Hamburg. „Next Media Accelerator“ ist schon an 43 innovativen Start-ups beteiligt. Verlage setzen Hoffnung in junge Firmen.

Nein, noch haben sie die Medien nicht gerettet. Aber das kann ja noch werden. Vielleicht. Vor allem Zeitungs- und Magazinverlage kämpfen bekanntlich seit Jahren angesichts der Digitalisierung weltweit ums Überleben. Gegen sinkende Print-Auflagen, ins Internet abwandernde Wohnungs-, Job- und Autoannoncen oder die Konkurrenz durch Social Media können die Manager des Hamburger Next Media Accelerators zwar auch nichts tun. Sie können aber immer neue Ideen liefern, wie Medienhäuser ihre Inhalte ansprechend digital präsentieren, auf innovativen Wegen verbreiten und auch vermarkten können. Und das tun sie auch – mittlerweile seit mehr als drei Jahren.

2015 rief die Deutsche Presse-Agentur (dpa) den Next Media Accelerator, kurz: NMA oder in Holperdeutsch: Neue-Medien-Beschleuniger, in Hamburg ins Leben. Zehn Verlage beteiligten sich für zwei Jahre mit je 200.000 Euro an der gemeinsamen Gesellschaft. Mit den insgesamt zwei Millionen Euro investierte der NMA unter der Führung von dpa-Mann Meinolf Ellers und dem umtriebigen Hamburger Netz- und Internetwerker Nico Lumma in 18 kleine Medien-Start-ups aus ganz Europa.

30 Investoren an Bord

„Innovate or die“ ist der Leitspruch, dem sie beim NMA folgen: Erneuere dich oder stirb! Nach diesem Motto machten sich die vier oder fünf Start-ups pro Halbjahr, die Lumma und Co. aus jeweils bis zu 150 Bewerbern aus ganz Europa auswählen, in den ersten Jahren im Betahaus in der Schanze ans Werk. Sie entwickelten Software für die Ausspielung von Medieninhalten über Messengerdienste wie WhatsApp, neue Livestreaming-Software oder Anwendungen zur grafischen Daten-Aufbereitung.

Mit je 50.000 Euro kaufte sich der NMA (und damit die Verlage) in die Start-ups ein, zahlten so den Jungunternehmern jeweils für ein halbes Jahr ihre laufenden Kosten, stellten ihnen Dutzende Mentoren zur Seite, vermittelten Kontakte und halfen bei der Suche nach Investoren. Im Gegenzug bekam der NMA je zehn Prozent der Unternehmensanteile. Beteiligte Verlage nutzten derweil die Unterstützung der Start-upper, um neue Ideen zu entwickeln und ihre Angebote aufzupeppen.

Weil das Ganze aus Sicht der Anteilseigner gut lief, wurde das Programm 2017 um fünf Jahre verlängert und auf rund acht Millionen Euro aufgestockt. Mittlerweile sind rund 30 Investoren an Bord, darunter Axel Springer, der „Spiegel“, die „Zeit“, große Regionalzeitungen und die Funke Mediengruppe, in der das Abendblatt erscheint.

Diverse Erfolgsgeschichten von NMA

In 43 Medien-Start-ups hat der NMA mittlerweile bereits investiert – und es gibt darunter schon manche Erfolgsgeschichte. Das Streaming-Start-up Contentflow etwa, das eine professionelle Live-Videoinfrastruktur zur Verfügung stellt, habe bereits zwei Millionen Euro an Kapital eingesammelt, sagt Lumma. „Denen wird ihre Software selbst von Fernsehsendern aus den Händen gerissen, jetzt haben sie auch ein Büro in New York eröffnet.“

Großes erwarten die NMA-Chefs auch von Aiconix. Die Software des Hamburger Start-ups soll anhand umfassender Auswertung von Nutzungsdaten vorhersagen, wo die meisten Zuschauer aus Videos aussteigen – und so helfen, Filme so zu gestalten, dass sie bis zum Ende gesehen werden und auch zwischengeschaltete Werbung akzeptiert wird.

Das Unternehmen Asap.industries entwickelte für Agenturen eine Plattform zur Organisation des Freiberufler-Einsatzes – die mittlerweile vom Online-Portal Xing gekauft und in „Hallo Freelancer“ umbenannt wurde. Die Firma 23 Degrees hat sich auf die Aufbereitung von Daten in interaktiven Grafiken spezialisiert. Playgorythm verknüpft Artikel mit Quiz-Fragen zu deren Inhalten. Und ein anderes Start-up hat eine günstige Kamera zur Erzeugung von 3D-Objekten entwickelt, die dann in virtuelle oder erweiterte Realitäts-Szenarien verwendet werden können.

NMA sitzt seit Sommer in der Speicherstadt

Mittlerweile hat sich der NMA angesichts seines guten Laufs jedenfalls auch räumlich vergrößert: Seit Spätsommer 2018 residieren die Medienretter mit ihren für je ein halbes Jahr beherbergten Start-ups auf 400 Quadratmetern im siebten Stock eines ehemaligen Lagergebäudes in der Speicherstadt, Am Sandtorkai 27. Schrillgrüne Sitzgarnituren in den weiten Fluren, kleine Büros und internationales Flair prägen das Ambiente.

„Wenn du mit der deutschen Brille auf Medien guckst, dann entgeht dir immer etwas“, sagt Lumma. „Finnen oder Israelis kommen auf ganz andere Ideen.“ Gerade deswegen sei die internationale Besetzung des NMA und der hier arbeitenden Firmen so wichtig. Dabei könne sich die Bilanz nach gut drei Jahren auch in den Zahlen sehen lassen. Etwa die Hälfte der vom NMA unterstützten Jungunternehmen fänden eine Folgefinanzierung, so Lumma. Das sei sehr gut, denn im Normalfall gingen neun von zehn Start-ups pleite. Dabei sei der NMA auch für den Medienstandort Hamburg wichtig.

Die Hürden im Wandel des Journalismus

Dass sie die Probleme der klassischen Zeitungsverlage noch nicht gelöst haben, wissen aber auch Ellers, Lumma und der kürzlich als neuer Managing-Partner dazugestoßene Christoph Hüning. Den Medienhäusern bleibe nicht mehr viel Zeit.

Wer sich jetzt nicht radikal auf die digitalen Zeiten umstelle, verschwinde bald vom Markt, glauben die Neumedienmänner aus der Speicherstadt. Von vielleicht fünf Jahren, die den Zeitungen noch blieben, ist dabei öfter die Rede. Immerhin hätten zuletzt skandinavische Verlage vorgemacht, wie man Leser mit guten Angeboten überzeuge, auch digitale Abos abzuschließen. Es gibt also Hoffnung.

„Man muss sich ständig etwas Neues einfallen lassen“, sagt dpa-Mann Ellers. „Eine Möglichkeit für große Regionalzeitungen könnten Mitgliedschaften sein, die Menschen ermöglichen, sich aktiv an Veranstaltungen oder moderierten Foren zu beteiligen, die Themen diskutieren, die für die Stadt oder die Region von Bedeutung sind.“

Gedruckter Journalismus habe bei alldem trotz der Digitalisierung eine Zukunft, glaubt Lumma – aber nur am Wochenende. Der Rest des Geschäfts müsse digital organisiert und vermarktet werden, wenn der klassische Journalismus auch das nächste Jahrzehnt noch überleben wolle.