Hamburg. Zum 30-jährigen Bestehen der Komödie Winterhude feierte René Heinersdorffs Stück eine gelungene Uraufführung.

Tritt ein Theaterleiter unmittelbar vor der Uraufführung eines Stücks vor den Vorhang, ist das meist ein schlechtes Zeichen. Umbesetzungen, Ausfälle, sogar eine Absage? Doch Jürgen Wölffer (81), unverwüstlicher und kreativer Berliner Theatermacher mit ausgeprägtem Hamburg-Bezug, wollte sich nur bei den Menschen bedanken, die das 30-jährige Bestehen der Komödie Winterhuder Fährhaus erst ermöglicht haben.

Angefangen von Inhaber Uwe Spranger und dem Architekten Peter F. Schweger über Gründungs-Intendant Rolf Mares, Langzeit-Intendant Michael Lang (bis 2017) bis hin zur jetzigen Leiterin Britta Duah und ihren Mitarbeitern. Nicht zuletzt aber beim treuen Publikum des bis heute gänzlich unsubventionierten Privattheaters. „Es wird gut werden heute Abend“, sagte Wölffer den Besuchern mit seinem typischen verschmitzten Lächeln.

Nun denn, der Seniorchef sollte nicht zu viel versprochen haben. Dabei hatte Wölffer „Komplexe Väter“ zur 30-Jahr-Feier auf den Spielplan der ­Komödie Winterhude gesetzt, ohne dass er eine Textzeile des Stückes kannte. Ein besonderer Vertrauensvorschuss für René Heinersdorff – noch so ein Theaterverrückter, wenn auch knapp 27 Jahre jünger. Das Thema Altersunterschied spielt in der Komödie des Rheinländers neben jenem der Patchwork-Familie die tragende Rolle.

Es geht um Eitelkeiten zu später Väter, Zoff und Zicken

Geschrieben hat Heinersdorff das neue Stück nicht nur, um seinen ganz persönlichen Vaterkomplex zu bewältigen, wie er im Programmheft offenbarte. Er wusste auch, dass Hugo Egon Balder und Jochen Busse die Hauptrollen übernehmen. Und so können sich die beiden populären Alt-Komödianten und TV-Stars ihres Auftrittsapplauses sicher sein – egal, ob sie im schwarzen Rollkragenpullover oder im schwarzen Hemd auf die Bühne treten.

Was ­anhand dieser Oberteile inklusive eines karierten Hemds alles auf den sich jung gebenden Träger abzuleiten ist, ist nur einer der Running Gags, die sich durch Heinersdorffs Komödie ziehen. Er hatte für Balder schon den Winterhuder Dauerbrenner „Aufguss“ verfasst, eine Wellness-Komödie.

Hier aber geht es um Eitelkeiten zu später Väter, um Zoff und Zicken. Das sind Anton (Busse) und Erik (Balder) beide. Weil sie aber nur eine gemeinsame Tochter haben, ist der eine (Busse) Erzieher, der andere (Balder) Erzeuger. Beide ignorieren sich, hassen sich – normalerweise. Doch Antons Frau Ute (Alexandra von Schwerin) möchte ­sowohl ihren 25 Jahre älteren Mann als auch ihren kaum jüngeren Ex Erik dabei haben, um den Neuen ihrer Tochter kennenzulernen. Dumm nur, dass Nadine (Katarina Schmidt) eigentlich gar keinen Bock auf dieses Treffen hat und ihr „Neuer“ schon seit zwei Jahren ihr Freund ist – und ihr Therapeut.

Balder als Schlaffi Erik in gebeugter Haltung

Diesen Björn spielt Heinersdorff, der das Stück inszeniert und die coole Wohnungskulisse gestaltet hat, auch noch selbst. Und das überzeugend überzogen. Björn ist wie Utes Partner locker zweieinhalb Jahrzehnte älter als die 25-jährige Tochter. Obwohl Heinersdorffs Geschichte arg konstruiert wirkt, lebt sie von Situationskomik und den Dialogen. All das macht „Komplexe Väter“ zum Mix aus Familientherapie und Chaos-Comedy-Club, der Szenenbeifall und Lacher provoziert.

Da schlurft Balder als Schlaffi Erik in gebeugter Haltung heran und herum. Und wenn ihm alles zu viel wird („Ich wusste nicht, dass ich hier Teil eines ­Erziehungsprogramms bin“), droht er mit Rückzug und sagt – dieser Winterhuder Lokal-Bezug muss auch noch sein – drohend: „Ich geh rüber zu Paolino.“ Demgegenüber fasst sich Busse alias Anton steif und fest im wahrsten Sinne des Wortes an die eigene Nase: Er fühlt sich nach einer kosmetischen Operation ertappt, als Erik von „einem schweren Einschnitt“ redet und damit eigentlich auf den Tod von Antons Ex-Frau anspielt.

Langer Beifall und stehende Ovationen

Am schönsten aber gerät die Szene, als Therapeut Björn, Vater zweier Teenager, die beiden Streithähne als Tochter und Mutter antreten lässt. Eine Versuchsanordnung mit begrenzter psychologischer, aber größter komischer Wirkung. Spätestens hier haben sich ­Erzeuger und Erzieher gegen den neuen alten Freund von Nadine verbündet – plötzlich „unsere Tochter“.

Katarina Schmidt kann sich in der Rolle als „Spatz“ (so nennt sie Freund Björn) oder „Kleines“ (so nennt sie Mutter Ute) in doppelter Hinsicht emanzipieren. Und Komödie-Debütantin Alexandra von Schwerin trifft als Ute meist genau den Habitus und Ton, wie man(n) ihn von Müttern kennt. Ohne deren Einladung käme diese schrecklich seltsame Familie ja gar nicht zusammen.

Am Ende langer Beifall, teilweise sogar stehende Ovationen für ein Stück modernes Boulevardtheater mit ironischen Spitzen auf die Moral.

Besucherstimmen

Barbara Wirtz, Winterhude: „Eine sehr unterhaltsames Stück. Sehr launig, prickelnd und sehr gut umgesetzt mit einer sehr guten Besetzung. Dazu spielt es in einem sehr gelungenen Bühnenbild. Ich habe viel Spaß gehabt, die Zeit im Theater ist sehr schnell vergangen.“
Matthias Borzym, Eppendorf:
„Ich fand das Stück sehr gut gespielt und gemacht. Trotz der vielen Lacher zum Thema Altersunterschied hatte es auch Tiefgang. Und Jochen Busse das erste Mal live zu erleben, war für mich eine große Freude.“

„Komplexe Väter“ bis 11.11. täglich außer Mo, Komödie Winterhude (U Hudtwalcker­straße), Hudtwalckerstr. 13, Karten zu 16,54 bis 43,74 in der HA-Geschäftsstelle, Großer
Burstah 18–32, T. 30 30 98 98;
www.komoedie-hamburg.de