Hamburg. Stefan Pucher zeigt eine erregte Version von Arthur Millers „Hexenjagd“ am Thalia Theater, die dabei aber ohne Zwischentöne bleibt.
Entrückte Gesichter mit weit aufgerissenen Augen. Ekstatische Tänze im Wald. Blut rinnt aus Mündern. Junge Mädchen lachen irre. Und mittendrin Julian Greis als geschockter Frömmler Reverend Parris, der unfreiwilliger Zeuge des nächtlichen Schauspiels wird. Die ambitionierte Videoinstallation von Meika Dresenkamp liefert das Vorspiel zu Stefan Puchers Version von Arthur Millers Klassiker „Hexenjagd“ aus dem Jahr 1953, die jetzt Premiere am Thalia Theater feierte.
Wo das Video raffiniert mit gegenwärtigen Popästhetiken spielt und etwa an die düstere Serien-Zukunftsvision „The Handmaid’s Tale“ erinnert, bringt die Bühnensituation den Betrachter wieder jäh auf die Erde. Barbara Ehnes hat einen Bretterbuden-Zwinger-Scheiterhaufen samt Ölfässern und Strohballen unter einem hölzernen Kirchenschiff-Dach errichtet. Eine gestrige und zugleich apokalyptische Welt.
Vor dieser Szenerie lässt Pucher das Geschehen ungewohnt brav vom Blatt spielen. Der nächtliche Tanz mündet in heftige Hexerei-Beschuldigungen, die erst über die ortsfremde Tituba hereinbrechen, als Kunstwesen im violetten Flauschpelz getanzt und gesprochen von der Berliner Choreografin Sylvana Seddig. Später dann über die Mädchen, die bald alles Denk- und Undenkbare gestehen, um die eigene Haut zu retten. Ihre strengen Hauben-Kostüme von Annabelle Witt erinnern an puritanische Enge vergangener Jahrhunderte. Passend zu der radikalisierten Dorfbevölkerung im Salem, Massachusetts des Jahres 1692, die Arthur Miller seinerzeit die historische Vorlage lieferte, um 1953 eine Parabel auf die Kommunistenhatz der McCarthy-Ära zu erzählen.
Pucher setzt auf das Überdrehte
Bis auf wenige, wohltuende Brüche durch Tanz und Video setzt Pucher auf klassisches Schauspielertheater, und das um einige Gäste erweiterte Thalia-Ensemble gibt wirklich alles.
Antonia Bill überzeugt in der Rolle der Abigail Williams, die die Ereignisse für eine ganz persönliche Rache nutzt. Kristof van Boven gibt dem Reverend John Hale, der den Dingen vermeintlich besonnen auf den Grund gehen will, sich aber als Scharfmacher entpuppt, eine kalte Ambivalenz. Gabriela Maria Schmeides Spiel zeichnet eine wirklich fies frömmelnde Ann Putnam.
Schnell rücken auch wirtschaftliche Interessen des Einzelnen in den Vordergrund. Während die einen der Verdammnis anheimfallen und sich die Gefängnisse füllen, sind umgekehrt die Emporkömmlinge, Profiteure und Leichenfledderer nicht weit.
Wahrheitsfindung anstrengend
Um die Mechanismen der Fanatisierung freizulegen, setzt Stefan Pucher auf das Überdrehte, Überspannte, Überzogene. Sein Zugriff stellt Hysterie, Wahn und Paranoia der Dörfler aus. Bald fühlt sich das Publikum selbst als Teil des Gerichts, in dem die erhitzten Anklagen von Rafael Stachowiak als Thomas Danforth wie Gewehrsalven knallen. Ein eitler Geck und teuflischer Haarspalter im Dienste der vorgeblich Aufrechten, den es nach Verurteilungen dürstet. Argument geht gegen Gegenargument.
Die Beweisführung dreht sich quälend im Kreis. Wer lügt? Wer hat den kalten Atem des Teufels nun wirklich gespürt? Die Wahrheitssuche wird zum zähen und strapaziösen Exorzismus-Unterfangen – auch im Zuschauerraum.
Denn es bleibt bei einer weitgehend einheitlichen hysterischen Tonlage und exaltierten Gesten. Die Schauspieler stellen in dieser Atmosphäre der Dauererregtheit Wort um Wort aus. Und zunehmend fehlen die Zwischentöne. Die bleiben allein dem in den Ereignissen zerriebenen Ehepaar Proctor vorbehalten, der konzentriert aufspielenden Marina Galic als kränkelnd eifersüchtiger Elizabeth Proctor und Jörg Pohl als ihrem kurzzeitig mit Abigail in Untreue gefallenen gutherzigen Ehemann John. Es dauert, bis Pohls Proctor, als Rockabilly-James-Dean mit Haartolle und Backenbart, sich doch noch zum Verteidiger seiner eigenen Würde aufschwingt. Die gemeinsamen Szenen von Galic und Pohl zählen mit zu den intensivsten des Abends. Und zu den wenigen wahrhaft berührenden.
Puchers Ansatz missglückt
Regisseur Stefan Pucher ist eigentlich bekannt für eine ebenso sinnliche wie geistreiche Verschmelzung von Popästhetik und tiefer Textauslotung. Das glückt häufig, wie in seinen Thalia-Arbeiten „Ein Sommernachtstraum“ oder in „Warten auf Godot“. Diesmal gelingt es weniger. Und so bleibt in dieser „Hexenjagd“ im Dunkel, wie genau sich eigentlich der Übergang von einer äußeren Normalität zu einer längst verselbstständigten Hetze vollzieht. Das aber wäre die interessante Frage des Abends gewesen, die das Stück eben auch zur Parabel unserer Zeit machte. Diesen Bezug legt Pucher zwar nahe, aber er bleibt unausgesprochen.
Zum guten Schluss, da sind die Dorfstraßen längst leergefegt, das Vieh ist sich selbst überlassen und Bauer Proctor gehängt, darf Jörg Pohl immerhin noch wie weiland Alexander Scheer in Puchers legendärem „Othello“ am Schauspielhaus einen Showmoment der Unsterblichkeit genießen und „There is no God“ singen.
Das wäre ein akkurater Schlusspunkt gewesen. Dass Sylvana Seddigs Tituba die Auflösung der theokratischen Dorf-Ordnung als Moral des Abends in direkter Publikumsansprache hinterherschiebt, ist vollkommen unnötig.
„Hexenjagd“ Weitere Vorstellungen 2.10., 9.10., 12.10., 8.1.2019, 9.1.2019, jeweils 19.30, Thalia Theater, Alstertor, Karten 7,50 bis 38,- unter T. 32 81 44 44; www.thalia-theater.de
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