wie filigran, tief und komplex er sich ausdrückt! Und wie er es schafft, aus scheinbaren Nebensächlichkeiten poetische Funken zu schlagen! Unglaublich, ein großes Vorbild. Mein eigenes Schreiben war dagegen eine Drecksarbeit. Sie hat mich manches Mal an den Rand der Verzweiflung gebracht. Wie man einen 900 Seiten dicken Roman produzieren kann, das werde ich nie begreifen.

Welchen Stellenwert nimmt das Schreiben in Ihrem Leben mittlerweile ein? Sagen Sie anderes dafür ab?

Ich habe einen großen Kinofilm für das Buch abgesagt. Die Schriftstellerei wird aber nicht meine Schauspielerei ablösen. Es ist dann doch eine zu einsame Arbeit. Film und Theater sind kommunikativ und lebendig, und das liebe ich sehr. Das Schreiben ist wie eine Meditation nach viel Krach und Bewegung.

Aber die Einsamkeit ist etwas, was Sie hin und wieder suchen?

Schon, ja. Aber ich kann Einsamkeit auch nur bis zu einem gewissen Punkt ertragen. Wenn ich etwas zu tun habe, wenn ich sie füllen kann, dann geht’s.

Nur mal so in den Herbst gucken – das reicht nicht?

Nein, das ist nichts für mich. Da werde ich schnell unruhig. Ich habe ein zu hohes Grundtempo und bin wahrscheinlich auch schon zu sehr durchgerüttelt, um noch diese Tiefenruhe in mir zu spüren. Ich muss mich mit etwas beschäftigen, sonst verzweifle ich.

Liegt Ihr Notizbuch nachts neben dem Bett?

Ja. Ich habe mir angewöhnt, auch nachts das Licht anzumachen und mich aus dem Bett zu quälen, wenn mir im Halbschlaf etwas einfällt. Am nächsten Morgen lese ich dann meist Unsinn, aber es hat sich auch manchmal gelohnt. Beides – Stift und Notizbuch – muss immer bereitliegen.

Schon mal in der Bahn oder im Flugzeug ­liegen gelassen ...?

O ja, beides! Einmal musste ich ein ganzes Kapitel neu schreiben. Es ist aber dann besser geworden.

Schreiben Sie als Schauspieler eigentlich ­bewusster Dialoge? Lesen Sie sich die zum Beispiel laut vor?

Dialoge spreche ich vor mich hin, bis sie stimmen. Jeder Charakter spricht ja anders. Ein französischer Widerstandskämpfer von 1943 drückt sich anders aus als ein Mathematikprofessor im Jahr 2033. Schreiben ist Singen mit geschlossenem Mund, hat mir Martin Walser mal gesagt.

Sie haben sich mit Martin Walser über das Schreiben ausgetauscht?

Ich habe mit dem Regisseur Rainer ­Kaufmann vor zwölf Jahren Martin Walsers Novelle „Ein fliehendes Pferd“ verfilmt; da besuchte er uns bei den Dreharbeiten. Ein sehr umgänglicher, interessanter Mann. Ich schrieb damals an einem Erzählband über Venedig und fragte ihn: Wie machen Sie das? Wie schreiben Sie? Und er sagte mir, dass er eine Geschichte erst dann niederschreiben könne, wenn er ihre Grundmelodie, ihren Klang erfasst habe. Auch mein Buch hat einen speziellen Klang, und als ich an einem freien Drehtag in Zürich den Punkt hinter das letzte Wort gesetzt habe, war das wie ein Schock. Aber ein wunderbarer.

Zur Person

Ulrich Tukur,geboren 1957 in Viernheim, gehört zu den renommiertesten deutschen Schauspielern. Er studierte Germanistik, Anglistik und Geschichte sowie an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart schließlich Schauspiel. Er spielt Theater, singt, musiziert und dreht Filme, im Kino war er u. a. in „Das Leben der Anderen“, „Das weiße Band“, „John Rabe“, „Aus dem Nichts“ und Helmut Dietls „Zettl“ zu sehen, im Fern­sehen u. a. als „Bonhoeffer“, „Rommel“ und „Grzimek“. Seit 2010 ist er Kommissar Murot
im Frankfurter „Tatort“.

Tukur in Wort & Bild & Ton

Musik: Elbphilharmonie, „Grüß mir den Mond“, Ulrich Tukur & Die Rhythmus Boys, 18. Dezember 2018, 16.00/21.00 (ausverkauft), und 4. Januar 2019, 20.00, Karten
ab 63,50 Euro in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32, oder unter T. 30 30 98 98;
Elbphilharmonie, „St. Pauli Theater meets Elbphilharmonie“, ­3. Januar 2019,
20.00 (ausverkauft).

Lesung mit Musik: „Moby Dick“ von Herman Melville, mit Sebastian Knauer am Klavier, Schauspielhaus, 10. Januar 2019, 20.00, Karten ab 15,- Euro in der Abendblatt-Geschäftsstelle, Großer Burstah 18–32 oder unter T. 30 30 98 98

Fernsehen: Ulrich Tukur ermittelt als LKA-Mann Felix Murot im „Tatort – Murot und das Murmeltier“ wieder am 17. Februar 2019, ARD, 20.15 Uhr.

Literatur: Tukurs erster Roman erscheint im Herbst 2019 im Fischer-Verlag. Erhältlich ist seine Novelle „Die
Spieluhr“, Ullstein,
160 Seiten, 11,95 Euro.