Bremen. „Eine große Nachtmusik“ als Auftaktabend. Fast 1000 Künstler kommen zur 29. Auflage des immer populärer gewordenen Festivals.

Eigentlich sollte die Musik das Thema sein, aber es ist mal wieder das Wetter. Als Bremens Bürgermeister Carsten Sieling (SPD) und Intendant Thomas Albert im Rathaus das Musikfest Bremen bei Sekt und Lachsröllchen eröffnen, geht draußen gerade der nächste kräftige Regenguss auf die Pavillons und Stehtische auf dem Platz vor Dom und Rathaus herunter. Manch schick gemachter Festgast hätte jetzt sicher gern Öljacke und Südwester dabei, denn das Musikfest ist (auch) ein Open-Air-Event. In Anlehnung an Mozart heißt der Auftaktabend des Festivals „Eine große Nachtmusik“. Jeder Besucher kann sich aus neun Programmpunkten, die alle um den Marktplatz gruppiert sind, eine musikalische Route mit drei Konzerten zusammenstellen.

Das ausgerechnet an diesem Sonnabend schlechte Wetter schafft ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Zuhörern und bringt Gesprächsstoff. „Der liebe Gott mag keine Festivals“, konstatiert eine dick vermummte Frau, während sie im Innenhof des Atlantic Grand Hotels ihren Stuhl von einer Wasserpfütze befreit und trocken wischt. „Kann ich ihnen helfen?“ fragt sie einen Mann, der Probleme hat, eines der auf jedem Stuhl bereitliegenden Regencapes überzuziehen.

Bei „Blinky Palermo“ werden die Regencapes gezückt

Ein paar andere Zuschauer checken noch schnell ihre Regenradar-App und wissen: Trocken werden sie den ersten Auftritt des Omer Klein Trios nicht überstehen. Der israelische Jazz-Pianist kreuzt die Arme, als er zu seinem Flügel geht und signalisiert, dass ihm ebenfalls kalt ist. Doch sein furioses Spiel lenkt die Blicke vom Himmel auf die Bühne, jetzt steht die Musik im Fokus.

Als es beim Stück „Blinky Palermo“ anfängt zu regnen und die etwa 250 Zuhörer alle ihren Plastikschutz überziehen, muss das für die drei Musiker ziemlich lustig aussehen. Es wirkt, als würden sie für eine uniform und futuristisch gekleidete auf Stühlen kauernde Masse spielen. Klein, Bassist Haggai Cohen-Milo und Schlagzeuger Amir Bressler spielen überwiegend Kompositionen aus ihrem Album „Sleepwalkers“, doch das brillante Trio präsentiert mit „Radio Mediterrano“ auch das Titelstück des nächsten Albums, das es gerade aufgenommen hat.

Musikfans mischen sich mit Werder-Bremen-Fans

45 Minuten dauert jedes Konzert auf den drei Zeitschienen. Dann haben die Zuhörer 45 Minuten, um zum nächsten Auftrittsort zu gehen. Da bleibt genügend Zeit, sich zwischendurch mit einem Wein oder einer Brezel zu versorgen. Zwischen die Musikfans haben sich Teilnehmer eines CSD-Umzuges gemischt, unschwer an ihren Fahnen und Tüchern in Regenbogenfarben zu erkennen, und auch Werder-Bremen-Fans mit grün-weißen Schals stehen an den Bierständen unter dem Roland und diskutieren den Bundesliga-Auftakt gegen Hannover 96.

Der Regen hat sich verzogen, es wird auf dem Marktplatz gefeiert. Eine Straßenbahn mit der Aufschrift „Partitur“ fährt sich in Superzeitlupe zwischen den Menschengruppen hindurch. Wenn man den mächtigen St. Petri Dom als nächste Station gewählt hat, ist das wie das Eintauchen in einen Ort der Stille. Im Flüsterton werden die richtigen Sitzplätze in den Bankreihen gesucht. Der englische Chor Tenebrae unter Leitung von Nigel Short hält Einzug und stellt sich im hinteren Altarraum auf. Die Gesänge mit Werken von der Renaissance bis zur Moderne sind von ätherischer Schönheit. Das 20-köpfige Ensemble teilt sich im Laufe des Konzertes auf, um von unterschiedlichen Positionen in der Kirche einen faszinierenden Raumklang zu kreieren.

Currentzis rockt die Glocke mit seinem Ganzkörperdirigat

Einen Star hat „Die große Nachtmusik“ auch und das ist der griechische Dirigent Teodor Currentzis. Mit seinem russischen Orchester MusicAeterna interpretiert er in der Glocke, dem neben dem Dom gelegenen Konzertsaal, Beethovens Sinfonien Nr. 5 bis 7. Es gibt Fans dieses Ausnahme-Dirigenten, die sich aus der Glocke nicht weg bewegt haben, weil sie nur Currentzis hören wollten. Bei ihm musiziert das Ensemble im Stehen und bekommt so noch mehr Druck ins Spiel, die Cellisten reißt es ebenfalls fast von den Stühlen und Currentzis rockt die Glocke mit seinem Ganzkörperdirigat. Mit dem Tempo und der Wucht des dritten Satzes aus der 7. Sinfonie könnte er es auch nach Wacken schaffen.

Bis zum 15. September läuft das Musikfest in Bremen, Bremerhaven und im Nordwesten Niedersachsens mit 39 Veranstaltungen an 31 Spielorten, fast 1000 Künstler kommen zur 29. Auflage des immer populärer gewordenen Festivals.