Hamburg. 15 Nominierte kamen in die Freie Akademie der Künste. Das sportliche Programm dauerte vom frühen Abend bis kurz vor Mitternacht.
Ein kurzes Autorengespräch, zehn Minuten Lesung: So kann man sich Literatur eigentlich nicht nähern, so bekommt man gerade mal einen kurzen Eindruck von einem Buch. Aber: Immerhin 20 Romane sind für den mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreis nominiert, und weil das Hamburger Literaturhaus am Donnerstagabend 15 Nominierte zum „Großen Longlist-Abend“ in die Freie Akademie der Künste bat, konnte das nur ein Abhaken von Programmpunkten sein. „Wichtige Lebensdaten, was bedeutet Ihnen das Schreiben, so, und jetzt würden wir gerne ein paar Sätze aus Ihrem Werk hören.“
Da waren auch Literaturstars wie Büchner-Preisträger Adolf Muschg, Skandalautorin Helene Hegemann oder der 2005 für „Es geht uns gut“ mit dem ersten Deutschen Buchpreis geehrte Arno Geiger nicht davor gefeit: 20 Minuten bekam jeder, dann folgte der nächste Nominierte. Bei 15 Autoren war das ohnehin ein sportliches Programm, das vom frühen Abend bis kurz vor Mitternacht dauerte und das nur durch den Charme der Moderatoren Annemarie Stoltenberg und Rainer Moritz sowie die Qualität des Gelesenen die Klippen der Überforderung umschiffte.
Zauber des Erzählens
Obwohl Literatur per se ein hilfreiches Mittel ist, Langeweile zu vertreiben: „Erzählen, um durch die Nacht zu kommen“, beschrieb Literaturhaus-Chef Moritz das Thema von Christina Viraghs „Eine dieser Nächte“, die Geschichte eines Langstreckenfluges, in dem die Protagonistin von der Lebensgeschichte eines Mitreisenden wachgehalten wird. Tatsächlich wäre das auch ein hübsches Motto für den „Longlist-Abend“ gewesen: „Erzählen, um durch die Nacht zu kommen“, der Zauber des Erzählens trug einen auch durch die fünfeinhalb Stunden dieser Nacht.
Zumal das Erzählen hier gerahmt wurde durch die raffinierte Gesprächsführung der Moderatoren. Moritz, dessen fordernde Gutgelauntheit die Autoren nahezu überrollte und ganz unterschiedliche Reaktionen provozierte: Franziska Hauser schaute eingeschüchtert auf dieses Energiebündel, bei Gert Loschütz rief er muffeliges Desinteresse hervor und María Cecilia Barbetta löcherte er, weswegen sie denn zu spät gekommen sei (ihr Zug war in eine Schafherde gerast, worüber sie nicht sprechen wollte). Das überspielte Nichtgespräche, wie das mit Hauser über ihren nominierten Roman „Die Gewitterschwimmerin“: „Wie kam es denn zu dem Titel?“ „Das liegt daran, dass meine Mutter gerne im Gewitter geschwommen ist.“
Wunderbares Duo Infernale
Radiojournalistin Stoltenberg dagegen irritierte durch wohlgesetzte Ungenauigkeiten. Bei Carmen-Francesca Banciu etwa behauptete sie nachdrücklich, dass die 62-Jährige 1945 geboren sei, aus Eckhart Nickels „Hysteria“ zitierte sie den ersten Satz „Mit den Erdbeeren stimmte etwas nicht“, was der Autor freundlich mit „Mit den Himbeeren“ quittierte, und Josef Oberhollenzer verstrickte sie in ein Gespräch von absurder Schönheit: „Josef Oberhollenzer war eine gewisse Zeit Lehrer ...“ „Bin immer noch Lehrer.“ „Ein wichtiges Thema in Ihrem Roman ,Sültzrather‘ sind Schuhe ...“ „Sind was?“ „Schuhe.“ „Am Rand. Ganz am Rand.“
Aber Vorsicht: Gerade, als man Stoltenberg als sympathischen Interviewschussel ins Herz geschlossen hatte, kam sie mit Kritik um die Ecke, die Moritz in seiner „Alles wunderbar“-Haltung konsequent ausschloss, sprach Helene Hegemann etwa auf die Plagiatsvorwürfe zu ihrem Romandebüt „Axolotl Roadkill“ an. In ihrer Gegensätzlichkeit bildeten Stoltenberg und Moritz so ein wunderbares Duo Infernale des Literaturgesprächs.
Es ging auch um die Literatur selbst
Aber es ging bei dem Abend nicht nur ums Gespräch, es ging auch um die Literatur selbst. „Einen Überblick, welche Bücher dieses Jahr erschienen sind“, kündigte Moritz an, „welche Stile vorherrschen, welche Themen.“ Nun ja. Bei den Themen arbeiteten sich viele der Nominierten an Familiengeschichten ab, bei den Stilen allerdings ging es von archivarischen Recherchen (Susanne Fritz’ „Wie kommt der Krieg ins Kind“) über Gesellschaftspanoramen (Inger-Maria Mahlkes „Archipel“) bis zu vielperspektivischen Positionen (Susanne Röckels „Der Vogelgott“) und magischer Rationalität (Matthias Senkels „Dunkle Zahlen“). Konnte man hier von einem herrschenden Schreibstil sprechen? Kaum.
Am Ende blieb doch eher Moritz’ Empfehlung, den Büchertisch zu besuchen: „Wenn Sie alle 15 Bücher kaufen und sich signieren lassen, haben Sie eine 75-prozentige Chance, sich den Gewinner des Deutschen Buchpreises jetzt schon in den Schrank zu stellen.“ Am Ende blieb Wahrscheinlichkeitsrechnung. Auch schön.
Der Deutsche Buchpreis wird am 8. Oktober in Frankfurt verliehen. Am 11. September wird die Longlist (20 Titel) auf eine Shortlist (sechs Titel) reduziert.