Hamburg. In den Deichtorhallen erlaubt Florian Slotawa einen frischen Blick auf 69 Skulpturen der Staatsgalerie. Schlagabtausch zwischen Direktoren.

Mit dem Stuttgarter Weindorf auf dem Rathausmarkt ist es ja vorbei. Zu teuer der Spaß; nach 30 Jahren war auf einmal Schluss mit der Städtefreundschaft. Für all diejenigen, die dem südwestdeutschem Flair nachtrauern – und natürlich für alle Kunstbegeisterten – haben die Deichtorhallen nun eine prima Alternative: In Zusammenarbeit mit der Staatsgalerie Stuttgart, mit ihrem Bestand an Meisterwerken vom 14. Jahrhundert bis in die Gegenwart ein Museum von Weltrang und in diesem Jahr 175 Jahre alt, wird aktuell eine außergewöhnliche Skulpturen-Schau gezeigt.

„Stuttgart sichten“ heißt das Gesamtkunstwerk, für das Hamburg 69 herausragende Arbeiten aus der Staatsgalerie ausgeliehen hat, unter anderem von Hans Arp, Ernst Barlach, Rosemarie Trockel, Richard Long und Auguste Rodin. Um dem Ganzen einen aktuellen Dreh zu geben, wurde der in Berlin lebende Künstler Florian Slotawa (46) gebeten, die Meisterwerke neu anzuordnen und durch eigene Arbeiten zu ergänzen.

Ist das noch Kunst?

So kommt es, dass zwar leider nicht die „Badenden“ von Pablo Picasso im Original von 1956 zu sehen sind, aber dafür Slotawas „Obi-Picasso“ von 2018, eine Ansammlung von Produkten aus dem Sortiment des Obi-Baumarktes. Rudolf Bellings „Kopf in Messing“ (1925) setzte er ans Steuer eines schwarzen Porsches 911 und damit Stuttgart als Industriestandort in Bezug zu dem futuristischen Bildhauer. Richard Longs „Schiefer-Kreise“ sind gleich zweimal in der Ausstellung vertreten: im Original von 1982 und in einer 145-teiligen Fotoserie, bei der Slotawa jeden Schieferstein einzeln ablichtete und in den Hallen installierte. Darf man das, ist das noch Kunst? Und was soll das Ganze überhaupt?

Florian Slotawa stellt Skulpturen in neue Kontexte.
Florian Slotawa stellt Skulpturen in neue Kontexte. © Staatsgalerie Stuttgart | Staatsgalerie Stuttgart

„Indem ich Kunstwerke mit Alltagsgegenständen kombiniere oder konfrontiere, möchte ich die Kunst den Menschen näherbringen“, sagt Florian Slotawa. Schon zu seinen Studienzeiten an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg habe er sich den Kopf darüber zerbrochen, wie man überhaupt noch kreativ arbeiten könne, was relevant sei. So entstanden seine ersten Besitzarbeiten, bei denen er all seine persönlichen Sachen in einen Raum der Kunstschule schaffte und dort lebte. Diese Sammlung, die Florian Slotawa zuletzt im New Yorker MoMa PS1 präsentierte, wurde von der Sammlung Haubrog aufgekauft und ist heute im Depot des Hamburger Bahnhofs in Berlin untergebracht.

Deichtorhallen-Intendant Dirk Luckow begrüßte zum Auftakt der Schau die Stuttgarter Direktorin der Staatsgalerie, Christiane Lange, aufs Herzlichste und freute sich, nach vielen privaten „endlich mal wieder eine öffentliche Sammlung ausstellen zu können und damit richtig in die Tiefe zu gehen“. Ergänzt durch die Arbeiten von Florian Slotawa, der sich zwischen Bildhauerei, Performance- und Konzept-Kunst bewegt, könne man die Sammlung innovativ und mit einem frischen Blick präsentieren.

Auch eine Reise nach Stuttgart lohnt sich

Auch Direktorin Christiane Lange habe die Skulpturen aus ihrem Hause mit ganz anderen Augen gesehen, sagt sie: „Florian Slotawa schafft es, im besten Sinne surrealistisch zu arbeiten. Durch die Kunst werden wir in einen Schockzustand versetzt und haben einen neuen Blick auf die Welt.“ Bedeutet das vielleicht auch den Neubeginn einer wunderbaren Städtefreundschaft? Zumindest lud Lange die Hamburger nicht nur dazu ein, in die Halle für aktuelle Kunst zu kommen, sondern auch nach Stuttgart in die Staatsgalerie. „Denn was man hier in Hamburg sieht, ist nur die Spitze des Eisbergs.“

Ansehen und genießen!

In der Mitte des Künstlergesprächs gab’s dann aber doch noch einen kleinen Schlagabtausch zwischen den frisch angetrauten Städtepartnern: Langes Vergleich mit dem Künstler Robert Rauschenberg, der einst ein Gemälde von Willem De Kooning ausradierte, konterte Luckow mit dem Hinweis, Rauschenberg habe das Bild ja gekauft und erst anschließend verfremdet, was angesichts des Besitzes völlig legitim sei. Mit der Arbeit Florian Slotawas sei das allerdings gar nicht vergleichbar, denn der nähere sich zwar der Kunstwerke anderer an, beraube sie aber nicht ihrer Aura.

Schwamm drüber. Am Ende war man sich einig, dass „Stuttgart sichten“ eine hochspannende Antwort auf die Frage ist, wie Museen heutzutage mit ihren Sammlungsbeständen umgehen, wie der Spagat zwischen klassischer Kunstvermittlung und zeitgemäßer, neugierig machender Ausstellungsformate gelingen kann. Prädikat: Unbedingt ansehen und genießen. Und vielleicht anschließend einen Schoppen Weintrinken.

„Stuttgart sichten“ bis 20.1.2019 in den Deichtorhallen, Haus für aktuelle Kunst (U Steinstraße), Deichtorstr. 1-2, Di–So 11.00– 18.00, jeden 1. Do im Monat 11.00–21.00, Eintritt 12,- (erm. 7,-), www.deichtorhallen.de